OVG Lüneburg kippt Corona-Quarantäne-Pflicht – was bedeutet das für die Wirtschaft?

Wer aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehrt, muss nicht mehr für zwei Wochen in Quarantäne – jedenfalls in Niedersachsen nicht. Dies hat das OVG Lüneburg (v. 11.5.2020 – 13 MN 143/20) entschieden. Die Entscheidung hat über den entschiedenen Einzelfall hinaus weitreichende Bedeutung, auch für die Wirtschaft.

Hintergrund

Das niedersächsische OVG in Lüneburg hat eine Bestimmung in der Corona-Verordnung des Landes für unwirksam erklärt, nach der sich Reiserückkehrer aus dem Ausland auch ohne konkreten Ansteckungsverdacht in eine 14tägige Quarantäne hätten begeben müssen (§ 5 Nds. InfSchV vom 8.5.2020, Nds. GVBl S. 97). Hiergegen wandte sich der Antragsteller, der Eigentümer einer Ferienhausimmobilie in Südschweden ist, im Rahmen eines Normenkontrollantrags (§ 47 VwGO). Jetzt hat das OVG Lüneburg dem Antrag stattgegeben:

  • Fehlende gesetzliche Ermächtigung:
    Das OVG hat beanstandet, dass die Voraussetzung des § 32 Bundes-Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht erfüllt seien. Nach § 30 IfSG kommt die Verhängung von Quarantänemaßnahmen nur unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht. Ein aus dem Ausland Einreisender kann nicht pauschal als Krankheits- oder Ansteckungsverdächtiger angesehen werden. Hierfür ist vielmehr Voraussetzung, dass es berechtigte konkrete Gründe dafür gibt, dass der Betroffene Krankheitserreger aufgenommen hat. Die Einbeziehung weiterer Personengruppen in den Kreis derjenigen, gegen die Quarantänemaßnahmen gerichtet werden können, wie die der aus dem Ausland Einreisenden, ist Aufgabe des Gesetzgebers selbst und nicht des Verordnungsgebers. Das ist wichtig: Denn hiermit bringt ein weiteres OVG in Deutschland klar zum Ausdruck, dass infektionsschutzrechtliche Maßnahmen mit Rücksicht auf den tiefgreifenden Eingriff in grundrechtlich verbürgte Freiheitsrechte dem Parlamentsvorbehalt unterliegen, also einer Grundlage im förmlichen Gesetz bedürfen.
  • Ausweisung von Risikogebieten möglich:
    Das Gericht betont auch, dass durch Rechtsverordnung auf der Grundlage tatsächlich nachvollziehbarer Erkenntnisse Risikogebiete deklariert werden können, die die Verhängung einer Quarantäne bei Einreise aus dem Ausland rechtfertigen. Dies wäre etwa der Fall bei einer Einreise aus Gebieten, die erwiesenermaßen sehr hohe Infektionszahlen aufweisen. Dies wäre eher möglich als eine pauschale Quarantäneanordnung.
  • Meldepflichten bei den Infektionsschutzbehörden:
    Alternativ wäre – statt einer pauschalen 14tägigen Quarantäne-Pflicht – auch eine Pflicht des aus dem Ausland Einreisenden zur unverzüglichen Meldung bei den jeweils zuständigen Infektionsschutzbehörden möglich. Diese könnten dann gegebenenfalls auf Basis von Befragungen oder Tests notwendige Maßnahmen ergreifen.

Bedeutung der Entscheidung auch für andere Bundesländer

Die für unwirksam erklärte Regelung beruht auf einer zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Länder abgestimmten Musterverordnung, die von allen Bundesländern im Wesentlichen inhaltsgleich als Rechtsverordnung erlassen worden ist. Deshalb hat die Entscheidung des OVG Lüneburg über den entschiedenen Einzelfall hinaus weitreichende Bedeutung. Dem Vernehmen nach ist derzeit bereits ein ähnliches Verfahren gegen die grundsätzliche Quarantänepflicht auch vor dem OVG Münster anhängig.

Auswirkungen auf die Reisetätigkeit in der gewerblichen Wirtschaft

 Die OVG-Entscheidung zur Quarantänepflicht hat auch grundsätzliche Bedeutung für weite Teile der gewerblichen Wirtschaft. Viele Unternehmen entsenden ihre Mitarbeiter berufsbedingt ins Ausland, etwa bei Dienst- und Werkleistungen, im Logistikbereich, im Gesundheitswesen oder im Pflegebereich bis hin zu Angehörigen von Rettungsdiensten und Katastrophenschutz. Auch in umgekehrter Richtung sind zur Unterstützung der Wirtschaft im Inland oder der Versorgung der Bevölkerung Einreisen aus dem Ausland zum Zweck einer mehrwöchigen Arbeitsaufnahme in Deutschland erforderlich, z. B. bei Saisonarbeitnehmern.

Für all diese Arbeitnehmergruppen, die aus Deutschland aus- und dann wieder einreisen, oder aber aus dem Ausland nach Deutschland einreisen müssen, gab es schon bislang in den Quarantäne-Verordnungen der Länder Ausnahmeregelungen. § 5 Abs. 3 der niedersächsischen InfSchV sieht etwa vor, dass Personen ohne Covid-19-Symptome nicht der Quarantänepflicht unterliegen, wenn sie sich weniger als 48 Stunden im Ausland aufgehalten haben. § 5 Abs. 4 und 5 der Verordnung sehen weitere Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen vor, vorausgesetzt sie weisen keine Symptome einer Erkrankung an Covid-19 auf.

Diese Ausnahmeregelungen in den Quarantänebestimmungen der Länder sind allerdings bislang an einschränkende Voraussetzungen geknüpft: So setzen die Verordnungen etwa voraus, dass es sich bei der Personengruppe um „unaufschiebbar beruflich bedingt“ Berufstätige Personen handelt oder solche, die Leistungen für „kritische Infrastrukturen erbringen“, die „dringliche“ Tätigkeiten auszuführen haben oder für die eine Befreiung erforderlich wird, wenn dies „zur Vermeidung besonderer Härten erforderlich“ ist. Liegen diese engen Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände nicht vor, ist bislang nach den Quarantäneverordnungen der Länder die Konsequenz, dass auch diese berufsbedingten Arbeitnehmergruppen bislang „pauschal“ in eine 14-tägige Quarantäne müssen. Das kann für Arbeitgeber sehr kostspielig werden, die auf die Arbeitskräfte nicht zugreifen könne, sie aber bezahlen müssen. Mit dieser „pauschalen“ Konsequenz dürfte jetzt nach der Entscheidung des OVG Lüneburg Schluss sein. Hierzu passt, dass die am 16.3.2020 an den Grenzen zu Dänemark, Luxemburg, Frankreich, Österreich und der Schweiz geltenden Grenzkontrollen nach einem Beschluss der Bunderegierung vom 13.5.2020 schrittweise ab 16.5.2020 wieder gelockert werden sollen: Bislang darf nur einreisen, wer einen „triftigen Grund“ hat, zum Beispiel Berufspendler, Angehörige medizinischer Berufe oder EU-Bürger auf dem Weg ins Heimatland.

Quelle
OVG Lüneburg v. 11.5.2020 – 13 MN 143/20


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