Weiträumiges Tätigkeitsgebiet: Interessantes „Hafen-Urteil“ des BFH

Erst kürzlich habe ich in meinem Blog-Beitrag „Weiträumiges Tätigkeitsgebiet – ein seltsames Steuergebilde“ zwei Entscheidungen des Niedersächsischen FG zu Hafenarbeitern vorgestellt. Im Jahre 2021 hatten die Richter entschieden, dass ein Hafenarbeiter des Hamburger Hafens in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet arbeitet. Das Gebiet des Hafens von Bremerhaven sahen sie im Jahre 2022 hingegen nicht als weiträumiges Tätigkeitsgebiet (Urteil vom 3.2.2021, 4 K 11006/17; Urteil vom 2.9.2022, 4 K 149/21). Zugegebenermaßen habe ich die Sache etwas verkürzt, denn die Sachverhalte waren vielleicht nicht ganz vergleichbar.

Wie dem auch sei: Das erstgenannte Urteil hat der BFH soeben kassiert. Der Leitsatz lautet: Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten auszuüben hat (BFH-Urteil vom 15.2.2023, VI R 4/21).

Der Sachverhalt:

Der Kläger war als Hafenarbeiter im Hamburger Hafen tätig. Gegenüber seinem Arbeitgeber erklärte er seine unwiderrufliche Zustimmung, auch im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung tätig zu werden und sich auf Weisung des Arbeitgebers in anderen Hafeneinzelbetrieben einsetzen zu lassen. Im Streitjahr wurde er von seinem Arbeitgeber an 164 Arbeitstagen an vier verschiedenen Orten, das heißt bei den jeweiligen Kunden seines Arbeitgebers, innerhalb des Gebiets des Hamburger Hafens eingesetzt. Die Einsatzstellen wurden ihm von seinem Arbeitgeber arbeitstäglich morgens telefonisch zugewiesen. Die Fahrten von seiner Wohnung zu den jeweiligen Einsatzstellen legte der Kläger mit seinem eigenen Pkw zurück.

Der Arbeitgeber bescheinigte, dass der Kläger keiner ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet sei. Sowohl für die Fahrten von seiner Wohnung zum Hafenzugang als auch für die die Fahrten innerhalb des Hafengeländes machte der Kläger die tatsächlichen Fahrtkosten geltend. Finanzamt und FG wollten für die Fahrten bis zum Hafeneingang hingegen nur die Entfernungspauschale gewähren, doch die Revision war erfolgreich. Es lag kein weiträumiges Tätigkeitsgebiet vor. Und da der Kläger auch nicht über eine erste Tätigkeitsstätte verfügte, wurden die Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe zum Abzug zugelassen.

Die Begründung in aller Kürze:

Ein Tätigwerden in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten auszuüben hat. Arbeitnehmer, die ihrer eigentlichen Tätigkeit in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung nachgehen, werden von der Regelung folglich nicht erfasst, auch wenn ihnen ein bestimmtes Tätigkeitsgebiet zugewiesen ist und sie dort in verschiedenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen tätig werden.

Im Streitfall ist der Kläger aufgrund tagesaktueller Weisungen in ortsfesten betrieblichen Einrichtungen von (vier) Kunden seines Arbeitgebers tätig geworden. Darauf, dass sich alle Einsatzorte des Klägers auf dem Gebiet des Hamburger Hafens befinden, kommt es insoweit nicht an. Folglich lag kein „Arbeiten in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet“ vor. Da der Kläger aber auch über keine erste Tätigkeitsstätte verfügte, konnte er seine Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe absetzen.

Denkanstoß:

Das BFH-Urteil verdeutlicht, wie schwierig letztlich das Thema „weiträumiges Tätigkeitsgebiet“ ist. So muss einerseits festgestellt werden, ob ein Einsatzgebiet überhaupt „weiträumig“, also „großflächig“ ist, andererseits muss aber auch geprüft werden, ob eine „erste Tätigkeitsstätte“ vorliegt oder ob bloße Einsatzorte gegeben sind. Die steuerlichen Folgen in Bezug auf die Fahrtkosten können sehr unterschiedlich sein. Immerhin: Selbst wenn ein Arbeiten in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet angenommen wird und die Fahrten zum nächstgelegenen Zugang lediglich mit der Entfernungspauschale absetzbar sind, so können aber dennoch Verpflegungspauschbeträge abgezogen werden, wenn die entsprechenden Abwesenheitszeiten erfüllt sind (BMF-Schreiben vom 25.11.2020, BStBl 2020 I S. 1228, Rz. 45).

Übrigens, nur am Rande und um die Sache noch ein wenig komplizierter zu machen: Zum Lokführer einer Werksbahn hat der BFH geurteilt: Das firmeneigene Schienennetz, das ein Lokomotivführer mit der firmeneigenen Eisenbahn (Werksbahn) seines Arbeitgebers befährt, ist eine – wenn auch großräumige – erste Tätigkeitsstätte (BFH-Urteil vom 1.10.2020, VI R 36/18). Der BFH differenziert also zwischen einem “weiträumigen Tätigkeitsgebiet” und einer “großräumigen ersten Tätigkeitsstätte”. Das verstehe, wer wolle.

Lesen Sie hierzu auch:
Seifert, Aktuelle Entwicklungen zur ersten Tätigkeitsstätte – Überblick über die aktuelle Rechtsprechung, NWB 2023 S. 463
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