Honorarkräfte wurden von der DRV und den Gerichten zuletzt oft als abhängig beschäftig angesehen. Die Versicherungspflicht sei nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil die Beteiligten erkennbar eine selbstständige Tätigkeit vereinbaren wollten – so das BSG etwa mit Urteil vom 28.6.2022 (B 12 3/20 R). Entscheidend war üblicherweise, dass die Honorarkräfte bzw. freien Mitarbeiter als in die Arbeitsorganisation der Auftraggeber eingegliedert galten. Dabei wurden die Anforderungen ein eine „Eingliederung in die Arbeitsorganisation“ allerdings extrem weit heruntergeschraubt. Um es überspitzt zu sagen: Mit etwas bösem Willen konnte die Eingliederung fast immer begründet werden.
Immerhin hat das BSG nun entschieden, dass ein Lohnbuchhalter, der in einer Steuerkanzlei als freier Mitarbeiter tätig ist, auch sozialversicherungsrechtlich als selbstständig, das heißt als nicht abhängig beschäftigt, gelten kann. Folglich unterliegt er nicht der Beitragspflicht in der Sozialversicherung (BSG-Urteil vom 22.7.2025, B 12 BA 7/23 R). Für mich persönlich ist das Urteil durchaus überraschend, auch wenn der Kläger bereits in den Vorinstanzen obsiegt hatte.
Der Sachverhalt in aller Kürze – Versicherungspflicht eines Lohnbuchhalters?
Ein Lohnbuchhalter (gelernter Steuerfachgehilfe) erledigt Arbeiten für kleine Unternehmen und für die Mandanten verschiedener Steuerberater. Er selbst war Beigeladener in dem Verfahren; Kläger war der beauftragende Steuerberater. Vertraglich wurde unter anderem geregelt: „Als Vergütung vereinbaren die Vertragsparteien ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 35 % des Nettoumsatzes, den der Auftraggeber mit den vom Auftragnehmer zu bearbeitenden Aufträgen erzielt … Der Auftragnehmer darf und soll auch für andere Auftraggeber tätig sein und erklärt, dass er bei Aufnahme dieser selbstständigen Tätigkeit mehrere solcher Auftraggeber hat und die Einnahmen hieraus mehr als 1/6 der in diesem Vertrag vereinbarten Einnahmen betragen.“
Der Beigeladene war etwa 50 bis 55 Stunden pro Monat als freier Mitarbeiter für die Steuerkanzlei tätig und machte geltend, dass er dauerhaft auch für andere Auftraggeber in nicht unerheblichem Umfang tätig sei. Er nutze für die von ihm übernommenen Aufträge teilweise die Räumlichkeiten der Kanzlei des Klägers sowie dessen IT-Infrastruktur, wofür ihm ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt in Höhe von 35 Euro (netto) in Rechnung gestellt werde. Der Beigeladene musste sich während des Auftragsverhältnisses einen Pool-Arbeitsplatz aussuchen. Der Beigeladene und der Kläger stellten gemeinsam einen Antrag auf Statusfeststellung des Beigeladenen als „Sachbearbeiter Lohn“. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) stellte fest, dass die Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Doch die Klage des Steuerberaters beim Sozialgericht war erfolgreich. Und auch die Berufung der DRV beim Landessozialgericht und ihre Revision beim BSG wurden zurückgewiesen. Die Tätigkeit des Lohnbuchhalters bei dem Kläger unterlag nicht der Versicherungspflicht.
Die Begründung – abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit?
Bei Gesamtbetrachtung der Umstände halten sich die Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung die Waage mit den Indizien, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen könnten. Gegen eine Fremdbestimmung spreche das Fehlen örtlicher, zeitlicher oder inhaltlicher Vorgaben. Weisungen bei der Durchführung der klar umrissenen Leistungen des Beigeladenen waren vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen und wurden nach den gerichtlichen Feststellungen auch tatsächlich nicht erteilt. Die Verantwortung musste auch nicht aus berufsrechtlichen Gründen durch den Kläger als Steuerberater wahrgenommen werden, weil der Beigeladene als gelernter Steuerfachgehilfe die laufende Lohnabrechnung nach § 6 Nr. 4 StBerG geschäftsmäßig ausüben durfte. Für die freigestellte Nutzung der Büroräume wurde ihm ein pauschaliertes monatliches Nutzungsentgelt in Rechnung gestellt.
Diese und weitere dem Beigeladenen eingeräumten Freiheiten waren hier erkennbar darauf ausgelegt, Raum für seine anderweitige unternehmerische Betätigung zu belassen. Durch die am erwirtschafteten Umsatz und nicht allein am zeitlichen Aufwand orientierte Vergütung trug der Beigeladene auch das unternehmerische Risiko einer ineffektiven oder mangelhaften Arbeitsweise. Da hier die Umstände bei einer Gesamtabwägung gleichermaßen für eine abhängige Beschäftigung wie für eine Selbstständigkeit sprechen, ist dem Willen der Beteiligten, eine selbstständige Tätigkeit zu vereinbaren, ausnahmsweise eine gewichtige Bedeutung beizumessen. Da sich dieser Wille bereits deutlich aus dem Vertrag ergibt, kommt es auf den Status im bisherigen Berufsleben des Beigeladenen schon deshalb nicht entscheidungserheblich an (Quelle: BSG, Terminbericht Nr. 23/25).
Denkanstoß:
Es wird sich zeigen, wie die DRV, die Sozial- und die Landessozialgerichte auf die Entscheidung reagieren werden. Eines zeigt sie aber schon jetzt deutlich: Die DRV darf nicht (mehr) mit typisierenden und pauschalierenden Betrachtungsweisen argumentieren. Vor allem aber muss sie die „Gesamtumstände“ in den Blick nehmen. Wenn jemand genügend Freiheiten hat, um auch für andere Auftraggeber tätig zu sein und diese Freiheiten auch nachweislich nutzt, so ist dieser Umstand zu berücksichtigen. In der Praxis sollen natürlich dennoch genügend Argumente gesammelt und vorgetragen werden, um auch im konkreten Auftragsverhältnis nachzuweisen, das man – angesichts zahlreicher Freiheiten und eines hohen Unternehmerrisikos – eben nicht in die Arbeitsorganisation des betreffenden Auftraggebers eingegliedert ist.
Es soll im Übrigen nicht verschwiegen werden, dass sicherlich auch die variable Vergütung im Besprechungsfall ein gewichtiges Indiz für die Annahme einer nicht abhängigen Beschäftigung war. Ob die Vertragsparteien dies – anstelle eines festen Stundensatzes – möchten, steht auf einem anderen Blatt.
Ein Beitrag von:
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- Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
- Autor zahlreicher Fachbeiträge
- Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe
Warum blogge ich hier?
Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.