Kann eine steuerbegünstigte GmbH, die Dienstleistungen für eine gemeinnützige Stiftung erbringt, zugleich wettbewerbsverzerrend handeln – nur weil sie kooperiert? Diese Frage stellt sich aktuell im Zusammenhang mit § 57 Abs. 3 AO. Der Bundesfinanzhof hat nun mit Beschluss vom 22.05.2025 (V R 22/23) dem EuGH mehrere Fragen zur Prüfung vorgelegt. Es geht um nichts Geringeres als die beihilferechtliche Zulässigkeit der seit dem Jahressteuergesetz 2020 geltenden Regelung für sog. Servicekörperschaften.
Hintergrund
Seit 2020 können gemeinnützige Körperschaften ihre steuerbegünstigten Zwecke auch durch ein planmäßiges Zusammenwirken mit anderen gemeinnützigen Körperschaften erfüllen (§ 57 Abs. 3 AO). Das eröffnet neuen Spielraum für Kooperationen und Ausgliederungen – etwa, wenn ein Krankenhaus seine Wäscherei auf eine separate GmbH überträgt oder eine Stiftung ihre Buchhaltung an eine verbundene GmbH auslagert. Auch diese GmbHs können als steuerbegünstigt gelten – unter gewissen Bedingungen.
Der Fall
Eine GmbH, gegründet zur Erbringung von Buchhaltungsleistungen für eine gemeinnützige Stiftung, wollte den Status einer steuerbegünstigten Körperschaft erlangen. Das Finanzamt verweigerte dies mit Verweis auf ein fehlendes „doppeltes Satzungserfordernis“ – die Kooperation sei nicht ausdrücklich auch in der Stiftungssatzung geregelt. Das Finanzgericht Hamburg gab der GmbH recht. Doch der BFH ging einen Schritt weiter und stellte die gesamte Norm europarechtlich in Frage.
Das Problem – steuerliche Bevorzugung als staatliche Beihilfe?
Durch § 57 Abs. 3 AO können Servicekörperschaften steuerlich bevorzugt behandelt werden, obwohl sie marktfähige Leistungen erbringen, die auch andere – nicht begünstigte – Anbieter anbieten. Ob diese steuerliche Bevorzugung eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV darstellt, soll nun der EuGH klären. Der BFH hält es jedenfalls für möglich, dass ein selektiver Vorteil besteht, der den Wettbewerb verzerrt.
Die Vorlagefragen:
- Ist die Steuerbegünstigung für Servicekörperschaften als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn diese Leistungen an andere gemeinnützige Körperschaften erbringen?
- Steht der Annahme einer Beihilfe entgegen, dass Servicekörperschaften den gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen (Mittelverwendung, Vermögensbindung) unterliegen?
- Handelt es sich bei der Regelung um eine „neue“ oder „geänderte“ Beihilfe, die notifizierungspflichtig gewesen wäre?
Warum das wichtig ist: Grundsätzliche Bedeutung und Warnschuss zugleich
Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um eine nicht notifizierte, beihilferechtswidrige Maßnahme handelt, hätte das massive Folgen: § 57 Abs. 3 AO dürfte nicht mehr angewendet werden. Zahlreiche Kooperationsmodelle im gemeinnützigen Sektor stünden auf dem Prüfstand – mit potenziellen Rückforderungen und dem Verlust des Gemeinnützigkeitsstatus.
Die Entscheidung des EuGH wird grundsätzliche Bedeutung für das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht haben. Sie berührt die Frage, wie viel wirtschaftliche Kooperation Gemeinnützigkeit verträgt – und wo sie in den Bereich der verbotenen Beihilfen kippt. Für die Praxis bedeutet das: Wer auf § 57 Abs. 3 AO setzt, sollte die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen – und sich auf mögliche Änderungen einstellen.
Die Vorlage des BFH wirkt wie ein Warnschuss an den Gesetzgeber: Was politisch gewollt war – Kooperationen im Non-Profit-Bereich zu erleichtern – könnte europarechtlich kippen. Der Gesetzgeber hat mit § 57 Abs. 3 AO bewusst Spielräume eröffnet, ohne die beihilferechtliche Landkarte im Blick zu behalten.
Das Gemeinnützigkeitsrecht gerät damit in einen Zielkonflikt: Einerseits sollen gemeinnützige Strukturen effizienter werden dürfen – gerade durch Ausgliederung administrativer Leistungen. Andererseits stellt sich nun die Frage, ob diese Effizienzgewinne nicht auf Kosten des Wettbewerbs erzielt werden.
Wenn der EuGH eine beihilferelevante Wirkung bejaht, steht nicht nur der § 57 Abs. 3 AO auf dem Spiel, sondern auch die praktische Umsetzbarkeit moderner Kooperationsmodelle im Dritten Sektor. Es geht nicht nur um Buchhaltung, sondern um ein Grundverständnis von Gemeinnützigkeit im 21. Jahrhundert.
Wir bleiben dran!
Ein Beitrag von:
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- Steuerberater, LL.M.
- Zertifizierter Berater für Gemeinnützigkeit (IFU/ISM gGmbH)
- Mitarbeiter in der Steuerabteilung von BW PARTNER, Stuttgart
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