Gemäß § 175b Abs. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Hier geht es beispielsweise um die Daten, die die Deutsche Rentenversicherung (DRV) an die Finanzverwaltung übermittelt. § 175b AO korrespondiert sozusagen mit dem Vorteil, dass Steuerpflichtige die so genannten eDaten nicht mehr in ihrer Steuererklärung eintragen müssen. Dann soll dem Finanzamt aber die Gelegenheit gegeben werden, einen fehlerhaften Steuerbescheid später “ohne Weiteres” ändern zu können – und zwar zugunsten wie auch zuungunsten des Steuerpflichtigen.
Der BFH wird sich allerdings demnächst mit einer interessanten Fragestellung rund um die Anwendung des § 175b Abs. 1 AO befassen müssen.
Der Sacherhalt in aller Kürze:
Der Kläger erhielt eine Leibrente von der DRV. Diese gab er auch zutreffend in seiner Einkommensteuererklärung 2017 an. Dennoch berücksichtigte das Finanzamt diese Renteneinnahmen bei der Steuerfestsetzung nicht, weil zum Zeitpunkt der Veranlagung im März 2019 keine elektronische Rentenbezugsmitteilung der Rentenversicherung vorgelegen hatte. Die DRV übermittelte die Informationen über die entsprechenden Rentenbezüge des Klägers für den Veranlagungszeitraum erst im Mai 2019. Nach Eingang der elektronischen Rentenbezugsmitteilung änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2017 nach § 175b AO. Das Niedersächsische FG hat entschieden, dass die Änderung nach § 175b AO zulässig war (Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.10.2022, 2 K 123/22).
Die Begründung in Kurzform:
Dass der Steuerpflichtige korrekte Angaben gemacht, das Finanzamt diese aber ignoriert oder gar gestrichen hat, spielt für die Möglichkeit einer Änderung nach § 175b AO keine Rolle. Es ist unerheblich, ob dem Steuerpflichtigen ein Verstoß gegen seine Mitwirkungs- und Erklärungspflicht oder dem Finanzamt ein Verstoß gegen seine Ermittlungspflicht vorzuwerfen ist. Die Rentenversicherung ist eine mitteilungspflichtige Stelle – wenn die Nichtberücksichtigung der (erst nachträglich) elektronisch übermittelten Daten zunächst zu einer materiell unrichtigen Steuerfestsetzung führt, reicht das allein für eine spätere Änderung aus.
Denkanstoß:
§ 175b AO ist zwar bereits seit einigen Jahren in Kraft und vielleicht kein “Neuland” mehr. Aber – um im Bilde zu bleiben: Alle Pfade der Vorschrift wurden noch nicht erkundet. Und so hat das Niedersächsische FG im Besprechungsfall die Revision zugelassen, die auch bereits unter dem Az. X R 25/22 vorliegt. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass der BFH anderer Auffassung als die Vorinstanz ist, aber wer weiß. Ähnlich gelagerten Fälle sollten daher vorerst offengehalten werden.