Die Steuerpolitik der Ampel – Teil 1: Unternehmensbesteuerung

Fortschritt nur in Trippelschritten? Jetzt kommt es auf den Finanzminister an.

Die Ampelkoalition schmückt sich mit Etiketten wie Aufbruch, Modernisierung oder Fortschritt. Eine Artikelserie geht der Frage noch, ob der Inhalt des Koalitionsvertrags aus steuerlicher Sicht hält, was die Überschrift („Mehr Fortschritt wagen“) verspricht.

Mit dem Koalitionsvertrag vom 24.11.2021 ist klar: Die 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags wird nicht die von vielen erhoffte und von Wirtschaftsvertretern vehement geforderte Unternehmensteuerreform bringen. Der Körperschaftsteuersatz bleibt so hoch, wie er ist.

Zwar enthält der Vertrag der drei Ampelparteien durchaus Bekenntnisse zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Dem in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich zu beobachtenden Verfall der deutschen steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit setzt der Koalitionsvertrag jedoch nur punktuell etwas entgegen. An einigen Stellen dürfte die Steuerschraube für Unternehmen sogar angezogen werden.

Schon im Sondierungspapier groß und durchaus überraschend angekündigt, liegen die Hoffnungen der Wirtschaft auf einem – mehr oder weniger – neuartigen Instrument, das im finalen Koalitionsvertrag sowohl als Investitionsprämie als auch als „Superabschreibung“ bezeichnet wird. Damit will die Koalition in den Jahren 2022 und 2023 Investitionen in Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter fördern. Große Fragezeichen bleiben aber bei der konkreten Ausgestaltung. So weckt der Begriff Superabschreibung klare Assoziationen an eine im internationalen Kontext gebräuchliche „Super Deduction“. Unternehmen können dabei mehr als 100 % der eigentlichen Kosten geltend machen, erhalten also eine echte Förderung und nicht nur den Zinseffekt aus einem Steueraufschub einer beschleunigten Abschreibung; wobei dieser Effekt im Lichte des aktuellen Niedrigzinsniveaus ohnehin sehr bescheiden ausfällt.

Doch die im Koalitionsvertrag letztlich gefundene Formulierung, „einen Anteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens … vom steuerlichen Gewinn abzuziehen“ nährt gewisse Zweifel, ob die Ampel nicht eher kleinere Brötchen backen will und an eine gewöhnliche Sonderabschreibung oder degressive Abschreibung denkt. Kämen dann noch z.B. restriktive Einschränkungen in Bezug auf die abzuschreibenden Wirtschaftsgüter oder die abschreibenden Unternehmen o.ä. hinzu, blieben vom neuen Wunderinstrument nicht viel mehr als enttäuschte Erwartungen zurück. Zumal für zahlreiche digitale Wirtschaftsgüter (Computerhard- und Software zur Dateneingabe und -verarbeitung) mit dem BMF-Schreiben vom 26.02.2021 ohnehin eine Nutzungsdauer von einem Jahr und damit ein Sofortabzug fingiert wurde.

Da die Superabschreibung bereits nach 2023 wieder auslaufen soll, könnte sie sich letztlich als eine etwas aufgehübschte Verlängerung der 2020 und 2021 geltenden degressiven AfA aus dem 2. Corona-SteuerhilfeG um 2 Jahre entpuppen. Ohnehin erscheint der Zeitrahmen recht fraglich, ist doch bei normalem Verfahrensverlauf erst Richtung Jahresende 2022 mit einer gesetzlichen Umsetzung einer solchen Regelung zu rechnen. So würden 12 – 15 Monate als Wirkungszeitraum verbleiben in denen sich theoretisch Lenkungseffekte in Richtung Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter ergeben könnten. Dies erscheint in Anbetracht der üblichen Planungszeiträume für größere Projekte überraschend kurz. Realistisch betrachtet wären dann bescheidene Lenkungswirkungen in Form von Vorzieheffekten für die zweite Jahreshälfte 2023 (anstelle einer Projektrealisierung in der ersten Jahreshälfte 2024) die wahrscheinlichste Folge. Hier könnte man mit gutem Grund hinterfragen, ob Klimaschutz und Digitalisierung ab 2024 nicht mehr auf der Agenda stehen.

