Lehren aus Wirecard (Teil 1) – es braucht eine Bilanzpolizei

Es ist aus. Die Bilanzpolizei wird bald Geschichte sein. Doch ist dies die Lösung? Die Meldungen in der Presse haben sich seit dem 18. Juni 2020 überschlagen: An diesem Tag sollte der Geschäftsbericht des DAX-Konzerns Wirecard veröffentlicht werden. Mittlerweile wissen wir einiges mehr: Der Wirtschaftsprüfer hat das Testat verweigert, das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet. Die 1,9 Milliarden Euro soll es nie gegeben haben – diese Vorwürfe stehen auch zu zahlreichen Umsätzen und Geschäften im Ausland im Raum. Einer der Vorstände – mittlerweile Ex-Vorstand – ist auf der Flucht.

In meiner kurzen Serie „Lehren aus Wirecard“ möchte ich einige Themen ansprechen, die aufgrund dieses Bilanzskandals diskutiert werden sollten. Der Fall hat vor allem international auch große Wellen geschlagen. Damit das Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt wiederhergestellt werden kann, bedarf es einiger Reformen.

Und niemand ist’s gewesen…

Warnungen und Kritik an dem Zahlungsdienstleister hatte es schon seit langer Zeit immer wieder gegeben – dies wollte offenbar kaum jemand hören. Der Satz von Big Manni, dem Drahtzieher der Bilanzmanipulationen des badischen Unternehmens Flowtex – hatte in der Dokumentation letztes Jahr gesagt: „Die Leute glauben nicht, was sie sehen. Sie sehen, was sie glauben.“

Die Bundesregierung hat der DPR, der sog. „Bilanzpolizei“, den Vertrag zu Ende 2021 gekündigt. Die Probleme sind damit keinesfalls gelöst. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie solche Skandale künftig verhindert werden können. Warum wurde die DPR eigentlich im Jahr 2005 gegründet? Richtig, um genau solche Skandale zu vermeiden. Verantwortungen werden derzeit zwischen der Bafin und der DPR hin- und hergeschoben. Niemand fühlt sich verantwortlich. Wirecard wurde sogar noch geschützt, da es immer wieder Gerüchte zu Markmanipulationen der Shortseller gegeben hat.

Was jetzt zu tun ist – Vorschläge

Die Abschaffung der DPR ist meines Erachtens nicht der richtige Schritt. Es braucht eine „Bilanzpolizei“. Allerdings muss einiges nachgebessert werden. Hier ein paar Vorschläge:

  1. Die Aufgabe sollte nicht wie bisher an einen privaten Verein übertragen werden.
  2. Der Präsident einer Bilanzpolizei sollte nicht gleichzeitig in Aufsichtsräten großer Unternehmen sitzen dürfen, die gleichzeitig von seinen Mitarbeitern geprüft werden können. Vor allem der gleichzeitige Vorsitz im Prüfungsausschuss ist meines Erachtens ein Interessenskonflikt, der vermieden werden muss.
  3. Wenn die Bafin diese Aufgabe künftig erfüllen soll, benötigt sie dafür ausreichendes Personal. Die DPR hatte weniger als 20 Mitarbeiter zur Prüfung von ca. 550 Unternehmen.
  4. Die Prüfung einer Bilanzpolizei sollte gesetzlich verankert werden: Unternehmen können bisher „freiwillig“ auf die Fragen antworten, sind aber dazu nicht gesetzlich verpflichtet.
  5. Bei der Neustrukturierung einer Bilanzpolizei sollte Transparenz an erster Stelle stehen. Dabei sollte diskutiert werden, welche Informationen künftig veröffentlicht werden müssen. Bisher werden nur Fehlermeldungen veröffentlicht, nicht allerdings Hinweise zur Verbesserung der Rechnungslegung oder Informationen darüber, welche Unternehmen geprüft wurden.
  6. Die veröffentlichten Fehlermeldungen im Bundesanzeiger sollten auch zusätzlich auf der Webseite der „neuen“ Bilanzpolizei veröffentlicht werden. Dabei sollten diese auf der Website so formuliert sein, dass sie für einen Nicht-Bilanzierungsexperten verständlich sind – zumindest die wesentlichsten Erkenntnisse.
  7. Der Aufsichtsrat sollte zwingend in die Prüfung der neuen Bilanzpolizei einbezogen werden. Bisher muss der Vorstand den Aufsichtsrat weder über die Prüfung informieren noch das Ergebnis erläutern. Auch sollte das Ergebnis der Prüfung zwingend an den Aufsichtsrat übermittelt werden. Eine weitere Veröffentlichungspflicht bzw. Berichterstattung bei der nächsten Hauptversammlung an die Aktionäre sollte diskutiert werden.

Zu den Reformen gibt es bereits konkrete Vorschläge an die Politik, wie beispielsweise von der Initiative „Neues Wirtschaftswunder“: Einer der Themen dieser Initiative ist eine nachhaltige Finanzwirtschaft. Aus aktuellem Anlass des Bilanzskandals bei Wirecard wurden einige Forderungen formuliert und Anfang Juli 2020 veröffentlicht.

Im zweiten Teil der Serie möchte ich die Diskussion um eine gute Corporate Governance hinsichtlich der Ausstattung und Besetzung des Aufsichtsrates diskutieren.

Lesen Sie dazu auch:

https://www.finance-magazin.de/finanzabteilung/bilanzierung/wirecard-und-der-ploetzliche-abstieg-der-dpr-2060901/

Forderungen der Initiative „Neues Wirtschaftswunder“:
https://neues-wirtschaftswunder.de/publikationen/wirecard

Meine Interviews in Radio, TV und Zeitung zum Bilanzskandal bei Wirecard finden Sie hier: https://www.carolarinker.de/presse/

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