Vor kurzem noch habe ich bei einem Urteil des EuGH zum Steuersatz von Sudoku-Rätseln den Kopf geschüttelt. Nun musste ich erneut schütteln – diesmal bei einer Zulassung der Revision durch den BFH. Es geht um nichts weniger als die Frage, ob die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG für gemeinnützige Körperschaften entfällt, sobald eine Körperschaft in Liquidation tritt.
Die Ausgangsfrage: Steuerbefreiung „mit dem letzten Atemzug“?
Der BFH hat die Revision zugelassen, um zu klären, ob schon die Auflösung oder Aufhebung einer Körperschaft und der Eintritt in die Liquidation per se zum Verlust der Steuerbefreiung führt. Dahinter steckt eine hochbrisante Grundsatzfrage: Darf eine Körperschaft, die ihr gemeinnütziges Wirken ordnungsgemäß beendet und dabei das Vermögen nach den Regeln der §§ 55 ff. AO für gemeinnützige Zwecke bindet, plötzlich steuerpflichtig werden – nur, weil sie sich im Abwicklungsstadium befindet?
Ein Blick in die Rechtsprechung
Das FG Münster hatte den Fall als Vorinstanz (negativ) entschieden, nun liegt er beim BFH. Ganz ähnlich hatte sich schon das Sächsische FG positioniert: Auch in der „dritten Phase“, also der Abwicklung, kann eine Körperschaft gemeinnützig bleiben. Dort ging es um einen Verein, der nach der Wiedervereinigung einen Forschungsreaktor übernahm, später aber in die Phase des Rückbaus eintrat. Das Gericht stellte klar: Gemeinnützigkeit ist nicht auf die aktive Tätigkeit beschränkt, sondern kann auch während einer geordneten Abwicklungsphase fortbestehen.
Die Literatur: einheitlicher Tenor
Die Fachliteratur spricht eine deutliche Sprache. Die Steuervergünstigung darf erst mit dem tatsächlichen Erlöschen der Gesellschaft enden. Die Liquidation ist eine notwendige Phase, in der die Körperschaft weiterhin auf die Erfüllung steuerbegünstigter Zwecke „gerichtet“ ist. Schließlich gilt die Vermögensbindung auch in der Liquidation und der Grundsatz der zeitnahen Mittelverwendung muss eingehalten werden.
Ein Plädoyer für die Vernunft
Warum musste ich nun den Kopf schütteln, als ich die Zulassung der Revision gesehen habe? Es kann und darf nicht sein, dass die Steuerbefreiung im Liquidationsstadium entfällt. Gerade weil das Restvermögen zwingend gemeinnützig gebunden ist, würde eine Körperschaftsteuerpflicht in dieser Phase nur dazu führen, dass das für gemeinnützige Zwecke bestimmte Vermögen geschmälert wird. Das wäre ein Wertungswiderspruch erster Ordnung.
Stattdessen muss gelten: So wie es eine steuerunschädliche Anlaufphase gibt, braucht es auch eine steuerunschädliche Abwicklungsphase. Alles andere wäre nicht nur systematisch falsch, sondern auch ein fatales Signal an alle gemeinnützigen Träger, die ihre Arbeit geordnet und rechtstreu beenden.
Signalwirkung für die Praxis
Man mag schmunzeln, dass Gerichte über Sudoku-Steuersätze entscheiden. Doch beim Thema Gemeinnützigkeit in der Liquidation hört der Spaß auf. Hier geht es um das Vertrauen der Zivilgesellschaft in die steuerliche Förderung ihres Engagements. Ein sauberer Schlussstrich darf nicht zur Steuerfalle werden.
Die Frage ist alles andere als akademisch. Zahlreiche gemeinnützige Vereine, gGmbHs und Stiftungen stehen irgendwann vor der ordentlichen Beendigung ihrer Tätigkeit – sei es, weil Projekte abgeschlossen, Fördermittel ausgelaufen oder Strukturen nicht mehr tragfähig sind. Würde in dieser Phase die Steuerbefreiung entfallen, müssten die letzten Vermögenswerte versteuert werden, bevor sie überhaupt den in der Satzung vorgesehenen steuerbegünstigten Empfängern zufließen.
Die Folge wäre nicht nur eine empfindliche Schwächung der gemeinnützigen Wirkung, sondern auch eine fatale Verunsicherung in der gesamten Non-Profit-Landschaft. Wer sich jahrzehntelang für das Gemeinwohl engagiert hat, darf nicht damit rechnen müssen, dass der Fiskus beim ordentlichen Schlussstrich noch einmal kräftig zugreift.
Deshalb ist die anstehende BFH-Entscheidung von enormer Tragweite: Sie entscheidet darüber, ob Gemeinnützigkeit tatsächlich bis zum Ende gilt – oder ob das Vertrauen in die steuerliche Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements auf der Zielgeraden verspielt wird.
Weitere Informationen:
BFH Beschluss v. 30.07.2025 – V B 3/24 (Vorinstanz: FG Münster vom 29.11.2023 – 13 K 1127/22 K)
Sächsisches FG Urteil v. 19.03.2013 – 3 K 1143/09
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