Infektion von Bewertungseinheiten durch „Corona“?

So langsam scheinen die Infektionen mit Corona zumindest temporär rückläufig zu sein. Unter anderem in der Rechnungslegung wird uns das Thema jedoch noch länger erhalten bleiben, selbst wenn wir das Glück haben sollten, von weiteren Pandemiewellen verschont zu bleiben.

In der Praxis werden vielfach Bewertungseinheiten gebildet, um vorhandene Risiken zu neutralisieren. Beispiele können etwa die Absicherung von Werten des Finanzvermögens, die Absicherung gegen Währungs- und andere Preisrisiken oder gegen Wetterrisiken sein. Lange Jahre wurde darum gestritten, ob, unter welchen Voraussetzungen und wie Bewertungseinheiten unter Durchbrechung der GoB im Jahresabschluss abgebildet werden können. Mit § 254 HGB hat der Gesetzgeber vor einigen Jahren eine grundlegende Regelung hierfür geschaffen. Literatur und Verlautbarungen des IDW greifen diese Regelung auf und befassen sich mit deren Interpretation.

Derzeit stellt sich die Frage, welche Auswirkung die aktuelle wirtschaftliche Situation im Umfeld der „Corona-Pandemie“ auf Bewertungseinheiten in der Rechnungslegung haben kann?

Die Bildung von Bewertungseinheiten wird an verschiedene Voraussetzungen geknüpft, die sich teils direkt aus dem Gesetz ergeben oder aus der Gesetzesbegründung bzw. sachlichen Notwendigkeiten abgeleitet werden. Unter anderem hat das IDW in seinem Standard RS HFA 35 Voraussetzungen definiert. Wichtige Voraussetzungen sind etwa:

  1. Ein zulässiges Grundgeschäft: Vermögensgegenstände (wobei nicht gegen Bonitätsrisiken gesicherte Forderungen nicht akut ausfallgefährdet sein dürfen), Schulden, schwebende Geschäfte, mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Transaktionen
  2. Ein zulässiges Sicherungsinstrument: nicht akut ausfallgefährdete Finanzinstrumente, wobei Termingeschäfte über den Erwerb oder die Veräußerung von Waren in diesem Zusammenhang als Finanzinstrumente definiert werden
  3. Wirksamkeit der Sicherungsbeziehung, d.h. die vom Gesetzgeber als Gegenstand einer bilanziellen Sicherungsbeziehung akzeptierten Risiken aus Grund- und Sicherungsgeschäft müssen sich ausgleichen
  4. Zeitnahe Dokumentation der Sicherungsbeziehung
  5. Durchhalteabsicht

Inwieweit kann nun die „Corona-Krise“ Auswirkungen auf bestehende, in der Vergangenheit gebildete Bewertungseinheiten haben? Hier sind mehrere Aspekte vorstellbar.

Dient als Grundgeschäft einer Bewertungseinheit eine Forderung, die nicht gegen Ausfallrisiken, jedoch gegen weitere Risiken (z.B. Fremdwährungsrisiko) gesichert wurde, darf die Forderung nicht akut ausfallgefährdet sein. Droht für die Forderung wegen wirtschaftlicher Probleme des Forderungsschuldners als Folge der „Corona-Krise“ nun ein Forderungsausfall, führt dies zum Wegfall einer Voraussetzung der Sicherungsbeziehung und damit zur Beendigung der Bewertungseinheit. Die Frage der akuten Ausfallgefährdung der Forderung ist im Einzelfall zu beurteilen. Dabei sind ggf. hinreichend konkrete staatliche Stützungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Als Sicherungsinstrument kommt ein Finanzinstrument, etwa ein Zins-Währungsswap, in Betracht. Ist nun der Vertragspartner des Sicherungsinstruments in wirtschaftliche Bedrängnis geraten und droht damit akut der Ausfall des Sicherungsinstruments, ist die bilanzielle Bewertungseinheit zu beenden.

Nichts anderes sollte in den Fällen gelten, in denen der Vertragspartner eines schwebenden Geschäfts als Grundgeschäft oder in der Form eines Termingeschäfts über den Erwerb oder die Veräußerung von Waren auszufallen droht.

Sogenannte antizipative Bewertungseinheiten, bei denen das Grundgeschäft eine mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Transaktion ist, werden nicht selten betroffen sein. So kann sich beispielsweise eine Fluggesellschaft gegen Preisschwankungen des Kerosinpreises abgesichert haben, indem sie im Jahr 2019 den aufgrund des Flugplans erwarteten Kerosinbedarf im Jahr 2020 durch Termingeschäfte abgesichert hat. Mit der im Jahr 2020 eingetretenen Einschränkung des Flugverkehrs wird nicht selten das mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Grundgeschäft wegfallen. Sind die Voraussetzungen für eine bilanzielle Bewertungseinheit damit nicht mehr erfüllt, ist diese zu beenden.

Selbst wenn die Bewertungseinheit nicht zu beenden ist, können sich bilanzielle Effekte ergeben. Wurde beispielsweise eine antizipative Bewertungseinheit zur Preissicherung eines Beschaffungsgeschäfts gebildet, ist das zusammengefasste Grund- und Sicherungsgeschäft in wirtschaftlicher Gesamtbetrachtung als ein schwebendes Geschäft zu charakterisieren. Mithin kann sich durch Preisverschiebungen insgesamt ein drohender Verlust ergeben, weswegen die Bildung einer Drohverlustrückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB erforderlich werden kann.

Wie man sieht, bestehende Sicherungsbeziehungen sind infolge der „Corona-Krise“ zu überprüfen. Dabei ist jeder Einzelfall im Hinblick auf seine Auswirkungen kritisch zu hinterfragen.

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