Rentenurteile des BFH: Was ist nun zu tun?

Wenn ich mich derzeit mit Kollegen, aber auch mit Mandanten und Freunden unterhalte, scheint es beim Thema „Rentenurteile des BFH“ zwei Parallelwelten zu geben: Während mir die Steuerprofis immer wieder signalisieren, dass sie in der Praxis kaum Einsprüche, geschweige denn Klagen gegen eine vermeintliche Doppelbesteuerung geführt haben, erkenne ich bei den Bürgerinnen und Bürger hingegen ein großes Interesse.

Sicherlich wurde dieses Interesse hervorgerufen durch die Berichterstattung im TV und den Tageszeitungen. Die großen Medien haben ihr Augenmerk allerdings nicht so sehr auf die Auswirkungen der Urteile für die „Altfälle“ gelegt, sondern vielmehr auf die Aussage des BFH, dass künftige Rentnerjahrgänge von einer Doppelbesteuerung betroffen sein können. Wobei: Mir gibt die die Pressemeldung des BFH ehrlich gesagt große Rätsel auf. Sie lautet unter anderem: „Bei Anwendung dieser Berechnungsgrundsätze konnte die Revision der Kläger keinen Erfolg haben. Angesichts des noch recht hohen Rentenfreibetrags von 46 % der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung. Diese zeichnet sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen wird, ab. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.“ Was heißt denn aber „spätere Rentnerjahrgänge“?

In den Urteilen ging es um die Rentnerjahrgänge 2007 und 2009. Bezieht sich das Wort „spätere“ denn nun auf die Jahre ab 2010? Oder auf die Jahre ab 2022? Das BMF scheint einer Pressemeldung zufolge das Jahr 2025 in den Blick zu nehmen

Aber lassen wir diese Wortspielerei einmal beiseite: Die Frage lautet, was derzeitige Rentnerjahrgänge nun tun müssen. Die Antwort: Bescheide sammeln und rechnen, rechnen, rechnen.

Mein Kollege Matthias Trinks hat in seinem Beitrag BFH urteilt zur Rentensteuer ­– Umsetzung in der Mandatsbetreuung bereits die Formel benannt:

Doppelbesteuerung = steuerfreie Rente < Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen

Und dieser Nachweis muss vom Rentner erbracht werden. Dazu muss er ein Berechnungsschema erstellen und dem Finanzamt die entsprechenden Unterlagen vorlegen. Um es klar zu sagen: Der BFH und der Fiskus verlangen vom Steuerpflichtigen, die Steuerbescheide der letzten 30, 40 oder gar 45 Jahre beizubringen! Nur ausnahmsweise sei „bei einer fehlenden Möglichkeit oder bei Unzumutbarkeit der Darlegung einzelfallbezogener Angaben der Anteil der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen nach sachgerechten Maßstäben zu schätzen.“ – so der BFH in der Entscheidung X R 20/21.

Bringen Steuerpflichtige das Berechnungsschema und die geforderten Unterlagen nicht bei, dürfen sie davon ausgehen, dass ihr Antrag oder ihr Einspruch binnen weniger Tage als unbegründet zurückgewiesen wird. Dann bleibt nur noch die Klage mit einem hohen Kostenrisiko. Die Finanzverwaltung will – so mein Eindruck – einem aufkommenden Massenverfahren von vornherein einen Riegel vorschieben (in diesem Sinne auch ein Beitrag in der Sendung „Plus-Minus “ vom 2.6.2021).

Die Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung ist zugegebenermaßen extrem schwierig. Dazu muss einerseits anhand der Steuerbescheide vergangener Jahre ermittelt werden, in welcher Höhe die Rentenbeiträge steuerlich entlastet wurden und andererseits in welcher Höhe die Renteneinkünfte nun „befreit“ werden. Das heißt, anhand der voraussichtlichen Lebenserwartung nach der so genannten Sterbetafel sind die prognostizierte Rentenhöhe und der steuerfreie Rentenanteil zu berechnen. Da muss man Spaß am Rechnen haben.

Natürlich können betroffene Rentner auch ihre jeweiligen Steuerberater kontaktieren. Doch der Aufwand, der selbstredend zu honorieren wäre, ist enorm. Es werden einige Stunden Rechenarbeit zusammenkommen, sofern dies überhaupt geleistet werden kann. Es mag Kollegen geben, die das vielleicht effizient in ihren Kanzleialltag integrieren können und bei denen sich die entsprechenden Beratungshonorare in Grenzen halten. Mir selbst ist bislang aber niemand persönlich bekannt, der das schafft.

