Neuigkeiten von den Finanzamtszinsen – Keine Änderung im Rahmen des JStG 2020

Wiederholte politische Vorstöße, den derzeit geltenden Finanzamtszins von sechs Prozent/Jahr (§ 233 AO) auf ein marktgerechtes Niveau zu senken, waren erfolglos (z.B. BR-Drucks. 396/18, 397/18 vom 21.9.2018) – ich habe berichtet. Jetzt hat der Bundesrat am 9.10.2020 abermals abgelehnt, den gesetzlichen Zins zu halbieren und auf 3 Prozent/Jahr abzusenken.

Hintergrund

Der Streit um die Höhe der Finanzamtszinsen, die nach § 238 AO derzeit 0,5 Prozent pro Monat (also 6 Prozent im Jahr) betragen, schwelt seit Jahren. Eskaliert ist der Konflikt, seit der BFH in einem Sofortverfahren ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen den aktuellen Zinssatz geäußert und deshalb die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides angeordnet hat (v. 25.4.2018 – IX B 21/18 und v. 3.9.2018 – VIII B 15/18).

Das BMF hat daraufhin seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 aus (BMF-Schreiben v. 14.12.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01), hält aber im Übrigen im Anwendungserlasses zur Abgabenordnung  am Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat fest (AEAO v. 31.1.2019 – IV A 3 –S 0062/18/10005). Das BVerfG hatte bereits 2019 verlautbart, dass es  noch in 2019 entscheiden wollte, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO von 0,5 Prozent für jeden Monat (also 6 Prozent/Jahr) für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2009 beziehungsweise nach dem 31.12.2011 verfassungswidrig ist (BVerfG 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) – daraus ist bislang nichts geworden, obwohl eine Entscheidung mehrfach angekündigt war.

JStG 2020 – Chance zur gesetzlichen Regelung vertan

Der Bundestag hat am 8.10.2020 in erster Lesung das JStG 2020 behandelt und die Überweisung an die Ausschüsse beschlossen (BT-Drs. 19/22850). Der Bundesrat hat sich am 9.10.2020 im ersten Durchgang mit dem JStG 2020 befasst. Der Wirtschaftsausschuss hatte dabei dem Bundesrat empfohlen (BR-Drs. 503/1/20 v. 9.10.2020, S. 171):

„Der Bundesrat hält vor dem Hintergrund der hohen Belastung der Wirtschaft durch die Corona-Pandemie weitere Maßnahmen zur Stärkung der Unternehmen und zur Belebung der Konjunktur für erforderlich und bittet im weiteren Gesetzgebungsverfahren insbesondere die Halbierung des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 S. 1 AO.“

Die vorgeschlagene Halbierung des Zinssatzes diene der Entlastung der Wirtschaft von Bürokratie und Kosten und setze zusätzliche Mittel für Investitionen frei.
Dieser Vorschlag war im Bundesrat nicht mehrheitsfähig und nicht beschlossen (BR-Drs. 503/20 (Beschluss) v. 9.10.2020, Ziff. 61, S. 86). Damit bleibt der gesetzliche Finanzamtszins (§ 238 Abs.1 S.1 AO) auch weiterhin unverändert bei 0,5 Prozent im Monat bzw. 6 Prozent im Jahr.

Bewertung: Was bedeutet das für den Steuerzahler?

Der aktuelle Leitzins in Deutschland beträgt 0,0 Prozent. Wer in mündelsichere Kapitalanlagen investieren will, zahlt häufig Verwahrgebühren, erzielt also einen negativen Zins auf das eingesetzte Kapital. Vor diesem Hintergrund mutet der gesetzliche Finanzamtszins von 6 Prozent/Jahr weltfremd an, er hat mit dem realen Marktgeschehen nichts zu tun. Das ist merkwürdig, weil der Gesetzgeber mit den Zinsen, die er selbst erhebt (z.B. Nachzahlungszinsen) den wirtschaftlichen Vorteil abschöpfen will, den der Steuerzahler scheinbar hat, wenn er ein dem Fiskus zustehenden Geldbetrag selbst wirtschaftlich nutzt. Umgekehrt könnte man für den Fall der Erstattungszinsen, die der Steuerpflichtige ab dem 15.ten Monat nach Ende des Veranlagungszeitraums erzielt, ein gutes Geschäft macht: 6 Prozent Jahreszins bei einem solventen Zahlungsschuldner ist in Tiefzinsphasen ein gutes Geschäft.

Aber Vorsicht! Inzwischen erklären die Finanzämter Steuerbescheide in Bezug auf festgesetzte Zinsen für vorläufig (§ 165 Abs.1 S. 2 AO).
Die Folge: Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Festsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Festsetzung oder Änderung von Amts wegen aufgehoben. Ein Einspruch ist dann nicht erforderlich.
Aber: abhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte unter Umständen auch eine Aufhebung oder Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen erfolgen.

Die „Hängepartie“ um die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Finanzamtszinses birgt also ein hohes Nachzahlungs- bzw. Rückzahlungsrisiko für vereinnahmte Zinsen, selbst über mehrere Jahre zurück. Dieser Zustand ist unbefriedigend: Er trägt nicht zur Rechtssicherheit bei und provoziert geradezu spätere Prozesse über (zurückzuzahlende) Zinsen. Vor diesem Hintergrund ist die anhaltende Verweigerungshaltung der Politik, den Finanzamtszins an marktgerechte Verhältnisse wenigstens mit Wirkung für die Zukunft nur noch mit Kopfschütteln zu beantworten.

Quellen


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