Der Zustand des Umsatzsteuerrechts 2020 – beschämend!

Das Umsatzsteuerrecht, das heißt zum einen die Gesetzgebung, zum anderen aber die Handhabung durch die Finanzverwaltung und die Gerichte, befinden sich im Jahre 2020 in einem bedauernswerten Zustand. Ich habe den Eindruck, dass den handelnden Personen, sei es der Gesetzgeber, seien es die Richter des V. und XI. BFH-Senats, seien es die Verantwortlichen des BMF-Referats, überhaupt nicht (mehr) klar ist, dass ein „funktionierendes“ und durchschaubares Umsatzsteuerrecht essentiell für das wirtschaftliche Handeln in Deutschland und Europa ist.

Daher plädiere ich dringend für …. ja, wie soll ich es ausdrücken? Besinnung? Einen runden Tisch? Mehr Absprache mit der Wirtschaft? Wie auch immer: Es muss sich etwas ändern. Hier nun ein paar Punkte meiner Kritik:

Die Absenkung der Umsatzsteuersätze für ein halbes Jahr mit einer zusätzlichen – temporären – Absenkung für die Gastronomieumsätze führt zwar hoffentlich zu einer konjunkturellen Belebung. Erst einmal hat sie aber eines verursacht: viel, viel Arbeit. Wer sich die Zeit nehmen will, sollte übrigens die Stellungnahme des Normenkontrollrats zum 2. Corona-Steuerhilfegesetz sowie die Rückäußerung der Bundesregierung lesen. Man erkennt daraus, dass sich diese beiden „Institutionen“ mittlerweile offenbar mit großer Abneigung gegenüberstehen. Hier ein Auszug aus einer Bundesrats-Drucksache: „Das Ressort hat dem NKR am Tag der Kabinettbefassung um 01:02 Uhr den Regierungsentwurf zur Prüfung zur Verfügung gestellt. Eine Prüfung dieses Regierungsentwurfs in einer halben Nacht widerspricht jeglicher Form besserer Rechtsetzung und guter konstruktiver Zusammenarbeit.“ (Quelle: Bundesrat zu Drucksache 329/20).

Übrigens: Versuchen Sie einmal, den richtigen Steuersatz für den Verkauf eines Latte Macchiato zu bestimmen, und zwar einmal beim Verkauf im Café und ein anderes Mal beim Verkauf außer Haus.

Ich selbst hadere auch noch immer mit der Aufteilung des Entgelts bei Buffets. Zur Erinnerung. In dem maßgebenden BMF-Schreiben vom 2.7.2020 heißt es: „Für die befristete Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Restaurations- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken ist es nicht zu beanstanden, wenn zur Aufteilung des Gesamtkaufpreises von sogenannten Kombiangeboten aus Speisen inklusive Getränken (z. B. Buffet, All-Inclusive-Angeboten) der auf die Getränke entfallende Entgeltanteil mit 30 % des Pauschalpreises angesetzt wird.“

Klingt erst einmal logisch. Doch wenn man den Satz das zweite Mal liest, stellt man fest, dass das BMF in einem Satz zwei Bemessungsgrundlagen miteinander kombiniert, nämlich Entgeltanteil = netto. Pauschalpreis = brutto. Angenommen, ein Buffet kostet 30 Euro. Entfällt dann auf die Getränke ein Entgelt von 9 Euro? Oder von 7,76 Euro (9 Euro : 1,16)? Da das BMF – wieder einmal – auf ein erläuterndes Beispiel verzichtet, verbleibe (nicht nur) ich ratlos zurück.

Weitere „Anekdote“: Selbst den Kabinettsmitgliedern war zeitweise nicht mehr klar, ob Tabakwaren ab dem 1. Juli 2020 einem Steuersatz von 16 oder 19 Prozent unterliegen.