Überhaupt dürfte es nicht um Millionen von Rentnern gehen, sondern eher über „Sonderfälle“, etwa um Personen, die in der Vergangenheit extrem hohe Beiträge in ein Versorgungswerk eingezahlt haben, ohne diese seinerzeit hinreichend steuerlich geltend machen zu können und ohne heutzutage von der Öffnungsklausel zu profitieren. Aber: Es gibt sie, diese Sonderfälle. Und diese sollten ihre Rechte wahren, indem sie aktuelle Steuerbescheide anfechten.

Letztlich bleibt also festzuhalten:

Eine Doppelbesteuerung ist auch bei den derzeitigen Rentnerjahrgängen im Einzelfall im Bereich des Möglichen, muss aber hinreichend begründet sein. Ein „einfacher Einspruch“ allein wird nichts nützen.  Vielmehr ist dem Finanzamt die Doppelbesteuerung anhand eines Berechnungsschemas sowie der Steuer- und Rentenbescheide vergangener Jahre – besser „Jahrzehnte“ – genau darzulegen.

3 Gedanken zu “Rentenurteile des BFH: Was ist nun zu tun?

  1. Kommentierung für den NWB Experten Block:
    Rentenbesteuerung – was ist von dem Urteil X R 20/19 zu halten?
    Hier: Wirklich keine Doppelbesteuerung bei privaten Renten?

    Aus systematischen Gründen, z. B. Leitsatz 4, Rz 4 und 22, kann es bei privaten Renten zu keiner Doppelbesteuerung kommen. Die für diese Renten geltende Ertragsanteilsbe-steuerung kann nach Ansicht des X. Senats bereits systematisch keine doppelte Besteu-erung hervorrufen, weil der durch das Gesetz festgelegte Ertragsanteil in zulässiger Wei-se die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs ty-pisiert.
    Hier bittet der Autor um Nachhilfe von den Experten, weil er dieses Dogma nicht nach-vollziehen kann.

    Dazu aus der Gesetzesbegründung, BTDrucks 15/2150, vom 9.12.2003, S. 23: Auch im heutigen Steuerrecht gibt es Typisierungen, deren Grundannahmen nicht in allen Fällen zutreffen und deren Anwendung im Einzelfall zu doppelten Besteuerungen führen kann, die jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht beanstandet werden. Bei-spielsweise stellen die in § 22 EStG ausgewiesenen Ertragsanteile eine solche Typisie-rung dar. Die Ertragsanteile nach § 22 EStG gehen von einem durchschnittlichen Zins-satz von 5,5 Prozent und einer Restlebenserwartung nach der Sterbetafel 1986/88 für Männer aus. Soweit diese Prämissen im Einzelfall nicht zutreffen (niedrigere Verzin-sung als 5,5 Prozent und/oder kürzere Lebenszeit) kann es tatsächlich zu einer dop-pelten Besteuerung kommen, die in der langjährigen Besteuerungspraxis der Ertrags-anteilsbesteuerung noch nie beanstandet oder angegriffen wurde.

    Die Typisierung der Ertragsanteile geht seit dem Alterseinkünftegesetz von einem Zins von 3%, einer Lebenserwartung bzw. Rentenbezugsdauer (RBD) nach der abgekürzten Sterbetafel 1997/99 D-m und einem Beitrag voll aus versteuertem Einkommen aus.

    Beispiel: Einmalbeitrag von 6.149 € im Alter 63 für eine Sofortrente in 2009
    Die 6.149 € müssen zum Eigentumsschutz nach Artikel 14 bzw. vollständiger Kapital-rückführung durch die Rentenbezugsdauer geteilt werden. Da diese aber niemand kennt, ist der Gesetzgeber aus Praktikabilitäts- und Vereinfachungsgründen von einer festen Rentenbezugsdauer (RBD), einer Zeitrente, s. BFH 26.11.2008, X R 15/07, Rz. 24, also einer Fiktion, ausgegangen. Er nimmt seit dem Alterseinkünftegesetz dazu die Werte aus der abgekürzten Sterbetafel 1997/99 D-m. Für einen 63-Jährigen sind es 16,77 Jah-re. 6.149 € / 16,77 Jahre = 366,67 € p.a. notwendige Kapitalrückführung zur Rückführung des Einmalbeitrags.