Allerdings wäre es verfrüht, die Superabschreibung schon abzuschreiben, wo noch nicht einmal die Tinte unter dem Koalitionsvertrag getrocknet ist. Der kommende Finanzminister hat es in der Hand, dafür zu sorgen, dass da wo super draufsteht, auch super drin ist.

Vergleichbar stellt sich die Lage bei der vereinbarten Evaluierung der Thesaurierungsbesteuerung (§ 34a EStG) und des Optionsmodells (§ 1a KStG) dar, „inwiefern praxistaugliche Anpassungen erforderlich sind“. Auch hierbei kommt es auf den Finanzminister an: Nehmen seine Fachbeamten die seit Einführung der Regelung immer wieder vorgetragenen Kritikpunkt auf und legen die entsprechenden Verbesserungsvorschläge mit Nachdruck auf den Tisch, könnte die Koalition einen steuerpolitischen Erfolg für die Unternehmen verbuchen und den Mittelstand stärken.

Als Zeichen guten Willens ist die vereinbarte Verbesserung der Verlustverrechnung zu werten. Dabei soll offenbar der in der Coronakrise auf 10 Mio. Euro erhöhte Verlustrücktrag und womöglich auch die vorläufige Rücktragsmöglichkeit bis Ende 2023 verlängert werden. Die gleichfalls angesprochene Erweiterung des Verlustrücktrags (auch wenn „Verlustvortrag“ geschrieben steht, was hoffentlich als Redaktionsversehen und Beleg für nächtliche Verhandlungsrunden einzustufen ist) auf die unmittelbar vorangegangenen zwei Veranlagungszeiträume scheint dagegen als dauerhafte Maßnahme angelegt. Nachdem die Coronakrise eindrücklich vor Augen geführt hat, wie hilfreich und auch zielgenau der Verlustrücktrag sein kann, wäre hier aber noch Luft nach oben. Dies gilt vor allem mit Blick auf die ab 2024 voraussichtlich wieder (sehr) geringe Höchstgrenze und den offensichtlichen Umstand, dass ein solcher erweiterter Verlustrücktrag in die Coronajahre 2020 und 2021 aus Sicht des Staatshaushalts ohnehin nicht viel Steueraufkommen kosten dürfte.

Auf der Habenseite zu Verbuchen ist auch die Anhebung der linearen Abschreibung für den Neubau von Wohnungen von zwei auf drei Prozent. Doch damit endet auch schon die Liste steuerlicher „Wohltaten“ in der Unternehmensbesteuerung. Zwar will die Koalition vermeintlich keine Steuern erhöhen, im Kleingedruckten finden sich aber sehr wohl derartige Maßnahmen.

Um, wie es heißt, aus Deutschland abfließende Einkommen angemessen zu besteuern, soll einerseits die Quellenbesteuerung ausgeweitet werden und zwar insbesondere durch Anpassung von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Sofern hiermit nicht die ohnehin absehbaren DBA-Änderungen im Rahmen der neuen 2-Säulen-Lösung der OECD gemeint sind, begibt sich die Koalition aber auf dünnes Eis. Denn DBA-Anpassungen kann sie zwar jederzeit fordern, sie in langwierigen Verhandlungen gegen andere Staaten durchzusetzen, ist jedoch etwas anderes. Andererseits soll die Zinsschranke durch eine nicht näher bezeichnete „Zinshöhenschranke“ ergänzt werden. Letzteres könnte sich als weitreichender Eingriff in die Unternehmens- und Konzernfinanzierung erweisen.

