Keine Tarifermäßigung für Kapitalabfindung einer Direktversicherung – der BFH muss erneut entscheiden

Wer sich eine Direktversicherung in einer Summe auszahlen lässt, muss die Kapitalabfindung als sonstige Einkünfte in voller Höhe versteuern, wenn bzw. soweit die Beiträge bei Einzahlung steuerfrei waren (§ 22 Nr. 5 EStG). Das betrifft nicht nur, aber doch zumeist die Versicherungen, die seit 2005 abgeschlossen worden sind, denn die per Gehaltsumwandlung aufgebrachten Beiträge waren bzw. sind nach § 3 Nr. 63 EStG in bestimmtem Umfang steuerfrei. Bei Altverträgen kam hingegen zumeist eine Pauschalversteuerung zum Zuge, so dass Kapitalauszahlungen vielfach steuerfrei bleiben.

Wenn eine Kapitalabfindung bei den sonstigen Einkünfte zu versteuern ist, sollte man doch zumindest meinen, dass die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG zum Zuge kommen müsste. Doch weit gefehlt: Diese wird nicht gewährt – zumindest dann nicht, wenn bereits in der ursprünglichen Versorgungsregelung ein Kapitalwahlrecht enthalten ist. Im Jahre 2021 hat das FG Münster entschieden, dass die volle Besteuerung der Einmalzahlung aus einer Direktversicherung verfassungsgemäß ist (Gerichtsbescheid vom 29.10.2020, 15 K 1271/16 E). Im vergangenen Jahr hat das FG Münster diese Haltung bestätigt: Bei der Auszahlung einer Rente im Wege der Kapitalabfindung kommt die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG nicht in Betracht. Das gilt jedenfalls bei vorheriger Vereinbarung eines Kapitalwahlrechts. Damit sind Kapitalabfindungen in voller Höhe ohne jegliche Ermäßigung zu versteuern (Urteil vom 24.10.2023, 1 K 1990/22 E).

Aber: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, denn die Klägerin in dem Verfahren 1 K 1990/22 E hat die Revision eingelegt (Az. X R 25/23).

Hier noch einmal der zugrunde liegende Sachverhalt:

Die Klägerin hatte mit ihrem damaligen Arbeitgeber im Jahr 2005 die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in Beiträge zu einer Direktversicherung nach dem BetrAVG vereinbart. Die Gehaltsumwandlung sollte nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei sein. Der Arbeitgeber schloss daraufhin für die Klägerin eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Danach sollte an die Klägerin eine lebenslängliche monatliche Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen. Im Streitjahr 2019 übte die Klägerin das Kapitalwahlrecht aus und erhielt ca. 44.500 Euro ausbezahlt. Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente nach § 22 Nr. 5 EStG und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die Klägerin beantragte dagegen die Anwendung der Tarifermäßigung, da der Gesetzeswortlaut von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfüllt sei. Die Kapitalabfindung sei in einer Summe ausbezahlt worden, so dass die erforderliche Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum vorgelegen habe. Das FG hat die Klage dennoch abgewiesen.

Die Begründung des FG in Kurzform:

Für die Anwendung von § 34 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG bedarf es neben einer Zusammenballung von Einkünften auch einer „Außerordentlichkeit“. Hieran fehle es im Streitfall.

Eine Kapitalauszahlung ist nur dann außerordentlich, wenn das Kapitalwahlrecht lediglich in atypischen Einzelfällen ausgeübt wird. Dafür bedürfe es nach Ansicht des BFH aber statistischen Materials von Organisationen und Verbänden der Anbieter (BFH-Urteile vom 11.6.2019, X R 7/18 und vom 6.5.2020, X R 24/19). Dieses liege jedoch nicht vor. So sei ein vom FG Köln unternommener Versuch, derartiges statistisches Material zu erhalten, unergiebig geblieben, da die angefragten Organisationen keine entsprechenden Statistiken geführt hätten (FG Köln, Urteil vom 30.9.2021, Az. 15 K 855/18).

Die Klägerin trage die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer ermäßigten Besteuerung. Da sie die Außerordentlichkeit von Kapitalabfindungen aber nicht nachweisen könne, komme eine Ermäßigung nicht in Betracht (Quelle: FG Münster, Newsletter November 2023).

Denkanstoß:

Das FG Münster hatte es schön ausdrückt: „Dem BFH ist Gelegenheit zu geben, über die Ausschärfung der Kriterien zur Bestimmung der Atypik bei Kapitalauszahlungen von Renten erneut zu entscheiden, da er bei seinen bisherigen Entscheidungen (irrtümlich) davon ausgegangen ist, dass statistisches Material über die Häufigkeit der Ausübung von Kapitalwahlrechten verfügbar ist.“

Ich bin gespannt, wie der BFH nun entscheiden wird, zumal er erkennen wird, dass sich seine damalige Haltung, es müsse – seitens der Vorinstanz – statistisches Material angefordert werden, als wenig erhellend herauskristallisiert hat.

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