Corona-Gesetzgebung: Brauchen wir mehr Mitwirkung des Parlaments?

In der öffentlichen Debatte ist eine stärkere Einbindung des Parlaments bei Corona-Entscheidungen angemahnt worden. Was ist davon zu halten?

Hintergrund

Die Corona-Pandemie hält die Welt – auch Deutschland – länger in Atem als von manchen ursprünglich angenommen. Der ungewohnte Umgang mit einer Pandemie dieses Ausmaßes, die eine gesamte Volkswirtschaft, ja ein ganzes Volk vor einen gewaltigen Stresstest stellt, hat bereits unmittelbar nach Beginn im März 2020 zu einer Notstandsgesetzgebung mit atemberaubendem Tempo geführt. Mit dem „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (BGBl 2020 I S. 587 ff.) änderte der Deutsche Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates (BR-Drs. 151/20 v. 27.3.2020) das Infektionsschutzgesetz des Bundes (IfSG).

Durch das „Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (BGBl 2020 I S. 1018 ff.) mit Zustimmung des Bundesrates (BR-Drucks. 246/20 v.15.5.2020) eine weitere Änderung des IfSG. Die Neufassung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 IfSG räumt dem Bundesministerium für Ge- sundheit weitreichende Befugnisse zum Erlass von Anordnungen und Rechtsverordnungen ein: So wird der Verordnungsgeber in § 5 Abs. 2 Nr. 3, 4, 7 und 8 IfSG ermächtigt, im Falle einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ von den geltenden gesetzlichen Bestimmungen in umfassender Weise abzuweichen. Da das Infektionsgeschehen weiter anhält, ja aktuell an Intensität zunimmt, ist vorgeschlagen worden, die zeitlich befristeten Regelungsbefugnisse des Bundesgesundheitsministers zu verlängern. Hierbei stellt sich die Frage, ob nicht der parlamentarische Gesetzgeber grundrechtswesentliche Entscheidungen selber treffen muss, und diese nicht an die Verwaltung delegieren darf.

 Verfassungsrechtliche Bedenken

Nach dem im Grundgesetz geltenden Gewaltenteilungsprinzip sieht unsere Verfassungsordnung eine klare Aufgabenverteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative vor. Nach Art. 80 Abs. 1 S.2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen im Gesetz selbst bestimmt werden. Die Abweichungskompetenz des Verordnungsgebers ist nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts nur in sehr begrenztem Umfang zulässig: der parlamentarische Gesetzgeber muss grundrechtswesentliche Entscheidungen selber treffen, darf diese also nicht an die Verwaltung delegieren (BVerfGE 33, 303; 147, 253). Es müssten jedenfalls die Tendenz und das Programm eventueller Abweichungen von Gesetzen auf dem Verordnungswege vorab erkennbar und mithin vorhersehbar sein (BVerfGE 78,249 (272)). Hierfür müsste die Anzahl der gesetzlichen Vorschriften, von denen abgewichen werden kann, von vornherein klar begrenzt und überschaubar sein. Diese Maßstäbe könnten bei § 5 Abs. 2 IfSG möglicherweise nicht eingehalten sein.

Eine Rechtsverordnung bedarf ferner nach Art. 80 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie aufgrund eines Bundesgesetzes ergeht, das seinerseits der Zustimmung des Bundesrates bedurfte. Die Zustimmungsbedürftigkeit entfällt jedoch, wenn dies im Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates wiederum angeordnet wird. § 5 Abs. 2 Nr. 3, 4, 7 und 8 IfSG sehen eine Reihe von Verordnungsbefugnissen „ohne Zustimmung des Bundesrates“ vor, jedoch befinden sich unter der Vielzahl an Gesetzen, von denen potentiell durch Rechtsverordnung abgewichen werden kann, gerade auch solche, die der Zustimmung des Bundesrates bedurften (z.B. das SGB V, das ArzneimittelG oder das PflegeberufsG).

Art. 83 GG sieht schließlich vor, dass die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das GG nichts anderes bestimmt oder zulässt. Fraglich ist aber in Bezug auf § 5 Abs.2 IfSG, ob entsprechende Ermächtigung zu bundesunmittelbarer Verwaltung besteht. Insbesondere ist nicht Art. 87 Abs. 3 GG einschlägig, da der Bund seine Gesetzgebungskompetenz auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für „übertragbare Krankheiten“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gestützt hat (BT-Drs. 19/18111, S. 15) und auch eine andere ausschließliche Bundeskompetenz erkennbar ist.

Die beschriebenen verfassungsrechtlichen Risiken sind auf Initiative des Bundestagspräsidenten erstmal vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages thematisiert worden (Wiss. Dienst des Bundestages, Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 080/20). Inzwischen hat die Fraktion der AfD diese Expertise sogar zum Anlass genommen, IHKn einem Antrag an den Deutschen Bundestag sogar eine abstrakte Normenkontrolle beim BVerfG (Art. 93 GG) hinsichtlich der Regelungen in § 5 Abs. 2 Nr.3, 4, 7 und 8 IfSG auf den Weg zu bringen (BT-Drs. 19/23529 v. 22.10.2020). Hierfür wäre ein Antrag von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages erforderlich, das wären derzeit immerhin 178 Bundestagsabgeordnete.

 Mehr Bürgerakzeptanz durch Stärkung der Parlamentsrechte

Tatsache ist, dass der unterschiedliche politische Umgang in den Ländern mit der Art und Weise von Beschränkungsmaßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens in der Bevölkerung auf immer weniger Akzeptanz, ja inzwischen auf Gegenreaktionen zum Schutz von Freiheitsrechten stößt, weil vergleichbare Sachverhalte ohne einleuchtenden Grund unterschiedlich geregelt werden. Hinzu kommt, dass immer wieder die Gerichte coronabedingte Verwaltungsentscheidungen korrigiert und aufhebt.

Gerade das Vertrauen der Bürger auf die Richtigkeit (konsensual) getroffener Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie-Folgen ist es aber, was für einen gemeinschaftlichen Erfolg gegen die Krise notwendig ist. Über die Notwendigkeit einer rückwirkenden verfassungsrechtlichen Überprüfung von § 5 Abs. 2 IfSG durch das BVerfG um „des Recht haben willens“ darf spekuliert werden. Jedenfalls aber sollte mit Blick auf die weitere Corona-Gesetzgebung aber geprüft werden, die bislang weitreichenden und verfassungsrechtlich durchaus zweifelhaften Ermächtigungen einzuschränken. Hierbei sollte der Gesetzgeber der Empfehlung des Wissenschaftlichen Dienstes entsprechend prüfen, „konkrete Ermächtigungsgrundlagen für besonders eingriffsintensive und streuweite Maßnahmen“ selbst zu schaffen.

Denn durch das vom Volk gewählte Parlament mehrheitlich beschlossene gesetzliche Maßnahmen stoßen bei der Bevölkerung sicher auf stärkere Akzeptanz und schaffen damit mehr Zusammenhalt als abgeleitete Anordnungen der Exekutive.

Quellen:
BT-Drs. 19/23529

 

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