Mindestlohnanhebung und Schutz der Tarifautonomie

Bundesarbeitsminister Heil hat Mitte September 2024 unter Hinweis auf EU-Vorgaben eine Anhebung des Mindestlohnes auf 15 Euro/Stunde gefordert. Überschreitet er damit seine Kompetenzen?

Hintergrund

Seit 2015 gilt in Deutschland per Gesetz (MiLoG, BGBl 2014 I S. 1348) ein flächendeckender Mindestlohn. Grundsätzlich gilt der Mindestlohn bundesweit für alle Beschäftigten über 18 Jahre. Auf die Branche (egal ob im gewerblichen oder kaufmännischen Bereich bzw. in Privathaushalten) oder die Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses (z. B. Mini-Job) kommt es grundsätzlich nicht an.

Der Mindestlohn wurde zum 1.10.2022 einmalig durch Änderung des Mindestlohngesetzes auf 12 Euro je Zeitstunde angehoben. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass über künftige Anpassungen der Höhe des Mindestlohns weiterhin die Mindestlohnkommission entscheidet – erstmalig wieder zum 30.6.2023 zur Anpassung der Mindestlohnhöhe mit Wirkung zum 1.1.2024. Aktuell beträgt der Mindestlohn nach der 4. MiLoAnpV (v. 24.11.2023, BGBl I Nr.321) bei 12,41 Euro brutto/Stunde, zum 1.1.2025 steigt er auf 12,82 Euro brutto/Std.

In der Alten- und Langzeitpflege sind für die betroffenen Berufsgruppen bereits zum 1.5.2024 durch Verordnung auf mindestens 15,50 Euro brutto/Std. angehoben worden, eine weitere Anhebung erfolgt zum 1.7.2025 – darüber habe ich im Blog berichtet.

Unter Hinweis auf die bis zum 15.11.2024 umzusetzende EU-Mindestlohn-Richtlinie hat Bundesminister Heil jetzt einen Anstieg des allgemeinen Mindestlohnes in den kommenden zwei Jahren auf 15 Euro brutto/Std. als „zwingende Konsequenz“ ins Spiel gebracht.

Wer entscheidet über die Anpassung des Mindestlohns?

Über die Anpassung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns entscheidet nach der Konzeption des MiLoG alle zwei Jahre eine unabhängige Kommission der Tarifpartner, die sich aus Vertretern der Arbeitgeberverbände sowie den Gewerkschaften zusammen­setzt und außerdem von Wissenschaftlern beraten wird. Die Bestimmung des gesetzlichen Mindestlohns durch die sachnäheren Sozialpartner bedeutet ebenfalls eine Stärkung der Tarifautonomie.

Die Mindestlohnkommission prüft für ihre Entscheidung im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Sie orientiert sich dabei auch nachlaufend an der Tariflohnentwicklung. Bei diesen Kriterien handelt es sich ebenfalls um Vorgaben des MiLoG.

Der zuständige Bundesminister hat ebenso wenig wie das Kabinett in Bezug auf die Mindestlohnhöhe originäre Entscheidungskompetenzen. Die Bundesregierung kann den Vorschlag der Mindestlohnkommission nur unverändert umsetzen und nicht ei­genständig eine andere Höhe festsetzen. Mit entsprechenden Regierungsverordnungen, der sog. Mindestlohnverordnung, werden die vorgeschlagenen Mindestlohnhöhen für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer rechtsverbindlich umgesetzt. Soll davon abgewichen werden, kann nur der Bundestag durch ein förmliches Gesetz etwas Abweichendes regeln.

Bewertung

Ist die politische Erwartungshaltung des Bundesarbeitsministers also eine fragwürdige Einmischung? Diese Bewertung liegt nahe, denn mit öffentlichen Forderungen nach einer bestimmten Mindestlohnhöhe entfernt sich das Mitglied einer Bundesregierung von einer tarifpolitisch geprägten Mindestlohnentwicklung, wie der Gesetzgeber sie selbst im Gesetz (§ 9 MiLoG) für richtig erklärt hat. Wenn der Staat durch seinen Fachminister selbst die Lohnentwicklung zu beeinflussen versucht, begibt er sich auf ein gefährliches Glatteis und stellt die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) in Frage.

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