…und wieder Künstler

BFH zum Besteuerungsrecht für Einkünfte eines Chorsängers und den „Nichtrückkehrtage“ von Grenzgängern

Wieder beschäftigte sich der BFH mit Künstlern und dem internationalen Steuerrecht. Auch dieser Fall spielt wieder an der Oper. Allerdings dieses Mal einen in Deutschland wohnenden und in der Schweiz auftretenden Chorsänger.

In der zurückliegenden Weihnachtszeit dürften Chorsänger sicherlich ihre Hochsaison gehabt haben. Und so befasste sich der BFH in seinem Urteil vom 30.05.2018 (I R 62/16) mit Künstlern und dem internationalen Steuerrecht – konkret mit dem Besteuerungsrecht eines in Deutschland wohnenden und in der Schweiz auftretenden Chorsängers an einer Oper. In diesem Fall war die Differenzierung zwischen Entgelten für Auftritte vor Publikum und für Proben ohne Publikum von Interesse, ebenso die Behandlung von Nichtrückkehrtagen von Grenzgängern.

Worum ging es?

Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Inland. Im Streitjahr (2012) war er – wie auch schon viele Jahre zuvor – als Sänger im Chor eines privatwirtschaftlich als AG betriebenen Opernhauses in A (Schweiz) beschäftigt.

Dieser Opernchor setzte sich aus etwa 100 festangestellten Sängern sowie aus weiteren professionellen Sängern zusammen. Letztere werden durch sog. Chorzuzügerverträge für konkrete Opernprojekte verpflichtet. Ferner gehören zu diesem Opernchor auch semiprofessionelle Sänger eines Zusatzchors. Der Kläger gehörte zu der zweitgenannten Kategorie der sog. Chorzuzüger. Im Streitjahr wirkte er in dieser Funktion an 16 verschiedenen Opern mit.

Durch die Chorzuzügerverträge verpflichtete sich der Kläger u.a. auch zur Mitwirkung an den jeweiligen Proben. Die Proben wurden im Opernhaus oder anderen Spielstätten in A abgehalten. Publikum war bei den Proben nicht anwesend.

Das Opernhaus rechnete die Entlohnung des Klägers entsprechend den in den Chorzuzügerverträgen getroffenen Vereinbarungen zu unterschiedlichen Stundensätzen ab. Vertraglich wurde zwischen der Mitwirkung an Vorstellungen (Aufführungen) und der Teilnahmen an Proben differenziert und diese unterschiedlich honoriert.

Zudem wirkte der Kläger im Streitjahr aufgrund eines Vertrags mit der B-Akademie in der Schweiz als Mitglied des Chor B an einer Opernproduktion mit.

Von den dem Kläger zustehenden Vergütungen behielten jeweils das Opernhaus A und die B-Akademie schweizerische Quellensteuer ein und führten diese an die Eidgenössische Steuerverwaltung ab.

In der Schweiz unterhielt der Kläger im Streitjahr keine Wohnung. Soweit er in der Schweiz übernachtete, schlief er in seinem Wohnmobil und gelegentlich bei Kollegen. Aufgrund seiner Arbeitsausübung kehrte er im Streitjahr nur lediglich an 85 Arbeitstagen nicht an seinen inländischen Wohnsitz zurück.

Da der Kläger bis dahin keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, erließ der Beklagte (FA) im November 2013 einen Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO),  mit dem er auf der Grundlage von geschätzten Einkünften aus selbständiger Tätigkeit die Einkommensteuer für das Streitjahr festsetzte.

Das Einspruchsverfahren

Im späteren Einspruchsverfahren reichte der Kläger eine Einkommensteuererklärung ein, in der er die Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Chorsänger beim Opernhaus A und beim Chor B als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit qualifizierte. Hierzu vertrat er die Auffassung, dass nur die Entlohnung der Mitwirkung bei den Chorauftritten der inländischen Besteuerung unterliege und die Schweizer Quellensteuer anzurechnen sei. Der Arbeitslohn für die Probentätigkeit sei im Inland unter Progressionsvorbehalt steuerfrei.

Die Einspruchsentscheidung des FA führte zu einer „Verböserung“ der Steuerfestsetzung. Das FA berücksichtigte die gesamten vom Kläger angegebenen Einnahmen aus seiner Tätigkeit beim Opernhaus A und beim Chor B als steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; die in der Schweiz gezahlten Quellensteuern rechnete das FA auf die tarifliche Einkommensteuer an.

Das Urteil des FG Baden-Württemberg

Im anschließenden Klageverfahren berichtigte der Kläger seine Angaben zu den im Streitjahr zugeflossenen Einnahmen aus seiner Tätigkeit als Chorsänger. Diese teilte er nach Einnahmen für Auftritte vor Publikum und für Probentätigkeit ohne Publikum auf. Zudem konkretisierte er den Quellensteuerabzug. Der Kläger vertrat die Auffassung, sämtliche Einkünfte aus der Tätigkeit als Chorsänger seien von der inländischen Besteuerung freigestellt.

Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht Baden-Württemberg (Außensenate Freiburg) hat den angefochtenen Bescheid mit Urteil vom 12.05.2016 – 3 K 3974/14 geändert und die Einkommensteuer herabgesetzt. Nach Auffassung des FG sei nur derjenige Teil der Vergütung in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einzubeziehen, der auf die Auftritte des Klägers vor Publikum entfalle; der auf die Probentätigkeit entfallende Arbeitslohn sei lediglich bei der Berechnung des Steuersatzes im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Die in der Schweiz gezahlte Quellensteuer sei auf die tarifliche Einkommensteuer anzurechnen.

In diesem Fall gingen beide Streitparteien in Revision beim BFH. Zudem trat das BMF dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO bei.

Das Urteil des BFH –  Qualifikation der Tätigkeit

Das Mitglied eines Opernchors ist „Künstler“ i.S. von Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010. Maßgeblich hierfür ist, dass es sich um eine persönlich ausgeübte vortragende Tätigkeit handelt, die vornehmlich dem Kunstgenuss oder der Unterhaltung des Publikums dient. Dies ist bei dem Auftritt eines Opernchors im Rahmen einer Opernaufführung fraglos der Fall.

Bei gemeinsam auftretenden Personengruppen, wie hier im Falle von Orchestern oder Chören, sind zudem sämtliche Mitglieder der Gruppe als Künstler i.S. des Art. 17 DBA-Schweiz anzusehen, nicht etwa nur deren Leiter oder Dirigenten. Inwiefern dem einzelnen Ensemblemitglied hinsichtlich der Art und Weise seines Vortrags individuelle Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben, ist in diesem Zusammenhang somit nicht von Bedeutung.

Das Besteuerungsrecht 

Das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats umfasst auch die Vergütungsteile, die dem Künstler für die Mitwirkung an Proben gezahlt werden, soweit sie der Vorbereitung der Auftritte vor Publikum dienen.

Nach dem oben wiedergegebenen abkommensrechtlichen Verständnis gelten die dem Art. 17 OECD-Musterabkommen nachgebildeten Künstlerartikel nicht für jegliche Form persönlich ausgeübter Künstlertätigkeit. Vielmehr ist aus den hierin aufgeführten Beispielen zu schließen, dass nur Vergütungen für Tätigkeiten solcher Künstler, Sportler und Artisten erfasst werden, die unmittelbar oder mittelbar (über Medien) in der Öffentlichkeit auftreten und dabei Darbietungen erbringen, die künstlerischen oder unterhaltenden Charakter haben. Die vergüteten Tätigkeiten müssen danach durch den Auftritt vor Publikum veranlasst sein. Ein solcher direkter Auftrittsbezug ist im Streitfall auch hinsichtlich der Probentätigkeiten gegeben.

Die Grenzgängerregelung

Grenzgänger gemäß Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Satz 1). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, entfällt die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Satz 2).

Entgegen dem BMF-Schreiben vom 19.09.1994 ist es für die Berechnung der „Nichtrückkehrtage“ in Bezug auf die Grenzgängerregelung unmaßgeblich, ob der Arbeitnehmer im Kalenderjahr für einen oder mehrere Arbeitgeber tätig war. Zudem war der Kläger im Streitjahr durchgehend kein Grenzgänger, da er sogar an 85 Arbeitstagen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrte, so der BFH hier in seinem Urteil.

Würdigung des BMF-Schreibens zur Grenzgängerregelung

Fraglich war zudem, wie das BMF-Schreiben vom 19.09.1994 zur Einführung der Grenzgängerregelung zu beachten war. Dieses beruht auf einer Vereinbarung zwischen den zuständigen deutschen und den Schweizer Behörden „zur einheitlichen Anwendung und Auslegung“ des Art. 15a DBA-Schweiz.

Der BFH misst einer zwischenstaatlichen Konsultationsvereinbarung zwar Bedeutung für die Auslegung der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) bei. Nach ständiger Senatsrechtsprechung kann jedoch die „Grenzmarke“ für das richtige Abkommensverständnis immer nur der Abkommenswortlaut selbst sein.

Fazit

Das Mitglied eines Opernchors ist „Künstler“ i.S. von Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz anzusehen. Das Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaats nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz umfasst auch die Vergütungsteile, die dem Künstler für die Mitwirkung an Proben gezahlt werden, soweit sie der Vorbereitung der Auftritte vor Publikum dienen.

Bezüglich der Berechnung der „Nichtrückkehrtage“ gemäß Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz spielt es auch für die Veranlagungszeiträume vor 2015 keine Rolle, ob der Arbeitnehmer in dem betreffenden Kalenderjahr für einen oder für mehrere Arbeitgeber tätig gewesen ist

Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und den Schweizer Steuerbehörden bindet die Gerichte nicht (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). § 2 Abs. 2 AO (i.d.F. des JStG 2010) i.V.m. § 9 Abs. 1 KonsVerCHEV vom 20. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146) ändert daran nichts; § 2 Abs. 2 AO genügt insoweit nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die nach Art. 80 Abs. 1 GG an eine Verordnungsermächtigung zu stellen sind.

Lesen Sie hierzu auch meinen Beitrag:

„Künstler ist nicht gleich Künstler ­– BFH-Urteil zur Auslegung von DBA und der Tätigkeit eines werkschaffenden Künstlers (Lichtdesigner)

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