Auswirkungen des Bahnstreiks auf die Wirtschaft und seine Grenzen

In der aktuellen Tarifrunde hat die Gewerkschaft der Lokführer zum sechsten Mal zum Streik aufgerufen. Welche Konsequenzen hat der Bahnstreik für Wirtschaft und Bürger und wo stößt das Streikrecht an Grenzen?

Hintergrund

Art. 9 Abs. 1 GG regelt, dass alle Deutschen das Recht haben, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Die Basis für die Tarifautonomie und damit auch für Streiks liefert Art.9 Abs.3 S. 1 GG: Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, also z.B. mehr Lohn, mehr Freizeit, arbeitsnehmerfreundliche Arbeitsabläufe in den Betrieben – also das, was aktuell die GDL fordert, kann auch ein zulässiges Streikziel sein. Mitgliedergewinnung und Positionierung gegenüber einer anderen ebenso kleinen Gewerkschaft der Branche ist jedoch ebenso wenig legitim wie die Verfolgung allgemeiner politischer Ziele.

Auswirkungen auf die Wirtschaft und Bürger

Auch die Wirtschaft ist von den Streiks im Güter- und Personenverkehr betroffen. Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge kostet jeder Streiktag die Wirtschaft rund 100 Millionen, weil zum Beispiel dringend benötigte Waren nicht ankommen oder Lieferungen nicht ausgebracht werden können. Industrie- und Gewerbebetriebe sind von der Versorgung mit Exportgütern abgeschnitten. Auch nicht direkt betroffene Unternehmen können dadurch Einbußen erleiden, wenn sie beispielsweise in einer Lieferkette betroffen sind.

Von Streik betroffenen Bürger können die Bahn nicht als Verkehrsmittel nutzen, erreichen ihren Arbeitsplatz verspätet oder gar nicht. Urlauber erreichen nicht ihr Urlaubsziel, sie müssen sich auf lange Wartezeiten und alternative Verkehrswege einstellen. Nach Berechnungen des DIW Berlin halten sich bei kurzen und in ihrem Umfang begrenzten Unterbrechungen des Bahnverkehrs wie im vergangenen Jahr die Produktions- und Einkommensausfälle zwar in Grenzen. Käme der Güterverkehr der Deutschen Bahn AG aber für drei bis vier Tage weitgehend zum Erliegen, wäre mit volkswirtschaftlichen Kosten von bis zu 70 Millionen Euro pro Tag zu rechnen. Die Einbußen würden sich auf bis zu 90 Millionen Euro – das sind 1,5 Prozent der täglichen Bruttowertschöpfung – erhöhen, wenn auch ein erheblicher Teil des Personenverkehrs auf der Schiene bestreikt würde.

Bei einem über mehr als zwei Wochen andauernden Streik im Güter- und Personenverkehr der Deutschen Bahn würden der deutschen Wirtschaft tägliche Kosten von bis zu 180 Millionen Euro entstehen.

Grenzen des Streikrechts

Auch das Streikrecht besteht allerdings nicht grenzenlos. Das durch die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 S.1 GG) verbürgte Streikrecht kollidiert mit den Grundrechten anderer Betroffener: Mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Deutschen Bahn AG, das durch den Streik insbesondere in seinem Eigentumsrecht betroffen ist (Art. 14 Abs.1 GG) und in ihrer ungehinderten Ausübung des Dienstleistungsgewerbes (Art. 12 Abs. 1 GG); hat bei einem Streik bei der Deutschen Bahn ein Verbraucher etwa im Voraus ein Ticket erworben und kann am Reisetag streikbedingt nicht reisen, hat er Anspruch auf anteilige Erstattung des Fahrpreises, ohne dass sich die Deutsche Bahn auf höhere Gewalt berufen kann (EuGH v. 26.9.2013 C-509/11). Der betroffene Bahnreisende, der streikbedingt seine Bahnfahrt nur verspätet oder gar nicht antreten kann, ist zumindest in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs.1 GG) beeinträchtigt, wenn nicht reisen kann, wann und wohin er will.

Wie ist dieser Grundrechtskonflikt aufzulösen? Da das Grundgesetz in diesem Fall keinen einseitigen Vorrang von bestimmten Grundrechten definiert, lösen Verfassungsrechtler den Konflikt durch praktische Konkordanz. Das bedeutet, dass ein Streik unter Berufung auf Art. 9 Abs. 3 S.1 GG nach seinem Ziel, seiner Dauer und seinen Auswirkungen insgesamt noch „angemessen“, also verhältnismäßig sein muss, damit andere Grundrechte zurücktreten müssen. Die GDL streikt Mitte März bereits zum sechsten Mal für ihre Streikziele, jetzt auch mit der Drohung den Streikbeginn nicht mehr 48 Stunden vorher anzukündigen. Dies greift nicht nur in die Disposition des Streikgegners, der Deutschen Bahn AG ein, sondern auch in die Disposition der streikbetroffenen Unternehmen und Bahnreisenden.

Im Januar 2024 blieben einstweilige Verfügungsanträge der Bahn gegen die GDL vor dem LAG Hessen ohne Erfolg. Es könne nicht festgestellt werden, dass die GDL mit dem Streik rechtswidrige Streikziele verfolge oder gegen die Friedenspflicht verstoße, so das LAG (Urteile vom 09.01.2024 – 10 LGa 15/24, 10 LGa 16/24). Gegen den aktuellen Streik im März 2024 ist abermals ein arbeitsgerichtliches Verfahren anhängig, das ArbG Frankfurt/M. hat am 11.3.2024 abends eine einstweilige Verfügung zur Unterbindung des Streiks abgelehnt; über die Berufung verhandelt das LAG Frankfurt/M. am 12.3.2024.

Der aktuelle GDL-Streik, bei dem es der Gewerkschaft vor allem um eine Reduzierung der Arbeitszeit geht, ist seit Beginn der aktuellen Tarifverhandlungen der sechste der GDL, der vierte seit Dezember 2023. Machen Sie sich bitte im Chat selbst ihre Gedanken, wie lange Sie die Hängepartie als Betroffener noch ertragen wollen. Für mich steht fest: Deutschland darf sich – gerade in seiner aktuellen wirtschaftlichen Situation – nicht zu einer Streikrepublik entwickeln.

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