Die EZB – alles passé mit den EU-Verträgen?

An den internationalen Anleihemärkten erlebt man derzeit eine denkwürdige Entwicklung. Nach Berechnungen von Banken ist es niemals zuvor – zumindest soweit die Markt-Daten zurückreichen – zu einem derartigen Absturz bei den Anleihekursen gekommen, wie es im Moment und in den ersten beiden Quartalen in 2022 zu beobachten ist. Ursache für den Crash am Rentenmarkt ist die Geldpolitik der Notenbanken. Zu lange hatten die US Federal Reserve und die Europäische Zentralbank gehofft, dass der starke Inflationsanstieg (bis ca. 8,1 %) nur von „kurzer Dauer“ sein und quasi von selbst wieder verschwinden würde. Grund sei der „Nachfrageüberhang“, „Lieferkettenprobleme“ oder andauernde Lockdowns in China. Diese Fehleinschätzung rächt sich nun, da sich zeigt, dass die Inflationsrate für eine längere Zeit weit über der eigens gesetzten „Zielmarke“ von zwei Prozent verharrt und ggfs. auch verharren wird.

Das US-Fed ist damit aus der eigenen Langsamkeit herausgestiegen – und hat den Turbo geschaltet. Am Jahresende dürfte der US-Leitzins dann in einer Spanne von 3,50 bis 3,75 Prozent liegen und im nächsten Jahr auf gut vier Prozent angehoben werden.

Gewährleistung einer Unabhängigkeit der EZB?

Die Frage muss man dann stellen: Wie abhängig ist die EZB denn nun seit 2008, der letzten großen (Finanz-) Krise geworden? Wenn man über „operative oder funktionelle Unabhängigkeit der EZB in den Verträgen nachschaut, so bedeutet sie vom Grundsatz, dass die EZB bei der Entscheidung hinsichtlich der Methode, mit der sie ihren Auftrag durchführen möchte, frei ist.

Allerdings ist die EZB durch Art. 127 Abs. 1 des AEU-Vertrag sowie andererseits durch die EZB-Satzung, die gerade Preisstabilität als Ziel der europäischen Geldpolitik vorgeschrieben, gebunden. Insofern bezieht sich die operative Unabhängigkeit lediglich auf die Durchführung des Ziels, unter anderem auch auf die Bestimmung derjenigen Inflation, die (noch oder gerade noch) mit Preisstabilität vereinbar ist, nicht jedoch auf die Festlegung des Ziels an sich. Im AEU-Vertrag steht deutlich:

„Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Nur, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der Union beizutragen.“

Insofern ist die EZB diesbezüglich weit weniger unabhängig als das US-amerikanische Federal Reserve System. Dieses System, das weltweit den größten geldpolitischen Einfluss hat, will bekanntlich einerseits in der Hauptsache die US-Arbeitslosigkeit bekämpfen, andererseits muss zudem Preisstabilität gewähren, was der amtierende US-Präsident gerade im Congress-Wahlkampf spürbar feststellt. Mit instabilen Preisen lassen sich keine Wahlen gewinnen.

Fakt ist: Die EZB darf nicht direkt die Defizite im Haushalt der Gemeinschaft oder eines Mitgliedslandes direkt finanzieren. Indirekt wurde aber am Sekundärmarkt gehandelt, also es wurde – neben den eingeführten und den seit 2010 beibehalten Niedrigzinsen – für ein Jahrzehnt von Schulden der EU-Sorgenkinder u.a. Italien und Spanien, mithin von dort aus „mittelbar“ Staatsanleihen übernommen bzw. abgenommen. Das nahm Druck aus dem Markt, jedoch floss das Geld über die Staaten stets wiederum in die Märkte, so dass man auch deshalb eine erhöhte Inflation derzeit hat

Natürlich berichtet die EZB so oft es erforderlich ist und erfüllt so einen Teil der Pflichten gegenüber der „Öffentlichkeit“.

Anderweitige Kontrollen der EZB erforderlich?

Was ist aber in der Geldpolitik mit nun mit den (neben der Öffentlichkeit) anderen Kontrollen? Regelmäßig schweigen die externen Rechnungsprüfer, die den Jahresabschluss der EZB prüfen, obwohl die Bilanzsumme immer weiter nach oben geht. Der europäische Rechnungshof, der die „Effizienz“ (=Wirksamkeit) der Verwaltung prüfen soll, und die „internen“ Kontrollinstanzen hört man nicht.

