BFH zur mehraktigen Erstausbildung im Kindergeldrecht

Aus- und Weiterbildungen sind nicht nur mit großem persönlichem Aufwand, sondern auch oft mit hohen Ausgaben verbunden. Umso schöner, wenn man in diesem Zusammenhang Unterstützung durch den Fiskus erhält. Allerdings besteht hier ein erheblicher Unterschied zwischen einer einheitlichen bzw. mehraktigen Erstausbildung und einer Weiterbildung. Nun hat der BFH zu der Differenzierung gleich in vier Urteilen vom 11.12.2018 Stellung genommen.

Wann besteht Anspruch auf Kindergeld?

Für ein volljähriges Kind besteht Anspruch auf Kindergeld, wenn es das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Dabei können mehrere Ausbildungsabschnitte zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammen zu fassen sein. Von einer solchen einheitlichen Erstausbildung muss jedoch eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung abgegrenzt werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann ein Kind nur berücksichtigt werden, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind dabei für den Anspruch unschädlich.

An einer einheitlichen Erstausbildung kann es fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden, für die vor allem die nachfolgenden Kriterien von Bedeutung sind.

Wann überwiegt die berufliche Tätigkeit?

Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es zum Beispiel ein unbefristetes oder auf mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis eingeht und es diese Beschäftigung ganz oder nahezu ganz in Vollzeit ausübt.

Ist dagegen das Beschäftigungsverhältnis bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnittes befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20 Stundengrenze lediglich geringfügig, so kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist.

Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es ebenfalls darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinanderstehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht häufig über 40 Wochenstunden liegt, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Ausschlag geben. Führt das Kind zum Beispiel neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Arbeitstätigkeit ein Vollzeitstudium an der Universität durch, kann durchaus auch weiterhin der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen.

Nutzt es die erste Berufsqualifikation bereits?

Ebenfalls von Bedeutung ist, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um hiermit eine – durch diese eröffnete – Berufstätigkeit auszuüben.

Wird beispielsweise ein Geselle oder Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies ein Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Ein solcher Sachverhalt spricht nämlich schon dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder der Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen.

Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre, beispielsweise eine Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel, oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (zum Beispiel indem er Nachhilfe gibt oder bei einer Inventur hilft), kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.

Gesamtbetrachtung aller Umstände

In die Gesamtbetrachtung ist einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung – nach ihrem äußeren Erscheinungsbild – tatsächlich „neben der Ausbildung“ durchgeführt wird.

Wird beispielsweise eine Teilzeittätigkeit von ca. 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist dies ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Dies gilt auch, wenn das Kind zum Beispiel während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, aber durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt.

Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, ist dies ein Indiz dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur „neben der Berufstätigkeit“ durchgeführt werden. Es kann dabei auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.

Ergebnis

Eine einheitliche Erstausbildung ist nicht anzunehmen, wenn ein Kind nach Erlangung eines ersten Berufsabschlusses während einer beruflichen Aus- oder Weiterbildung eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, die im Vergleich zur Weiterbildung als „Hauptsache“ anzusehen ist.

Lesen Sie hierzu auch meinen Beitrag im NWB Experten-Blog:

Kindergeld bei neben der Ausbildung ausgeübter Erwerbstätigkeit

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