Steuerfestsetzung „gegen Unbekannt“

Wer häufig Erbschaftsteuerfälle betreut, kann ein Lied davon singen, dass die Erbschaftsteuer-Finanzämter die Erklärungen oftmals sehr zeitnah anfordern und die Steuern festsetzen, obwohl Berater und Mandanten eigentlich noch einige Zeit für die Aufklärung von Sachverhalten oder die Beibringung von Unterlagen benötigen würden. Allein die Zusammenstellung aller Unterlagen für die ordnungsgemäße Bewertung von Immobilien benötigt Zeit, denn wer weiß bei einem etwas größeren Immobilienbestand schon genau, wie groß die jeweiligen Mietwohnungen oder Geschäftsräume exakt sind. Letztlich werden dann seitens des Finanzamts geschätzte Werte herangezogen, die mitunter viel zu hoch sind. Andererseits: Wer das eine oder andere Mal Immobiliengutachten hat erstellen lassen, die durch den Bausachverständigen der Finanzverwaltung geprüft werden müssen, hat auf diese Prüfung ein bis zwei Jahre warten müssen. Und zwar im Regel- und nicht im Ausnahmefall.

Nun gut, bei allem geht es um Fragen der sachlichen Steuerpflicht bzw. um die Höhe der Erbschaftsteuer. Irgendwie arrangiert und einigt man sich mit dem Finanzamt. Eine ganz andere Kategorie hatte aber ein Fall, den soeben der BFH entschieden hat. Hier waren nicht einmal die Erben bekannt. Und dennoch darf das Finanzamt Erbschaftsteuerbescheide „gegen Unbekannt“ erlassen (BFH-Urteil vom 17.6.2020, II R 40/17). Ich gebe zu: Dass dies zulässig ist, war mir bislang nicht bekannt und ich halte es – bei allem Respekt für den BFH – auch für seltsam.

Im Streitfall war die Erbengemeinschaft nach dem im Februar 2014 verstorbenen Erblasser zunächst nicht ermittelbar. Es wurde ein Nachlasspfleger bestellt. Dieser gab eine Erbschaftsteuererklärung ab. Etwa 14 Monate nach dem Tod des Erblassers setzte das Finanzamt Erbschaftsteuer gegen „unbekannte Erben“ fest. Es schätzte, dass 20 Personen, die nicht näher mit dem Erblasser verwandt waren und deshalb in die Steuerklasse III fielen, den Erblasser zu gleichen Teilen beerbt hätten. Der Bescheid wurde dem Nachlasspfleger bekannt gegeben. Dieser legte dagegen in Vertretung der unbekannten Erben Einspruch ein und monierte, dass er nicht ausreichend Zeit gehabt hätte, die Erben zu ermitteln. Das Finanzamt könne nicht einfach schätzen, wie viele Erben etwas geerbt hätten und wie hoch die Freibeträge seien. Daraufhin änderte das Finanzamt die Anzahl der Erwerber auf 30 Erben ab. Ansonsten hielt es die Erbschaftsteuerfestsetzung unverändert aufrecht.

FG und der BFH gaben dem Finanzamt Recht. Sind die Erben noch nicht bekannt und ist eine Nachlasspflegschaft angeordnet, kann Erbschaftsteuer gegen die „unbekannten Erben“ festgesetzt werden. Bei diesen handelt es sich zunächst um ein abstraktes Subjekt, das sich später als eine oder mehrere reale Personen herausstellen kann. Somit ist ein Schuldner für die Erbschaftsteuer vorhanden. Das Finanzamt kann sich an den bestellten Nachlasspfleger wenden, der für die unbekannten Erben eine Erbschafsteuererklärung abzugeben hat. Das Finanzamt darf dann die Anzahl der Erben, die Erbquoten, die Zugehörigkeit zu einer Steuerklasse und die anwendbaren Freibeträge schätzen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Nachlasspfleger nach dem Erbfall ausreichend Zeit hatte, zunächst die Erben zu ermitteln. Wieviel Zeit ihm dafür einzuräumen ist, kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Im Allgemeinen gilt die Faustregel, dass ein Jahr ausreichend ist.

Ruft der Nachlasspfleger das FG an, dann muss dieses die Schätzung des Finanzamts voll überprüfen. Können die zunächst unbekannten Erben bis zum Schluss des Gerichtsverfahrens ermittelt werden, darf die Erbschafsteuer aber nicht mehr gegen die unbekannten Erben festgesetzt werden. Werden die Erben auch im Verfahren vor dem FG nicht ermittelt, kann das Gericht die Erbschaftsteuerschätzung gegen die unbekannten Erben aufrechterhalten und als seine eigene übernehmen. Der BFH ist in solchen Fällen dann ebenfalls an die Schätzung gebunden und kann sie nur auf grobe Fehler überprüfen.

Die Interessen der Erben würden durch die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks hinsichtlich der Zahl der Erben, deren Erbquoten und der tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Einteilung in Steuerklassen sowie für die Bestimmung persönlicher Freibeträge in den Bescheid (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO) gewahrt. Zudem sei die Annahme, keiner der Erben werde die Erbschaft ausschlagen, nachvollziehbar, da der Erblasser im Streitfall umfangreiches Vermögen hinterlassen hat.

Weitere Informationen:
BFH, Urteil v. 17.06.2020 – II R 40/17

 

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