Wenn man sich anschaut, dass vor Ausbruch des Ukraine/Russland-Kriegs gar „grüne Ziele“ bzw. Nachhaltigkeits- oder Klimazielen seitens der EZB verfolgt werden sollten, wird deutlich, dass die EZB von ihrer ursprünglichen Aufgabe mittlerweile weit abgerückt ist. Festgestellt wird deshalb von kritischen Stimmen ein erhebliches Demokratiedefizit in Bezug auf das deutsche Grundgesetz (Art. 20, 38 GG), das auch bei anderen EU-Themen wieder auftaucht. Ein evidentes Kontrolldefizit bei Überschreiten des Auftrags lässt über eine neue EU-Regelung/EU-Vertrag nicht mehr hinwegkommen.

Nur wenn die EZB die Preisstabilität garantiert und dafür mit entsprechenden Maßnahmen handelt und dies nicht zu zögerlich erfolgt, erfüllt sie den vertragsgemäßen Auftrag aus den europäischen Verträgen (u.a. Maastricht) und nur in diesem Fall verdient sie weiterhin Glaubwürdigkeit der Bevölkerungen sowie die Unterstützung der deutschen Institutionen nach dem GG(bzw. der deutschen Verfassungsorgane, auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Ansonsten hat man nun den Eindruck, die EZB ist und war seit 2009 („Lehmann“) nur noch Diener von bestimmten Staaten und von „interessierten Marktteilnehmern“, gleich welcher Art und verliert die eigentliche Unabhängigkeit, die die deutsche Bundesbank jahrzehntelang nach dem Zweiten Weltkrieg so ausübte, entsprechend dem GG. Man denke u.a. an die Siebzigerjahre.

Die viel zu lange Beibehaltung der niedrigen Zinspolitik nach der Finanzkrise 2008/2009 hatte auch Auswirkungen auf die Sparer, die in ihren Eigentumsrechten verletzt wurden. Sie mussten notgedrungen am (Aktien-)Markt anlegen, um Rendite zu erwirtschaften.

Der schon vor der Corona-Krise eingeführte negative Zins der Banken für Einlagen war der augenfällige „Gipfel“ dieser EZB-Politik.

Marktauswirkungen der Niedrigzinsphase

Die derzeitigen Turbulenzen an den Märkten sind deshalb nicht nur auf den möglicherweise lange dauernden Ukraine/Russland-Krieg zurückzuführen, sondern haben eine beinahe elfjährige Vorgeschichte. Diese wirkte letztlich auch auf das Steuerrecht , wenn dort die bisherigen Regierungsverantwortlichen , die vom Volke legitimiert wurden,  immer die Zinssätze und Höhe von Säumniszuschlägen nach der AO  in gleicher Höhe beibehalten haben, obwohl sie als demokratisch gewählte Institutionen Deutschlands dazu angehalten waren, hier auf EU-Ebene einzugreifen.

Dann wäre es nur recht und billig, wenn aufgrund dieser ausgebliebenen Handlung entsprechende Korrekturen, auch im Steuerrecht, man denke an die Progressionsthemen, Freibeträge, etc., vorgenommen werden würden, da die jetztige Inflation „hausgemacht“ ist,  nicht allein kriegsbedingt Dies bleibt aber womöglich eine Illusion, da sich die Ereignisse mit der zweijährigen Pandemie und dem Krieg in der Ukraine etwas überschlagen haben, was die Handlungsfähigkeit der EU-Staaten puncto Steuerreformen nicht besonders erweitert.

Ausblick

Selbst der sog. neue  EU-Mindeststeuersatz, der schon fast aus Sicht vieler Fachleute politisch „durch“ war, wurde von EU-Staat Ungarn unlängst gekippt, was ja gerade für Deutschland und andere EU-Staaten ein bisschen mehr Geld in die Fiskalkasse bringen sollte, insbesondere von den Global Players (u.a. FANG) und Internet-Giganten. Das zweite Halbjahr 2022 wird deshalb geo- und geldpolitisch und steuerrechtlich herausfordernd. Selbstredend ist eine Zinserhöhung, die Dritt-Staaten wie USA, England und Schweiz längst begonnen haben, kein „Allheilmittel“, aber des dämpft eine überschießende Nachfrage aus diversen Gründen regelmäßig und lässt die Inflation etwas absinken.

Ob es bald gar wieder Zinsen auf Spareinlagen der Kunden gibt?

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