Grunddienstbarkeiten nach IFRS 16 – IFRIC Agenda-Entscheidung

Mit IFRS 16 hat der IASB ein neues Konzept zur Leasingbilanzierung beim Leasingnehmer eingeführt. Danach bilanziert der Leasingnehmer grundsätzlich das Leasingverhältnis als schwebendes Geschäft, indem er ein Nutzungsrecht aktiviert und die Verpflichtung zur Zahlung der Leasingraten passiviert. Zum Konzept und einigen Detailfragen hatte ich schon verschiedentlich Blogs verfasst (siehe unten). Mit der praktischen Anwendung des neuen Nutzungsrechtekonzepts tauchen immer wieder neue Fragen auf, die teils an das IFRIC, das Interpretationskomitee zu den IFRS, herangetragen werden. Jüngst hat sich IFRIC mit der Frage der Abbildung einer Grunddienstbarkeit als Leasingverhältnis befasst.

Im erörterten Fall ging es um das entgeltlich erworbene Recht, eine Ölpipeline für zwanzig Jahre in einem vertraglich genau bestimmten unterirdischen Raum zu verlegen. Der Vertrag regelt im Detail den Verlauf der Pipeline, die Breite und Tiefe des Raumes. Der Inhaber der Grunddienstbarkeit darf Inspektionen sowie Reparaturen und Wartungsarbeiten durchführen. Dabei ist erforderlichenfalls auch ein Austausch beschädigter Teile der Pipeline möglich. Der Grundstückseigentümer hat das Recht, die Erdoberfläche während der Laufzeit zu nutzen, hat jedoch keinen Zugriff auf den unterirdischen Raum und kein Recht diesen zu verändern.

Fraglich war, ob es sich bei der vertraglichen Vereinbarung um eine Leasingvereinbarung i.S. des IFRS 16 handelt, um einen immateriellen Vermögenswert i.S. von IAS 38 oder ob ein anderer IFRS anzuwenden ist. Damit IFRS 16 einschlägig ist, müsste die Grunddienstbarkeit als Leasingverhältnis eingestuft werden und dürfte keine Ausnahmeregelung vom Anwendungsbereich des IFRS 16 vorliegen.

Um als Leasingverhältnis zu gelten, müsste die vereinbarte Grunddienstbarkeit einen identifizierten Vermögenswert i.S. von IFRS 16 betreffen und der Leasingnehmer muss über den Leasingzeitraum im Wesentlichen die wirtschaftlichen Vorteile aus der Nutzung des Leasingobjekts ziehen können und über den Einsatz des Leasingobjekts, d.h. über das Wie und das Wofür des Einsatzes, bestimmen können.

Ein eindeutig bestimmbarer Vermögenswert liegt dann vor, wenn er im Vertrag explizit spezifiziert wird. Diese Frage bejahte des IFRIC, weil der unterirdische Raum, in dem die Pipeline verlegt werden kann, vertraglich genau bestimmt sei. Damit sei der Raum physisch unterscheidbar von sonstigen Teilen des Grundstücks, vergleichbar einer vertraglich abgegrenzten Fläche an der Oberfläche. Da der Grundstückseigentümer kein Recht hat, den Raum während der Vertragslaufzeit auszutauschen, greift die Regelung für substanzielle Austauschrechte nicht. Der Leasingnehmer hat das exklusive Nutzungsrecht am definierten unterirdischen Raum und zieht damit über die Laufzeit alle Nutzenpotentiale.

Der Leasingnehmer hat das Bestimmungsrecht über den Einsatz des Objekts, wenn

  1. er das Recht hat zu bestimmen, wie und zu welchem Zweck der Vermögenswert während der gesamten Nutzungsdauer verwendet wird oder
  2. die maßgeblichen Entscheidungen darüber, wie und zu welchem Zweck der Vermögenswert verwendet wird, sind vorbestimmt und
    • (i) er entweder das Recht hat , den Vermögenswert während der gesamten Nutzungsdauer zu betreiben, ohne dass der Eigentümer das Recht hat, dies zu ändern, oder
    • (ii) er den Vermögenswert so gestaltet hat, dass im Voraus festgelegt ist, wie und zu welchem Zweck der Vermögenswert während der gesamten Nutzungsdauer verwendet wird.

IFRIC geht davon aus, dass im erörterten Sachverhalt der Fall 2.(ii) gegeben ist. Die Verwendung durch Verlegung einer Ölpipeline mit bestimmten Dimensionen im unterirdischen Raum ist vertraglich bestimmt. Weil der Leasingnehmer das Recht hat, Inspektionen, Reparaturen und Wartungsarbeiten durchzuführen, trifft er sämtliche relevanten Entscheidungen über das Objekt während der Vertragslaufzeit.

Im Ergebnis kommt IFRIC zum Ergebnis, dass es sich um ein Leasingverhältnis handelt und damit IFRS 16 für die Bilanzierung einschlägig ist. Da aus Sicht des IFRIC die Bilanzierung eindeutig aus den IFRS zu klären ist, bedarf es nicht der Entwicklung einer Interpretation, sondern eine wie zuvor begründete „Agenda-Entscheidung“ über die Nichtbehandlung des Sachverhalts ist ausreichend.

Die Begründung des IFRIC trägt nur für den behandelten besonderen Fall. Stellt sich die Rechtssituation anders da, etwa weil mehrere Infrastrukturanbieter einen unterirdischen Graben nutzen und entsprechend kein vertraglich exakt abgegrenzter Raum vorliegt, kann es zu einem anderen Ergebnis kommen. Grunddienstbarkeiten können keinesfalls per se als Leasingverhältnis nach IFRS 16 charakterisiert werden. Es bleibt immer die Prüfung des Einzelfalls.

Weitere Informationen:

Lesen Sie zu den Grundlagen auch meine weiteren Blogs im NWB-Experten Blog:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

90 − = 80