Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!

Bei wirtschaftsfreundlichen Neuregelungen hat der Steuergesetzgeber zu oft Angst vor der eigenen Courage. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Seit gut 10 Jahren lag der Hauptfokus der Steuerpolitik fest auf dem restriktiven Kampf gegen allerlei vermeintliche und echte Steuergestaltungsmöglichkeiten sowie gegen Steuerhinterziehung. Mit der sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage drängen sich ganz langsam wieder andere Themen in den Vordergrund, z.B. Investitionsanreize (Investitionsprämie für Klimaschutz) oder eine geringere Besteuerung einbehaltener Gewinne von Personenunternehmen (Thesaurierungsbegünstigung). Erste Gesetzentwürfe sollen nach der Planung des BMF demnächst das Licht der Welt erblicken. Dabei sollten BMF und Steuergesetzgeber unbedingt Fehler der Vergangenheit vermeiden.

Das Problem dabei: Nachhaltigen Eindruck haben die o.g. sowie andere, in den vergangenen Jahren eingeführte wirtschaftsfreundliche Regelungen meist nicht hinterlassen. Zu oft waren sie zwar gut gemeint, verloren sich in der Ausgestaltung aber im Kleinklein diverser Missbrauchsvermeidungsregelungen, geringer Förderhöhen oder restriktiver Zugangsvoraussetzungen. „Fördern ja, aber bitte bloß nicht zu viel!“, war offenbar die Devise. Der Steuergesetzgeber sollte diesen zögerlichen Ansatz hinter sich lassen, damit steuerliche Anreize erfolgreich wirken können. Hier einige Beispiele für Förderinstrumente, die mit angezogener Handbremse auf den Weg geschickt wurden:

  • Um gut 4 Mrd. Euro jährlich sollte die mit der Unternehmensteuerreform 2008 eingeführte Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) einbehaltene Gewinne von Personenunternehmen entlasten. Doch von Anfang an wurde die Regelung als im Detail unattraktiv und nicht praxistauglich kritisiert. Zu keinem Zeitpunkt wurde sie auch nur annähernd so intensiv genutzt, wie vom Gesetzgeber unterstellt. Forderungen nach Nachbesserungen wurden stets abgeblockt, obwohl die relevanten Stellschrauben von Anfang an bekannt waren (u.a. Einbeziehung von Steuerzahlungen in die Begünstigung, Thesaurierungssatz, Verwendungsreihenfolge, …). Als das BMF im November 2022 auf Geheiß des Koalitionsvertrags die Wirtschaft um Input zur Evaluierung bat, hatten die Beamten offenbar keine Lust, die immer gleichen Forderungen ein weiteres Mal zu lesen. Im Anschreiben hieß es vielsagend „Bezüglich der Thesaurierungsbegünstigung liegen bereits ausführliche und fundierte Gutachten und Verbandsstellungnahmen vor“. Interessiert war man nur an „konkreten Vorschlägen über die dort bereits adressierten Forderungen hinaus“.
  • Als im Jahr 2021 der damalige Bundesfinanzminister, Olaf Scholz, etwas überraschend eine Option zur Körperschaftsteuer für Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaften (§ 1a KStG) vorlegte, wiederholte sich das Spiel. Das Optionsmodell war gut gemeint, aber im Detail wieder so restriktiv und kompliziert, dass es bislang kaum angenommen wird. Dass die offizielle Evaluierung hier bereits im Jahr der Erstanwendung eingeleitet wurde, nährt immerhin die Hoffnung auf zügige Nachbesserung.
  • Ebenfalls im Jahr 2021 führte der Gesetzgeber mit dem Fondsstandortgesetz einen § 19a EStG ein. Start-ups und junge KMU sollten ihren Mitarbeitern leichter Vermögensbeteiligungen übertragen können, ohne dass diese gleich Steuern entrichten müssen, obwohl sie keine flüssigen Mittel erhalten haben (sog. „Dry income“-Problematik). Die Besteuerung sollte erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, in der Regel im Zeitpunkt der Veräußerung oder bei einem Arbeitgeberwechsel, spätestens aber nach 10 Jahren. Doch früh zeigte sich die bekannte Problematik: Aufgrund diverser Fußangeln der Neuregelung (u.a. Unklarheiten bei der Bewertung, Einschränkung der erfasst Beteiligungsformen, Außerachtlassung der Sozialversicherungsbeiträge) ist die Praxis äußerst zurückhaltend bei deren Anwendung. Erfreulicherweise beabsichtigt das BMF, mit dem anstehenden Zukunftsfinanzierungsgesetz in 2023 an diversen Stellschrauben nachzujustieren.
  • Mitarbeiterkapitalbeteiligung zum Zweiten: Ebenfalls mit dem Fondsstandortgesetz wurde der Freibetrag für die unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung von Vermögensbeteiligungen auf 1.440 Euro erhöht. Da dies im internationalen Vergleich immer noch knauserig wirkt (Österreich ermöglicht steuerfreie Übertragung von bis zu 7.500 Euro, Irland 12.700 Euro, Spanien plant gar eine Erhöhung auf 50.000 Euro) will das BMF einen „üppigen“ Nachschlag gewähren und den Freibetrag auf 5.000 Euro anheben. Allerdings haben die Fachbeamten in Abstimmung mit den Ländern eine weitere Klausel in das Gesetz geschummelt: Künftig soll der Freibetrag nur noch für „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ gewährte Beteiligungen gelten. Das wäre das Todesurteil für die in der Praxis beliebten Entgeltumwandlungen. Begründung: Der hohe Freibetrag könne zu „unerwünschten Lohnoptimierungen“ führen. Es mutet schon leicht schizophren an, einen Freibetrag zu erhöhen, dessen Nutzung aber sogleich als „unerwünschte Lohnoptimierung“ zu diffamieren. Wozu führt man überhaupt Anreize ein, wenn man nicht will, dass die Steuerpflichtigen sie auch nutzen („optimieren“)? Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. In den o.g. Staaten mit höheren Freibeträgen ist vom „Zusätzlichkeitskriterium“ übrigens keine Rede.

