Abzug gewerbesteuerlicher Verlustvorträge – falsches Verständnis der Unternehmensidentität

Zuweilen gibt es Urteile, bei denen ich den Eindruck habe, dass die Entscheidungen an der wirtschaftlichen Realität vorbeigehen. So zuletzt geschehen beim Urteil des FG Köln vom 20.01.2016 (10 K 2841/13, EFG 2016, S. 667). Dort ging es um die Frage, ob die für einen gewerbesteuerlichen Verlustabzug erforderliche Unternehmer- und Unternehmensidentität gegeben ist. In den Urteilsgründen heißt es: „Entscheidend für die Unternehmensidentität ist das Gesamtbild der Betätigung, welches sich aus den wesentlichen Merkmalen des Gewerbebetriebs ergibt. Maßgebliche Kriterien sind danach insbesondere die Art der Betätigung, der Kunden- und Lieferantenkreis, die Arbeitnehmerschaft, die Geschäftsleitung, die Betriebsstätten, Organisation und Finanzierung sowie Umfang und Zusammensetzung des Aktivvermögens.“

Den FG-Richtern sei zugutegehalten, dass sie sich auf die BFH-Rechtsprechung stützen und zudem die Revision zugelassen haben (IV R 15/16). Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, wenn sie sich bereits in der Urteilsbegründung zu einem modernen Wirtschaftsverständnis hätten verleiten lassen, denn in der heutigen Digitalwirtschaft  werden Geschäftsmodelle in kürzester Zeit umgeworfen und wieder neu konzipiert. Streng genommen könnte dann nicht mehr von der Unternehmensidentität die Rede sein. Möchte man aber allen Digitalunternehmern nun die in der Anfangsphase erlittenen Verluste bzw. Verlustvorträge gewerbesteuerlich streichen? Es wird daher Zeit, dass auch in den finanzgerichtlichen Entscheidungen ein Wirtschaftsverständnis des Jahres 2016 Einzug hält und nicht das der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrtausends. Dies betrifft übrigens auch die aus meiner Sicht vollkommen überholte Tantieme-Rechtsprechung. Wer kennt nicht die 75:25-Prozent-Regelung? Aber auch hier gilt: In bzw. mit der Digitalwirtschaft haben komplett andere Vergütungsmodelle Einzug gehalten. Da darf meines Erachtens heute einem „modernen“ GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer nicht mehr ein – vollkommen veralteter – Fremdvergleich vorgehalten werden, wenn seine Tantieme 25 Prozent der Gesamtbezüge übersteigt. Zur Frage moderner Geschäftsmodelle (und zum Finden neuer „Fremdvergleichs-Maßstäbe“) sei übrigens an dieser Stelle das Buch „Silicon Valley“ von Christoph Keese empfohlen.

Weitere Infos:
FG Köln, Urteil vom 20.01.2016 (10 K 2841/13)
Verfahrensverlauf | BFH IV R 15/16 (per 18.07.2016)

2 Gedanken zu “Abzug gewerbesteuerlicher Verlustvorträge – falsches Verständnis der Unternehmensidentität

  1. Hinweis zu den Ausführungen „Da darf meines Erachtens heute einem „modernen“ GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer nicht mehr ein – vollkommen veralteter – Fremdvergleich vorgehalten werden, wenn seine Tantieme 25 Prozent der Gesamtbezüge übersteigt“.
    Durch die Darstellung der Gewinnerwartung für die kommenden drei Jahren kann bei Überschreitung der Gewinngrößen von der zugegebenerweise überholten 75:25-Prozent-Regelung abgewichen werden, ohne in den Verdacht der vGA zu kommen.

  2. Dem Autor kann man nur beipflichten; wir brauchen nicht nur „Industrie 4.0“ sondern im Gefolge auch mehr „Steuerrecht(sprechung) 4.0“. Die Digitalisierung darf nicht nur das Verfahrensrecht reformieren sondern auch das materielle Steuerrecht.

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