Während quasi eine „Managerarbeitslohnhöhenschranke“ – wie sie im Wahlkampf teilweise in Form einer Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs bei sehr hoher Vergütung gefordert wurde – die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen dadurch schwächen würde, dass sie höchstqualifizierte Angestellte aus Deutschland vertreibt, könnte eine „Zinshöhenschranke“ den betroffenen Unternehmen durch fiskalischen Übermaßzugriff das Licht löschen und die Arbeitnehmer auf Jobsuche schicken. Es bleibt nämlich immer zu bedenken, dass hohe Zinsen eine wirtschaftliche Ursache haben und nicht marktübliche Geschäfte und insbesondere nicht marktübliche Zinshöhen durch allerlei steuerliche Einkommenskorrekturen ohnehin bereits erfasst sind. Im Wirtschaftsleben sind Zinsen in der Regel deshalb hoch, weil das Unternehmen entweder einen hohen Verschuldungsgrad aufweist und / oder die Fremdkapitalkosten-Risikoaufschläge steigen. Gesellschafterdarlehen werden häufig nur deshalb ausgerollt, weil sich externe Fremdkapitalgeber nicht finden. Eine Zinshöhenschranke ist damit geeignet in wirtschaftlich schwierigen Situationen unangemessene Steuerbelastungen beizusteuern. Die Hoffnung, dass eine symmetrische Korrektur analog auch die Zinserträge des Darlehensgebers nach unten korrigiert, ist zumindest beim Verfasser dieser Zeilen nicht allzu ausgeprägt. Schließlich hat sich der frühere Finanzminister und designierte Bundeskanzler Scholz beim Thema der angemessenen Zinshöhe für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (also einem Thema, bei dem eine Zinsanpassung durch schlichte Änderung einer einfachen Zahl mittels Gesetzesänderung möglich gewesen wäre) nicht für eine Zinshöhenbegrenzung eingesetzt, bis ihm das BVerfG (Beschluss v. 8.7.2021 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) keine andere Wahl liest.

Potenzial für erhebliche Mehrbelastungen für Unternehmen hat auch die geplante Umgestaltung der Grunderwerbsteuer zu einer Anteilstransaktionssteuer, die beim Verkauf von immobilienbesitzenden Unternehmen anfällt. Gemeint ist eine erneute Verschärfung der Regelung zu Share Deals und das, obwohl die Große Koalition gerade erst mühsam einen Kompromiss hierzu gefunden hatte. Die Koalition will den Ländern damit die Gegenfinanzierung von möglichen Freibeträgen für den Erwerb selbst genutzten Wohneigentums ermöglichen. Angesichts des seit Jahren humorlos vorangetriebenen Anstiegs der Grunderwerbsteuersätze, der durch die schuldenbegünstigende Niedrigzinspolitik der EZB von einem langanhaltenden Preisanstieg der Immobilienpreise flankiert wurde und wird, bleiben allerdings leise Zweifel, ob diese Junktim am Ende wirklich für Belastungsneutralität sorgt. Für die Unternehmen wird es auf jeden Fall teurer.

Obendrauf kommen neue administrative Belastungen. Die Meldepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen soll auf nationale Steuergestaltungen ausgeweitet werden. Die Größenbeschränkung auf Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 10 Mio. Euro ist offensichtlich eher kosmetischer Natur. Schon größere Handwerksbetriebe sehen sich künftig im Fokus dieser Meldepflicht als angeblich aggressive Steuergestalter gebrandmarkt. Doch gerade auch bei dieser nur grob umrissenen Maßnahme kommt es darauf an, was die Koalition letztlich daraus macht.

Fazit: Wer auf dem Titelblatt des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ liest und sich voller Vorfreude zum Steuerteil durchblättert, findet dort eher Trippelschritte denn richtungsweisenden Fortschritt vor. Außerdem gehen etliche Schritte in die falsche Richtung. Doch Papier ist geduldig. Letztlich kommt es darauf an, was die Ampelkoalition aus den bislang nur grob umrissenen Einzelmaßnahmen macht. Vor allem der neue Finanzminister, Christian Lindner, ist aufgerufen, tatsächlich mehr Fortschritt zu wagen, als auf den ersten Blick im Kleingedruckten erkennbar ist. Als erstes sollte er den Begriff „Superabschreibung“ mit Leben füllen. Klotzen, nicht kleckern, muss die Devise lauten!


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