Totalüberschussprognose trotz Überschreitens der 66-Prozent-Grenze – BFH hebelt § 21 Abs. 2 EStG aus

§ 21 Abs. 2 Satz EStG lautet: „Beträgt das Entgelt bei auf Dauer angelegter Wohnungsvermietung mindestens 66 Prozent der ortsüblichen Miete, gilt die Wohnungsvermietung als entgeltlich.“ Auch vor 2021 war der Wortlaut kein anderer. Nun ist man also geneigt, das Wort „gilt“ mit dem Attribut „ausnahmslos“ zu versehen. Doch wer das Steuerrecht kennt, weiß, dass es so etwas wie „ausnahmslos“ kaum gibt. Und mit einer solchen – möglichen – Ausnahme musste sich jüngst BFH befassen. Vorweg: Nach Auffassung des BFH ist eine Totalüberschussprognose trotz Einhaltung der 66-Prozent-Grenze ausnahmsweise doch angezeigt, wenn es sich um die Vermietung einer aufwendig gestalteten Wohnimmobilie, handelt. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn das Objekt mehr als 250 qm Wohnfläche umfasst (BFH-Urteil vom 20.6.2023, IX R 17/21).

Der Sachverhalt:

Ein Elternpaar hatte insgesamt drei Villengebäude mit einer Wohnfläche von jeweils mehr als 250 qm erworben. Die Immobilien vermieteten sie unbefristet an ihre volljährigen Kinder. Durch die Vermietung entstanden den Eltern jährliche Verluste zwischen 172.000 Euro und 216.000 Euro. Diese Verluste verrechneten sie mit ihren übrigen Einkünften. Dadurch ergab sich eine erhebliche Einkommensteuerersparnis. Der BFH hat die Verrechnung der Verluste mit den übrigen Einkünften und die damit verbundene Steuerersparnis jedoch nicht zugelassen.

Die Begründung:

Wird eine Immobilie mit einer Wohnfläche von mehr als 250 qm vermietet, müsse der Steuerpflichtige nachweisen, dass die Vermietung erfolgt, um einen finanziellen Überschuss zu erzielen. Könne er diesen Nachweis nicht führen, weil er über einen längeren Zeitraum Verluste erwirtschaftet, handele es sich bei der Vermietungstätigkeit um eine steuerlich nicht beachtliche Liebhaberei.

Bereits in der Vergangenheit habe der BFH geurteilt, dass im Ausnahmefall eine Totalüberschussprognose angeracht sein könnte, insbesondere bei aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Objekten (z.B. Größe von mehr als 250 qm Wohnfläche; Schwimmhalle; vgl. BFH-Urteil vom 6.10.2004, IX R 30/03). Denn insoweit handele es sich um Objekte, bei denen die Marktmiete den besonderen Wohnwert nicht angemessen widerspiegelt und die sich aufgrund der mit ihnen verbundenen Kosten oftmals auch nicht kostendeckend vermieten lassen. Daher sei bei diesen Objekten anlässlich der steuerlichen Erfassung der Einkünfte regelmäßig nachzuweisen, dass über einen 30-jährigen Prognosezeitraum ein positives Ergebnis erwirtschaftet werden kann. Der BFH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung mit der aktuellen Entscheidung.

Der Wortlaut von § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG, der die oben genannte 66-Prozent-Grenze betrifft, schließe die Durchführung einer Totalüberschussprognose nicht aus. Das heißt, die Einkünfteerzielungsabsicht ist auch bei einer Vermietung zu mehr als 66 Prozent der ortsüblichen Miete zu prüfen. Der Regelungsbereich der besagten Vorschrift betreffe nur den Umfang der objektiven Entgeltlichkeit der Vermietungstätigkeit. Beträgt das Entgelt bei auf Dauer angelegter Wohnungsvermietung mindestens 66 Prozent der ortsüblichen Miete, gilt die Wohnungsvermietung nach § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG als entgeltlich. Die subjektive Einkünfteerzielungsabsicht sei hingegen ausweislich des Wortlauts nicht Regelungsgegenstand des § 21 Abs. 2 Satz 2 EStG.

Denkanstoß:

Moralisch ist das Urteil nachvollziehbar, denn § 21 Abs. 2 Satz EStG ist sicherlich nicht geschaffen worden, um hohe Verluste aus Luxusimmobilien steuerlich abziehen zu können. Aber Moral ist nun einmal kein Tatbestandsmerkmal und so kommt es auf den Gesetzeswortlaut an. Und da habe ich mit dem Urteil so meine Schwierigkeiten. Ich möchte dazu zum Beispiel folgenden Satz aus der Urteilsbegründung zitieren: „Zudem handelt es sich bei der Ausnahme von der typisierten Annahme der Einkünfteerzielungsabsicht aufgrund eines aufwendig gestalteten oder ausgestatteten Objekts bei einer Wohnfläche von über 250 qm nicht um eine unwiderlegbare Vermutung, die allein dem Gesetzgeber vorbehalten wäre.“

Woher nimmt der BFH das Recht, jenseits des Gesetzeswortlauts eine 250qm-Grenze einzuführen? Um es plakativ auszudrücken: Der BFH erfindet ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal und gibt ihm einen typisierenden Charakter. Wie absurd die 250qm-Grenze ist, zeigt sich allein darin, dass ein Steuerpflichtiger danach eine 240 qm große Wohnung in München oder Sylt „steuerunschädlich“ verbilligt vermieten könnte, eine 251 qm große Wohnung in einem städtebaulichen Sanierungsgebiet hingegen nicht.

Wenn der Gesetzgeber – und nur auf ihn kommt es an – Ausnahmen von der 66-Prozent-Grenze zugelassen hätte, hätte er dies ins Gesetz schreiben müssen. Dort findet sich aber nun einmal das Wörtchen „gilt“ und nicht die Wörter „regelmäßig“ oder „grundsätzlich“ und schon gar nicht „250 qm“. Um hier einmal den Bogen zur Feststellung von Grundstückswerten zu spannen: Obwohl sich in § 179 BewG das Wort “regelmäßig” befindet und dieses eigentlich suggeriert, dass es auch Ausnahmen geben müsse, werden solche Ausnahmen weder von der Finanzverwaltung noch von den Gerichten gesehen. Der Bodenrichtwert gilt ohne Wenn und Aber (vgl. dazu den Blog-Beitrag „Aufreger des Monats November: Selbst der absurdeste Bodenrichtwert ist anzusetzen!“).

Das heißt: Seltsamerweise lässt der BFH bei der Feststellung von Grundstückswerten – sieht man einmal von Gutachten ab – keinerlei Ausnahmen zu, obwohl der Wortlaut des § 179 BewG diese hergeben würde. Bei § 21 Abs. 2 EStG lässt der BFH Ausnahmen hingegen zu, obwohl der Wortlaut diese gerade nicht hergibt. Das nennt man wohl paradox oder aber auch pro-fiskalische Rechtsprechung.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Das aktuelle Urteil des BFH ist gerecht. Ich störe mich aber nur an dessen Begründung, die ich für nicht gerade gelungen halte.

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