Das BMF hat zwar dankenswerterweise und fast schon bewundernswert äußerst schnell auf die Absenkung der Steuersätze reagiert und ein BMF-Schreiben im Entwurf veröffentlicht. Allerdings führte dies dazu, dass nun auch der letzte Steuerberater Deutschlands nicht mehr wusste, wie denn Anzahlungs- und Vorausrechnungen zu erstellen und später abzurechnen sind. Oder war Ihnen zu jedem Zeitpunkt bewusst, wie Anzahlungs- und Schlussrechnungen zu erstellen und in der Schlussrechnung abzurechnen sind?

Kommen wir nun zum BFH. Sein Vorwort zur Ausgabe 28/2020 der NWB Nr. 28 hat Prof. Dr. Thomas Küffner betitelt mit den Worten „Der EuGH als Mediator zwischen den BFH-Senaten?“. Es geht in dem Streit zwischen den BFH-Senaten um die nicht ganz uninteressante Frage, ob die deutsche Organschaftsbesteuerung EU-konform ist oder nicht. Der XI. Senat hat diese Frage, genauer gesagt die Frage, ob einer Gruppenbesteuerung der Vorrang vor der Bestimmung des Organträgers als Steuerpflichtigem zu geben ist, dem EuGH vorgelegt. Der V. Senat ist über diese Vorlage wenig erfreut und hat seinerseits den EuGH angerufen. Um es drastisch zu sagen: Er lässt an dem Vorlagebeschluss der Kollegen des XI. Senats kein gutes Haar.

Vielleicht bin ich zu sensibel, aber ich finde es in diesem Zusammenhang recht merkwürdig, dass der V. Senat bereits in seinem Leitsatz auf die möglichen Steuerausfälle bei einem aus seiner Sicht negativen Urteil des EuGH aufmerksam macht. Was will er damit bezwecken?

Um nun noch einmal auf die Finanzverwaltung zurückzukommen: Anstatt sich in den letzten Jahren mit einer europakonformen Gruppenbesteuerung zu befassen, hat man seine Kraft lieber in diffizile Bestimmungen zu den GoBD investiert. Hauptsache, die Mehrergebnisse können über Formfehler des Rechnungswesens hereingeholt werden.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Alle Betroffenen haben derzeit keinen leichten Job und ich habe persönlich großen Respekt, und zwar sowohl vor den Mitgliedern der Bundesregierung als auch vor den Richtern und den Mitarbeitern des BMF. Aber als Vertreter der Praxis bin ich nicht erfreut darüber, dass sich das Umsatzsteuerrecht in einem bedauernswerten Zustand befindet und vor allem nicht mehr handhabbar ist.

PS: Wie würden Sie das „Getränke-Beispiel“ lösen?

3 Gedanken zu “Der Zustand des Umsatzsteuerrechts 2020 – beschämend!

  1. Ich habe unseren Mandanten mitgeteilt, das Frühstück wie folgt aufzuteilen:

    30% des Bruttopreises => USt 16%
    70% des Bruttopreises => USt 5%

    „Entgeltanteil mit 30 % des Pauschalpreises“ ist unglücklich formuliert, aber anders als 30% vom Brutto kann man keinen Mandanten logisch erklären.

    Für die Lieferung eines Latte Macchiato würde ich ermäßigter Steuersatz sagen, § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 zum UStG, Nr. 35: „Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen (z.B. Molke) von mindestens fünfundsiebzig Prozent des Fertigerzeugnisses“

  2. Der auf die Getränke entfallende Entgeltanteil beträgt 8,31 Euro, nämlich 30 % des Gesamt-Entgeltes von 27,70 Euro. Dann kommt man auf einen Brutto-Preis von 30 Euro: 8,31 x 1,16 + (27,70-8,31) x 1,05 = 30,00.

  3. Lieber Herr Herold,

    vielen Dank für diesen Beitrag, Sie sprechen mir aus der Seele! Allerdings befürchte ich, dass sich daran so schnell nichts ändern wird. Allein schon die Überarbeitung der Anlage 2 zum UStG mit der Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände kommt nicht in die Gänge.

    Viele Grüße
    Jürgen Walter
    PS: Möchten Sie Ihren Latte Macchiato mit Milch tierischen Ursprungs oder mit pflanzlicher Milch?

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