Von der Schuldenbremse zur Investitionsbremse: Wie die OECD Deutschland den Spiegel vorhält

Deutschland im Fiskalpolitik-Dilemma

Die OECD hat Deutschland erneut den Spiegel vorgehalten und das Spiegelbild ist nicht sehr schmeichelhaft. Der neue OECD-Wirtschaftsbericht Deutschland 2025 liest sich wie ein Arztbesuch: viele Diagnosen, schmerzhafte Therapien und die bange Frage, ob der Patient die Medizin auch schlucken will. Als jemand, der sich intensiv mit dem aktuellen OECD-Bericht auseinandergesetzt hat, kann ich sagen: Die Diagnose stimmt durchaus, aber die Therapie ist komplizierter als gedacht.

Die Schuldenbremse als Investitionsbremse

Die OECD sieht in der deutschen Schuldenbremse einen Hauptschuldigen für unseren Investitionsstau. 40-60 Milliarden Euro jährlich bräuchten wir zusätzlich für die Infrastruktur. Die Lösung über Sondervermögen ist zwar kreativ, aber verfassungsrechtlich auf dünnem Eis. Das Bundesverfassungsgericht hat 2023 bereits einmal die Notbremse gezogen, welches die verfassungswidrige Nutzung notlagenbedingter Kreditermächtigungen für nachgelagerte Investitionen feststellte. Aus meiner Sicht ist die Schuldenbremse wie ein zu enger Anzug: Man kann sich darin bewegen, aber elegant wird’s nicht.

Steuerstruktur im Reformstau

Die OECD kritisiert unsere Steuerstruktur als wachstumshemmend und hat damit leider recht. Wir besteuern Arbeit wie ein Luxusgut und Vermögen wie ein Schnäppchen. Die vorgeschlagenen Reformen klingen gut: Einkommensteuer runter, Erbschaftsteuer rauf, Grundsteuer reformieren. Aber wer schon einmal versucht hat, eine Steuerreform durch den Bundestag zu bringen, weiß, dass es zu vergleichen ist mit dem Hüten kleiner Kinder: theoretisch gut möglich, praktisch mitunter ein Alptraum.

Die Riester-Rente ohne Kapitalgarantie? Politisch etwa so durchsetzbar wie eine Helmpflicht für Fußgänger. Deutsche Sparer sind risikoavers und das schon aus (guter?) alter Tradition.

Der demografische Tsunami rollt an

Bis 2045 steigen die Ausgaben für Renten, Gesundheit und Pflege um 3,5 % des BIP. Die OECD empfiehlt, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Klingt logisch, ist aber politischer Sprengstoff. Die Franzosen haben gezeigt, was passiert, wenn man am Rentensystem schraubt. Aus juristischer Sicht ist eine solche Reform machbar, aber sie braucht Übergangsfristen und Härtefallregelungen. Sonst landen wir erneut vor dem Bundesverfassungsgericht.

Sparkassen im Visier der Reformer

Besonders interessant finde ich die OECD-Kritik am Regionalprinzip der Sparkassen. Mehr Wettbewerb, weniger lokale Bindung: das klingt nach Lehrbuch-Ökonomie. Aber das Regionalprinzip ist tief in unserer Verfassung verankert. Es wurzelt in der kommunalen Selbstverwaltung und hat sich gerade in der Finanzkrise bewährt. Die fragmentierte Bankenstruktur mag ineffizient erscheinen, aber sie ist auch stabil. Manchmal ist bewährte Tradition klüger als moderne Theorie.

(Verfassungs-)rechtliche Stolpersteine

Viele OECD-Empfehlungen klingen plausibel, kratzen aber an verfassungsrechtlichen Grundpfeilern – hier wird es spannend für Rechtswissenschaftler. Die Einbeziehung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung? Kollidiert mit dem Alimentationsprinzip. Die Beschleunigung von Planungsverfahren? Dies darf nicht den Rechtsschutz aushebeln. Die EU-Fiskalregeln setzen zusätzliche Grenzen. Was national möglich erscheint, kann europarechtlich problematisch sein.

Fazit: Evolution statt Revolution

Die OECD hat Deutschland eine umfassende Reformagenda vorgelegt. Das ist auf dem Papier durchaus sinnvoll, in der Praxis aber ein politisches Minenfeld. Die Kunst wird sein, das Notwendige mit dem Machbaren zu verbinden, ohne dabei die bewährten Strukturen zu zerschlagen.

Meine Erfahrung zeigt: Erfolgreiche Reformen brauchen Zeit, Geduld und gesellschaftlichen Konsens. Die OECD-Empfehlungen sind ein guter Kompass, aber den Weg müssen wir selbst finden. Schritt für Schritt, nicht im Schnellverfahren.

Was denken Sie? Sind die OECD-Empfehlungen der richtige Weg oder zu ambitioniert für Deutschland? Diskutieren Sie mit mir über diese und andere steuerpolitische Themen.

 

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                                                        (c) freepik – jcomb

 

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. iur. Christoph Schmidt

    • Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg
    • Leiter des Instituts für digitale Transformation im Steuerrecht

    Warum blogge ich hier?
    Ich blogge bereits bei tax&bytes. Oft ergeben sich aber Themen, die einen starken inhaltlichen Bezug haben. Für diese Themen eignet sich der NWB Experten-Blog.

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