Rücknahme der Genehmigung zur Ist-Besteuerung bei falscher Umsatzschätzung

Das Finanzamt kann die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten genehmigen, wenn der Gesamtumsatz des Unternehmers im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 Euro betragen hat. Früher galt eine Grenze von 500.00 Euro (§ 20 Satz 1 Nr. 1 UStG).

Hat der Unternehmer seine unternehmerische Tätigkeit erst im laufenden Jahr begonnen, ist der maßgebende Gesamtumsatz nach den voraussichtlichen Verhältnissen des Gründungsjahres zu bestimmen. Für diese Prognose ist ein Gesamtumsatz nach den Grundsätzen der Soll-Besteuerung zu schätzen (BFH-Urteil vom 11.11.2020, XI R 41/18).

Was aber gilt, wenn die Prognose, also die Schätzung des Unternehmers, einen Umsatz von weit weniger als 600.000 Euro vorgesehen hat, sich diese Schätzung aber als haltlos erweist? Auch hierauf hat der BFH eine Antwort: Ist die vom Unternehmer geschätzte Summe der Umsätze für das Jahr der Betriebseröffnung unzutreffend und galt sie für die Gestattung der Ist-Besteuerung als ursächlich, so darf das Finanzamt die Genehmigung – von Beginn an – zurücknehmen (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO).

Hier zunächst der Sachverhalt in aller Kürze:
(weitere Details s. NWB Online-Nachricht Umsatzsteuer | Rücknahme der Gestattung der Ist-Besteuerung im Gründungsjahr)

Eine GbR wurde im September 2011 gegründet. Der Fragebogen zur steuerlichen Erfassung, der am 10.10.2011 beim Finanzamt eingegangen ist, weist Umsätze für das Jahr der Betriebseröffnung und für das Folgejahr in geschätzter Höhe von 30.000 Euro bzw. 100.000 Euro aus. Dem Antrag der GbR, die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten zu gestatten, entsprach das Finanzamt mit Bescheid vom 15.12.2011. Nur wenige Tage nach Eingang des Fragebogens zur steuerlichen Erfassung schloss die GbR aber einen Vertrag über die Errichtung einer Fotovoltaikanlage mit einer Gesamtvergütung von über 1,2 Mio. EUR. Nach einer Außenprüfung nahm das Finanzamt die Gestattung der Ist-Besteuerung zurück, und zwar bereits für das Gründungsjahr. Der BFH gab dem Finanzamt recht.

Die Begründung, ebenfalls in Kurzform:

Für eine Neugründung findet die Ist-Besteuerung erst dann Anwendung, wenn sie das Finanzamt durch die ihm obliegende Ermessensentscheidung genehmigt hat. Ist die vom Unternehmer geschätzte Summe der Umsätze in wesentlicher Hinsicht unzutreffend oder unvollständig, und gilt sie für die Gestattung der Ist-Besteuerung als „ursächlich“, so darf diese zurückgenommen werden (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO). Auf ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln kommt es nicht an. Allerdings muss anzunehmen sein, dass das Finanzamt bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts den begünstigenden Verwaltungsakt nicht bzw. so nicht erlassen hätte. Deshalb müssen die unrichtigen oder unvollständigen Angaben für den Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts von entscheidungserheblicher Bedeutung sein.

Eine abwägende Stellungnahme des Finanzamtes zur Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts ist nicht erforderlich.

Hinweis:

Im Urteilsfall war die Umsatzschätzung des Unternehmens so weit vom tatsächlichen Geschehen entfernt, das man sie als wenig substantiell bezeichnen konnte. Insofern ist dem BFH im konkreten Fall wohl beizupflichten. Allerdings lässt der BFH den Praktiker dennoch ein wenig ratlos zurück, da die Richter das böse Wort „Missbrauch“ nicht verwenden. Und so ist nicht sicher, wie zu entscheiden gewesen wäre, wenn die Schätzung an sich gutgläubig erfolgte, das betreffende Jahr dann aber einen unerwarteten Auftrag mit einer „Umsatzexplosion“ gebracht hätte. Könnte die Finanzverwaltung die Genehmigung zur Ist-Besteuerung dennoch zurücknehmen? Ich meine, sie dürfte es nicht tun.

Doch ich befürchte, dass sie das BFH-Urteil anführen wird, um die Genehmigung „nach besserer Erkenntnis“ zurückzunehmen. Der BFH hätte aus meiner Sicht deutlicher formulieren sollen. Der Vollständigkeit halber: Eine zweite Entscheidung des BFH vom gleichen Tag (Az. XI R 40/18) hat einen ähnlichen Wortlaut.

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