Sind die Richtsätze des BMF eine geeignete Schätzungsmethode?

Das BMF wird aufgefordert, dem Revisionsverfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist. So lautet ein aktueller Beschluss des BFH vom 14.12.2022 (X R 19/21).

Worum geht es? Hier zunächst der Sachverhalt in aller Kürze:

Der Kläger betrieb eine Diskothek. Eine Außenprüfung beanstandete die Kassen- und Buchführung als formell ordnungswidrig. Nicht nur das Finanzamt, sondern auch das FG Hamburg gelangte zu einer grundsätzlichen Schätzungsbefugnis. Es kam dann zu einem verfahrensrechtlichen „Hin und Her“. Es bleibt aber festzuhalten, dass das FG bei der Schätzung für den Ansatz eines Rohgewinnaufschlagsatzes von 300 Prozent „nur“ auf die Richtsatzsammlung des BMF zurückgegriffen hat.

Nun ging der Fall vor den BFH – und zwar bereits zum zweiten Mal in der gleichen Sache

Zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass dem BFH offenbar das gesamte Verfahren nicht schmeckt. So hatte er in dem ersten Verfahren bereits moniert, dass die Vorinstanz den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hatte, da es auf das „Fachinfosystem Bp NRW“ zurückgegriffen hatte, ohne zuvor die hieraus entnommenen Erkenntnisse dem Kläger inhaltlich zugänglich gemacht zu haben. Daraufhin wurde die Sache ans FG zurückverwiesen, das es sich offenbar abermals leicht gemacht hat und eben nur auf besagte Richtsatzsammlung des BMF zurückgegriffen hat. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zahlenwerk des Fiskus scheint das FG auch beim zweiten Mal nicht für erforderlich gehalten zu haben.

Wie dem auch sei: Der BFH ist in dem Verfahren wieder am Zuge. Und bevor er entscheidet, will er die Vertreter des BMF hören.

Unklar erscheint dem BFH insbesondere,

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden;
  • ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegensteht;
  • weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei sog. Verlustbetrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen;
  • ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung finden.

Zudem stelle sich die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung – insbesondere auch im Hinblick auf die spezifischen Daten, die dieser Sammlung zugrunde liegen – nachzuvollziehen und zu überprüfen.

Denkanstoß:

Das BMF hat nun einiges zu tun und man darf gespannt sein, ob es ihm gelingen wird, seine Richtsatzsammlung komplett zu verteidigen.

Interessant ist übrigens, dass einzelne Finanzämter ohnehin selbst nicht mehr an die Richtsatzsammlung glauben und es zunehmend Fälle gibt, in denen die Höhe der Privatentnahmen streitig ist. Soll heißen: In der Praxis ist es zumindest bei kleineren Restaurants, Bäckereien, Lebensmittelgeschäften etc. üblich, nicht jede Entnahme einzeln aufzuzeichnen. Für diese Fälle dürfen die Entnahmewerte mittels Pauschbeträgen geschätzt werden, die die amtliche Richtsatzsammlung nach Branchen getrennt vorsieht. Immer mehr Finanzbeamte halten die Beträge allerdings für zu gering. Und so hat es sogar ein Verfahren bis vor den BFH geschafft.

Die Frage in der Revision lautet: Dürfen zusätzlich zu den Pauschbeträgen für unentgeltliche Wertabgaben für Nahrungsmittel und Getränke, welche in den für die Streitjahre jeweils gültigen amtlichen Richtsatzsammlungen für Sachentnahmen bzw. unentgeltliche Wertabgaben betreffend den Gewerbezweig Nahrungs- und Genussmittel (Einzelhandel) vorgesehen sind, weitere Hinzuschätzungen für Entnahmen von Nicht-Lebensmitteln, sog. „Non-Food-Artikel“, vorgenommen werden? Das Az. beim BFH lautet: III R 28/22.

Ich bin gespannt, wie das BMF begründet, dass es in dem einen Verfahren seine Richtsatzsammlung verteidigt und diese in dem anderen Verfahren am liebsten verwerfen möchte. Manchmal kann die Steuerwelt seltsam sein.

Noch ein Wort zur Vorinstanz: In einem Verfahren wie dem aktuellen Streitfall geht es neben rein steuerlichen Erwägungen zumeist auch ums Steuerstrafrecht. Und die Richter im Strafverfahren greifen nicht selten auf die Erkenntnisse ihrer Kollegen des FG zurück. Das sollte einem FG bewusst sein. Von daher ist es kritikwürdig, wenn zur Urteilsbegründung auf eine nicht allgemein zugängliche und damit für die Verteidigung auch nicht überprüfbare Quelle zurückgegriffen wird. Im ersten Verfahren hatte das FG nicht einmal die Revision zugelassen. Diese wurde erst über eine Nichtzulassungsbeschwerde erreicht (siehe BFH-Beschluss vom 28.5.2020, X B 12/20).


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