Das führt zu einer allgemeinen Anmerkung zum immer weiter ausufernden Lohnsteuerrecht: Mit größter Hingabe und unglaublicher Detailversessenheit wird hier jede Dienstreise erfasst, jeder Zuschuss besteuert und jedes Käsebrot pauschaliert. Es soll bloß kein Arbeitnehmer beim Betriebsausflug eine unversteuerte Bratwurst zu viel vertilgen dürfen. Als ob Arbeitnehmer in Deutschland zu gering besteuert würden.

  • Nachdem Bund und Länder viele Jahre über die Einführung einer steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung gerungen hatten, fördert der Staat seit dem 01.01.2020 mit § 35c EStG durch eine Steuerermäßigung energetische Maßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden. Wird nun also steuerlich bei der Wärmewende geklotzt und nicht gekleckert? Eher nein. Ein Blick ins Kleingedruckte zeigt, dass neben der Energiewende vor allem ein Ansinnen die Feder bei der Formulierung des Gesetzestextes geführt hat: Kein Steuerpflichtiger soll gleichzeitig aus zwei Fördertöpfen naschen dürfen! So darf die Steuermäßigung weder mit dem Handwerkerbonus (§ 35a EStG) noch mit der Steuerbegünstigung für selbst genutzte Baudenkmale u.ä. (§ 10f EStG) oder zinsbegünstigten KfW-Darlehen kombiniert werden. Doppelförderung werden rigoros ausgeschlossen, selbst wenn der Steuerpflichtige dem ansonsten innigsten Wunsch der Politik nachkommt und sich endlich eine Wärmepumpe vors Haus stellt oder Dämmplatten an die Fassade klebt. Warum eigentlich, wenn der Klimaschutz sonst nach allen Bekundungen der Politik so überragend wichtig ist? Zumal die Förderhöhe der jeweiligen Einzelmaßnahmen überschaubar ist.
  • Auch die im Jahr 2020 eingeführte Forschungszulage krankte trotz guter Grundkonzeption und einer sichtbar an pragmatischen Detaillösungen interessierten BMF-Fachebene (z.B. im BMF-Schreiben) von Anfang an der sehr geringen Förderhöchstgrenze. Maximal 500.000 Euro Zulage pro Jahr sollte ein Unternehmen inkl. aller verbundener Unternehmen einstreichen dürfen. Die verantwortlichen Steuerpolitiker wollten unbedingt vermeiden, dass Großunternehmen nennenswert von der Zulage profitierten. Als wenn deren Forschung weniger wert wäre. Zumal eine als problematisch angesehene Doppelförderung ohnehin ausgeschlossen ist. Später verdoppelte man den Förderhöchstbetrag – aber nur bis Mitte 2026! Finanzminister Lindner sollte seine Ankündigung wahrmachen und großzügig nachlegen.

Diese Liste könnte fortgesetzt werden. Zu oft sind in den vergangenen Jahren gute Ansätze nicht konsequent genug umgesetzt und damit Chancen vertan worden. In einer Zeit multipler Krisen und einer sich verfestigenden Rezession sollte der Steuergesetzgeber künftig mehr wirtschaftfreundlichen Mut zeigen. Schon im weiteren Jahresverlauf bietet sich dazu die Gelegenheit, z.B. bei der Investitionsprämie für Klimaschutz oder der Nachbesserung von Thesaurierungsbegünstigung und Optionsmodell.


Ein Kommentar zu “Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!

  1. Eine sehr zutreffende Einschätzung!

    Auch was das sicher ungewollte, aber wirtschaftsfeindliche Wirken der Lohnsteuerreferenten betrifft.

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