    Die Typisierung ergibt bei 3 % Zins und obiger Lebenserwartung einen fiktiven Ertrags-anteil von 20% und Kapitalrückführungsanteil von 80%. Da die oben erwähnten 366,67 € die 80% sind, beträgt der fiktive Ertragsanteil 366,67 / 80 x 20 = 91,67 €. Das EStG geht bei einem Einmalbeitrag von 6.149 € also von einer Jahresrente von 458,34 € aus.

    Diese fiktive Rente ist für eine Prüfung auf Kapitalrückfluß bzw. Doppel- bzw. Überbe-steuerung der tatsächlichen privaten Rente aus einem Einmalbeitrag von 6.149 € ge-genüberzustellen. Dies wurde nach staatlichen Vorgaben mit 2,25% Höchstrechnungs-zins und einer Lebenserwartung von 26,38 Jahren und Kosten in Höhe von 25,00 € bzw. 300 € p.a. kalkuliert. Nach den damaligen Überschußerklärungen konnten in 2009 aus außerrechnungsmäßigen Zinsen, Kosten- und Sterblichkeitsgewinnen zusätzlich 6,66 € mtl. bzw. 79,92 € p.a. gezahlt werden. Die Jahresrente belief sich auf 300 € + 79,92 = 379,92 €. Diese ist inzwischen aus 322 € gesunken.

    Das EStG teilt diese Jahresrente in einen 303,94 Kapitalrückführungsanteil und 75,98 Ertragsanteil auf. Da für den verfassungsmäßigen Eigentumsschutz, s.o. aber 366,67 € erforderlich sind, fehlen 366,67 – 303,94 € = 62,73 € p.a. Diese müssen vom fiktiven Er-trag abgezogen werden: 79,92 € – 62,73 € = 17,19 €. Das ist der überbesteuerte Ertrag.

    Mit diesen Ausführungen wird die Gesetzesbegründung zweifelsfrei bestätigt, daß es in bestimmten Fällen bei Abweichungen vom Zins und/oder Lebenserwartung zu Doppel-besteuerungen kommen kann. Daher wird um Expertenerklärung gebeten, wieso es laut dem BFH aus systematischen Gründen nicht zu einer Doppelbesteuerung bei privaten Renten kommen kann.

    Die folgende Grafik stellt den Kapitalverlust bzw. Doppelbesteuerung dar.

    Zusatzinformationen:
    Da im Beispiel der 63-jährige die erste Rente aber erst 4 Monate nach dem vollendeten 63. Lebensjahr begann, wäre mit 16,42 Jahren oder 197 Renten zu rechnen. Da in 2009 nach dem FÜR-Prinzip zwei Monatsrenten gezahlt wurde, wäre die Doppelbesteue-rungsprüfung entsprechend anzupassen.

    Nach dem Sitzungsprotokoll vom 23.9.2015 des FG Kassel, das im Sitzungsprotokoll vom 27.2.2017 zu Az. 7. K 2456 vom 28.5.2018 berücksichtigt und im BFH-Urteil erwähnt wur-de, ist der Einmalbeitrag durch die Lebenswartung zu teilen. Dieser Betrag muß in jedem Jahr steuerfrei dem Rentner zur Verfügung stehen. Damit geht das FG Kassel vom Pri-mat der Kapitalrückführung aus, was sich aus dem systemprägenden § 2 EStG ergibt, denn nur ein tatsächlicher Kapitalzuwachs ist danach steuerbar.
    Die Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen vom 11.3.2003 gibt auf Seite 35 den Ertragsanteil als komplementären Teil des Rückflussanteils an und bestätigt damit das Primat der Kapitalrückführung.

    Da die bisherige Rechtsprechung bei fremdfinanzierten Renten von der aktuellen Ster-betafel ausgeht, wurde in der Grafik auch diese berücksichtigt. Das ist aber z. B. nach dem BVerfG vom 6.3.2002, 1 BvL 17/99 Rz.127 nicht zulässig ist, da eine längere Ren-tenbezugsdauer den Ertragsanteil erhöhen und die Kapitalrückführung senken würde, was nach dem BFH-Urteil vom 26.11.2008, X R 15/07, Rz. 24, Satz 3, nicht geht, denn eine Abweichung von diesen Größen ist nach dem Text des EStG verwehrt. Diese Aus-führungen bzw. die Grafik hatten jedoch keine Auswirkung auf das Urteil. Der BFH geht nur von Non-Doppelbesteuerung aus, während in der Nichtzulassungsbeschwerde und Revision in der Überschrift bei der entsprechenden Tabelle „Kapitalverlust bzw. Doppel-besteuerung bei den privaten Renten ….. in 2009“ betitelt wurden!
    Der BFH hätte also anders formulieren müssen: „der durch das Gesetz festgelegte Er-tragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiert“ wenn damit die Kapitalrückzahlung in der Renten-bezugszeit, die der Ertragsanteilskalkulation zugrunde liegt, vollständig zurückge-führt wird.

