Nicht nachvollziehbare Finanzamtsauffassung: Kindergeld bei behinderten Kindern

Für ein volljähriges Kind, das wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten besteht ausweislich nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG auch dann Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind älter als 25 Jahre ist. Voraussetzung dabei ist (wortwörtliches Zitat aus dem EStG), „dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.“ Exakt bei dieser Thematik stellt ein Finanzamt nun die Frage nach dem Huhn und dem Ei, obwohl die Rechtslage eigentlich eindeutig ist.

Im Urteilsfall war ein Kind mit einem Gendefekt bereits geboren worden. Nach Eintritt des 25. Lebensjahres führte dieser dazu, dass sich das Kind nicht mehr selbst unterhalten konnte. Das Finanzamt argumentiert nun, dass der angeborene Gendefekt für die Frage des Kindergelds unerheblich ist, weil die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt erst nach dem 25. Lebensjahr eingetreten ist.

Schon im Hinblick auf das Gesetzeszitat ist diese Meinung des Finanzamtes kaum nachvollziehbar. Denn der, aufgrund der bisherigen Rechtsprechung und nach § 2 Abs. 1 SGB IX, als Behinderung zu bezeichnende Gendefekt ist ja bereits angeboren gewesen. Nach Adam Riese also vor dem 25. Lebensjahr schon vorhanden gewesen. In diesem Sinne hat auch das FG Köln mit Urteil vom 12.01.2017 (Az: 6 K 889/15) entschieden: „Ein Kind mit einem angeborenen Gendefekt (hier Myotone Dystrophie Curschmann-Steinert) ist auch dann als Kind i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen, wenn die behinderungsbedingte Unfähigkeit des Kindes, sich selbst zu unterhalten, erst nach dem 27. Lebensjahr eingetreten ist.

Spätestens an dieser Stelle hätte sich das Finanzamt auch menschlich zeigen können und den Fall nicht weiter verfolgen müssen. Vielmehr zog der Fiskus jedoch in Revision, so dass nun der BFH unter dem Aktenzeichen XI R 8/17 klären muss, ob für ein volljähriges Kind Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn bei ihm ein Gendefekt erst nach Erreichen der Kindergeld-Altersgrenze diagnostiziert wird und es davor seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten konnte.

Tatsächlich hätte der Fiskus sich mit einem Rückzug nicht nur menschlich gezeigt, sondern auch Rechtsprechung des BFH beachtet. Mit Urteil vom 09.06.2011 hat der BFH (Az: III R 61/08) nämlich bereits entschieden: „Voraussetzung für die Berücksichtigung eines über 27 (bei Behinderungseintritt nach dem 31. Dezember 2006: 25) Jahre alten behinderten Kindes ist nicht, dass neben der Behinderung auch die dadurch bedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bereits vor Vollendung des 27. (bzw. 25.) Lebensjahres vorgelegen hat.“

Jetzt können sich oberste Richter natürlich auch mal irren, denn die sind ja auch nur menschlich. Hier scheinen sie sich jedoch nicht zu irren, denn der erste Leitsatz der Entscheidung vom 04.08.2011 (Az: III R 24/09) lautet: „§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG setzt nicht voraus, dass neben der Behinderung des Kindes auch dessen behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vor Erreichen des 27. Lebensjahres eingetreten sein muss.“ Es bleibt die Frage: Warum ein solcher Sachverhalt seitens des Finanzamtes erneut bis vor dem BFH getrieben wird?

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