BFH: Finanzamt darf Corona-Soforthilfe nicht pfänden

Die an Unternehmen, Freiberufler und Selbständige ausgezahlte Corona-Soforthilfe darf vom Finanzamt wegen Steuerschulden nicht gepfändet werden. Das hat der BFH in einer am 30.7.2020 veröffentlichten  Entscheidung entschieden (BFH v. 9.7.2020 – VII S 23/20 (AdV)).

Worum ging es im Streitfall?

Der Steuerpflichtige unterhielt ein als Pfändungsschutzkonto nach § 850k der Zivilprozessordnung (ZPO) geführtes Konto bei der Sparkasse. Auf eine Pfändungsverfügung des FA wegen rückständiger Umsatzsteuer erklärte die Sparkasse im April 2019, es sei kein pfändungsfähiges Kontoguthaben vorhanden. Im April 2020 wurden dem Konto 9.000 € Corona-Soforthilfe gutgeschrieben, die dem Steuerpflichtigen mit „Zweckbindung“ und „Aufrechnungsverbot“ von der Landesbehörde bewilligt worden waren. Als der Kontoinhaber hierauf zugreifen wollte, verweigerte das FA als Pfandgläubiger die Freigabe. Hiergegen wandte sich der Steuerpflichtige im Wege einstweiliger Anordnung erfolgreich vor dem FG Münster, das die vorläufige Vollstreckung nach § 258 AO einstellte. Die hiergegen vom FA eingelegte Beschwerde blieb jetzt vor dem BFH ebenfalls erfolglos: Auf die Corona-Soforthilfe darf das FA nicht zugreifen.

Wie hat der BFH entschieden?

Wie schon die Vorinstanz, das FG Münster (v. 8.6.2020 – 11 V 1541/20 AO) hat auch der BFH dem Steuerpflichtigen Recht gegeben: Die ausgezahlte Corona-Soforthilfe darf vom FA nicht wegen Steuerschulden gepfändet werden. Da die Corona-Soforthilfe aktuelle finanzielle Notlagen mildern soll, ist wegen dieser „Zweckbindung“ eine Pfändung des FA nicht zulässig. Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich um zweckgebundene Gelder zur Deckung von Liquiditätsengpässen, auf die der Fiskus keinen Zugriff hat. Denn die Hilfen dienten nicht der „Befriedigung von Gläubigeransprüchen“, betont der BFH. Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich aufgrund ihrer Zweckbindung um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Alternative 1 BGB regelmäßig nicht pfändbare Forderung. Zu den nur im Rahmen ihrer Zweckbindung pfändbaren Forderungen können auch staatliche Subventionszahlungen gehören, auch die Corona-Soforthilfe des Bundes ist ausweislich der ihr zugrunde liegenden Bestimmungen als „zweckgebunden“ einzustufen.

Wichtig: Den Gerichten ist es nicht verwehrt, zur Beurteilung der Zweckbindung der Corona-Soforthilfe die Programme des Bundes und der Länder oder andere Bestimmungen heranzuziehen. Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich zwar um eine Billigkeitsleistung als freiwillige Zahlung ohne Rechtsanspruch, die insbesondere Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind, überbrücken soll. Sie dient jedenfalls nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen dient, die – wie im Streitfall – vor dem 01.03.2020 entstanden sind, sondern nur solchen, die seit dem 01.03.2020 entstanden sind.

Wegen des Pfändungsschutzes konnte der BFH offenlassen, ob auf Basis des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 (BStBl 2020 I, 262) das in § 258 AO eingeräumte Ermessen in einer die Verwaltung selbstbindenden Weise dahin gelenkt wird, dass bei nicht nur unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen von der Vollstreckung fälliger Steuerforderungen abgesehen werden soll und ob das „Absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen nach Ziffer 3. auch Vollstreckungsmaßnahmen umfasst, die bereits vor Erlass des BMF-Schreibens erfolgt sind.

Welche praktischen Folgen hat die Entscheidung?

Die BFH-Entscheidung hat gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten während der Corona-Krise weit über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung, in denen Steuerpflichtigen wegen coronabedingter Zahlungsschwierigkeiten Pfändungsmaßnahmen drohen.

Jedenfalls bislang war unter den Finanzgerichten der Pfändungsschutz der Corona-Soforthilfe umstritten: Das FG Münster hat den Vollstreckungsschutz in einem Fall verweigert, wenn der Antragsteller nicht darlegt, dass die verweigerte Auszahlung der Corona-Soforthilfe existenzgefährdende Folgen hat (FG Münster, Beschluss v. 29.6.2020 – 8 V 1791/20 AO; ebenso FG Münster, Beschluss v. 16.6.2020 – 4 V 1584/20 AO).

Anders hat das ein anderer Spruchkörper des FG Münster gesehen: Danach ist eine Kontenpfändung des FA, die auch Beträge der Corona-Soforthilfe umfasst, rechtswidrig (FG Münster, Beschluss v. 13.5.2020 – 1 V 1286/20 AO). Die bislang ergangenen Entscheidungen betreffen die Corona-Soforthilfe. Nicht anders zu beurteilen sein dürfte mit den BFH-Hinweisen aber auch der Pfändungsschutz der Ende Juli angelaufenen Überbrückungshilfe des Bundes zu beurteilen sein, die ebenso einer Zweckbestimmung unterliegt.


Für weitere Details lesen Sie unsere NWB Online-Nachricht vom 03.08.2020.

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