    Auf weitere Punkte des Urteils, die zu kritisieren wären, wird hier nicht eingegangen.

  2. Sehr geehrter Herr Herold,
    an dem BFH-Urteil X R 20/19 vom 19.5.2021 gibt es aus meiner Sicht viel auszusetzen. Ich könnte dazu einige Punkte anführen, wo der BFH meines Erachtens z. B. die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit unzureichend beachtet hat und anderes mehr.
    Bemerkenswert und in den bisher von mir gelesenen Kommentaren FA und FG haben die Öffnungsklausel angewendet. Für das BMF war deren Anwendung rechtsfehlerfrei! Allen hat der BFH dafür nun mehrfach die rote Karte gezeigt, z. B. im Leitsatz 2, in Rz 15, in Rz 22 wird die Anwendung als rechtswidrig bezeichnet, nach Rz 45 verstößt die Finanzbehörde gegen § 22 Nr. 1 S. 3 a) bb) Satz 2.
    Nach Rz 46: 3. Die .. vom Senat vertretenen Berechnungsgrundsätze und -parameter hat zwar eine doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterseinkünften zur Folge, sodass jene Rente für das Streitjahr rechnerisch in Höhe von 42 € doppelt besteuert worden wäre. Diese verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässige doppelte Besteuerung liegt aber unterhalb der Steuerentlastung der Kläger in Höhe von 42 € we-gen der dem Kläger vom FA rechtswidrig aufgedrängten Anwendung der Öffnungsklau-sel. Aufgrund der Saldierungs-pflicht des Senats ist eine Rechtsverletzung der Kläger daher ausgeschlossen. (Anmerkung in 2009!)
    Da das FA in 2010f nicht mehr rechtswidrig gehandelt hat, besteht dort Doppelbesteuerung. Nach Rz. 80: ee) Aus alledem folgt, dass sich bei der für das Streitjahr gebotenen Nichtan-wendung der Öffnungsklausel eine auf die statistisch wahrscheinliche Gesamtlaufzeit der Altersrente erstreckende doppelte Besteuerung von rechnerisch 3.002 € ergibt. Dieser Betrag ergibt sich unter Einbeziehung der Höherversicherung (HöV) incl der Hinterbliebenenversor-gung aus HöV). Ohne diese, aus Sicht des Klägers nicht nachvollziehbaren Einschluß, wäre die Doppelbesteuerung bedeutend höher.
    Damit wurde erstmalig vom BFH eine Doppelbesteuerung festgestellt! Vielleicht war das der Auslöser, daß schon am Abend der Verkündung der Bundesfinanzminis-ter entsprechende Änderungen am EStG in Aussicht stellte.

  3. Sehr geehrte Damen und Herren, ich finde Ihren Beitrag sehr aufschlussreich. Allerdings stelle ich mir die Frage welche Unterlagen tatsächlich beigebracht werden müssen. Und was ist mit den Fällen wo Arbeitnehmer keine Steuererklärungen eingereicht haben, da es sich zum Teil um Antragsveranlagungen bis zum Renteneintritt handeln könnte. Neuerdings werden Rentner aufgefordert, teils 4 bis 5 Jahre Rückwirkend Ihre Steuererklärungen einzureichen. Das dürfte dann sicher nicht ausreichen für den Nachweis oder? Hat denn jemand schon ein Berechnungsbeispiel parat? Hat mal jemand geprüft ob sich dies überhaupt lohnt? Ich schaue auf 32 Jahre Berufspraxis zurück, allerdings hat man doch sehr selten Mandanten bis zu 30 Jahre .
    Über eine Antwort würde ich mich freuen. Mit freundlichen Grüßen Christine Klink Steuerfachangestellte/ Bilanzbuchalter

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