Im Jahre 2020 wurden viele Apotheker von der Insolvenz des Rechenzentrums AvP erschüttert. Laut einschlägigen Brancheninformationsdiensten haben die betroffenen Apotheker einen Großteil ihrer Forderungen verloren. Man spricht von 50 bis 60 Prozent Forderungsausfall (vgl. dazu Pharmazeutische Zeitung online, „Ausschüttung im AvP-Insolvenzverfahren“).
Zumindest für den steuerlichen Laien wenig verständlich hat der BFH nun geurteilt, dass die Apotheker für die erbrachten Leistungen Umsatzsteuer abführen müssen, auch wenn das Geld niemals auf ihrem eigenen Konto angelangt ist. Bedient sich ein leistender Unternehmer zur Einziehung seiner Entgeltforderungen gegen die Leistungsempfänger eines anderen Unternehmers (Zahlstelle), vereinnahmt er das Entgelt spätestens dann, wenn die Zahlungen der Leistungsempfänger bei der Zahlstelle eingehen. Der Umstand, dass die Zahlstelle den vereinnahmten Betrag nicht an den leistenden Unternehmer weiterleitet, führt nicht dazu, dass sich die Bemessungsgrundlage für die vom Unternehmer an die Leistungsempfänger erbrachten Leistungen mindert – so der BFH mit Urteil vom 30.4.2025 (XI R 15/22).
Der Sachverhalt in aller Kürze:
Der Kläger, ein Apotheker, übertrug die Abrechnung mit den Krankenkassen einem Rechenzentrum (§ 300 Abs. 2 SGB V). Dieses vereinnahmte die Zahlungen der Krankenkassen und leitete sie anschließend an den Kläger weiter – bis zur Insolvenz des Rechenzentrums. In seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für August und September 2020 berücksichtigte der Kläger zunächst die noch offenen Restzahlungen des Rechenzentrums. Nachdem die Restzahlungen des mittlerweile insolventen Rechenzentrums ausgeblieben sind, legte der Kläger gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldungen jeweils Einspruch ein und machte geltend, dass die Umsatzsteuer wegen der Uneinbringlichkeit der Forderungen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen sei. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. In dem Revisionsverfahren wurde das Urteil des FG zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben, rein materiell sieht der BFH die Revision des Klägers aber als unbegründet an.
Die Begründung in aller Kürze:
Das Rechenzentrum gilt als Zahlstelle des Klägers. Dementsprechend erlischt zivilrechtlich mit der Zahlung der Krankenkasse auf das ihr benannte Konto die Entgeltforderung eines Apothekers gegen die Krankenkassen (§ 362 Abs. 1 BGB).
Umsatzsteuerrechtlich erhält ein Apotheker den von den Leistungsempfängern an das Rechenzentrum als Zahlstelle entrichteten Betrag für die von ihm erbrachten Leistungen. Die Vereinnahmung des Entgelts erfolgt (spätestens) bei Eingang der Zahlungen der Leistungsempfänger (der Krankenkassen) bei der Zahlstelle.
Eine Uneinbringlichkeit des Entgelts scheidet demnach aus, wenn die Leistungsempfänger mit befreiender Wirkung an die Zahlstelle eines Steuerpflichtigen leisten, die Forderung des Steuerpflichtigen gegenüber der Zahlstelle aber uneinbringlich wird.
Praxishinweise:
Mich stört zunehmend, dass die Umsatzsteuersenate des BFH einmal rein zivilrechtlich argumentieren und entscheiden (siehe das Besprechungsurteil), ein anderes Mal wirtschaftlich und eben nicht zivilrechtlich (siehe die BFH-Urteile vom 13.11.2024, XI R 5/23 u. XI R 36/22 zur Besteuerung von Leistungen der Fitnessstudios während des Lockdowns; vgl. Blog-Beitrag „Mitgliedsbeiträge während des Lockdowns – Steuerrecht vs. Zivilrecht„).
Eine einheitliche Linie kann ich da beim besten Willen nicht erkennen. Zumindest tue ich mich mit den Urteilsbegründungen schwer. Im Besprechungsfall jedenfalls hätte man bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu einem anderen Schluss gelangen können. Schließlich gehört die Einschaltung von Rechenzentren zum Wirtschaftsleben, die Modalitäten sind nur sehr beschränkt (frei) verhandelbar und ein jederzeitiger (frei verfügbarer) Zugriff auf die Konten ist auch kaum möglich.
Doch alle Kritik hilft nichts: Betroffenen kann wohl nur noch empfohlen werden, einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO und/oder einen Erlassantrag nach § 227 AO zu stellen.
Ein Beitrag von:
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- Steuerberater in Herten/Westf. (www.herold-steuerrat.de)
- Autor zahlreicher Fachbeiträge
- Mitglied im Steuerrechtsausschuss des Steuerberaterverbandes Westfalen-Lippe
Warum blogge ich hier?
Als verantwortlicher Redakteur und Programmleiter zahlreicher Steuerfachzeitschriften, meiner früheren Tätigkeit in der Finanzverwaltung und meiner über 25-jährigen Arbeit als Steuerberater lerne ich das Steuerrecht sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht kennen. Es reizt mich, die Erfahrungen, die sich aus dieser Kombination ergeben, mit den Nutzern des Blogs zu teilen und freue mich auf viele Rückmeldungen.