Wo dürfen Verwaltungsakten in Pandemiezeiten eingesehen werden?

Die Einsicht in Verwaltungsakten, welche in Papierform vom Finanzgericht geführt werden, wird grundsätzlich in den entsprechenden Diensträumen gewährt. Gilt dies auch in der jetzigen Pandemie-Situation oder ermöglicht diese die Versendung in die Räumlichkeiten eines Prozessbevollmächtigten? Dazu hat der BFH nun entschieden (V B 29/20).

Akteneinsicht im Steuerrecht

Weder im Verwaltungsverfahren in Steuersachen noch im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren wird den Beteiligten ein Recht auf Einsicht in die Akten gesetzlich eingeräumt. Zwar wird aus § 91 AO der Anspruch auf eine ermessenfehlerfreie Entscheidung dahingehend abgeleitet, ob den Beteiligten Akteneinsicht gewährt wird oder nicht. Denn das Finanzamt kann im Einzelfall nach „Ermessen“ gem. § 5 AO Akteneinsicht gewähren. Ein direktes Einsichtsrecht kann jedoch weder aus dieser Vorschrift noch aus dem § 364 AO abgeleitet werden.

Erst im finanzgerichtlichen Klageverfahren haben die Beteiligten gem. § 78 Abs. 1 FGO einen Rechtsanspruch auf Einsicht in die dem Gericht vorgelegten Akten und damit ein umfassendes Akteneinsichtsrecht. Grundsätzlich wird eine Akteneinsicht in die (in Papierform geführten) Akten in den Diensträumen des Gerichts gewährt. Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Akteneinsicht in den Kanzleiräumen des Prozessbevollmächtigten begründet werden, über den im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu befinden ist.

Corona-Pandemie als „begründeter Ausnahmefall“?

Inwiefern die Corona-Pandemie einen klaren Ausnahmefall darstellt, wollte nunmehr ein Steuerpflichtiger klären lassen: Zusammen mit seiner Klage gegen den im Schätzungswege ergangenen Umsatzsteuerbescheid von 2017 beantragte der Kläger Einsicht in Verwaltungsakten durch Übersendung in seine Kanzleiräume. Denn seiner Meinung nach sei dies wegen der Corona-Epidemie geboten. Die Ablehnung einer Akten-Übersendung durch einen Beschluss des Finanzgerichts Niedersachsen (27.05.2020 – 5 K 81/20) wollte er nicht hinnehmen und führte aus, es würde im derzeitigen Stadium der Pandemie nicht dem pflichtgemäßen Ermessen entsprechen, ihm die Akten nur in den Diensträumen des Finanzgerichts zur Verfügung zu stellen.

BFH erteilt Absage

Dieser Ansicht erteilte der BFH allerdings eine Absage. In seinem Beschluss (18.03.2021 – V B 29/29) führt er aus, dass  die Übersendung von Akten in die Kanzleiräume eines Prozessbevollmächtigten zum Zwecke der dortigen Einsichtnahme weiterhin nur auf „eng begrenzte Ausnahmefälle“ beschränkt bleibt. Die Entscheidung, Akteneinsicht ausnahmsweise außerhalb von Diensträumen zu gewähren, bleibe dabei eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Ermessensentscheidung des Finanzgerichts. V.a. die Pandemielage sei dabei kein alleiniger Grund, welcher eine Übersendung der Akten in die Kanzleiräume rechtfertige.

Und was ist mit Risikogruppen?

Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit einen Anspruch auf Aktenübersendung in die Kanzleiräume etwa angenommen, wenn ein Prozessbevollmächtigter auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen war (vgl. BFH, 29.10.2008 – III B 176/06), wenn ein Prozessbevollmächtigter aufgrund eines Kreuzbandrisses in vergleichbarer Weise wie eine auf Benutzung eines Rollstuhls angewiesene Person in seiner Beweglichkeit beeinträchtigt ist (vgl. BFH, 13.12.2012 – X B 221/12) oder wenn die Akten, in die Einsicht genommen werden soll, außergewöhnlich umfangreich und unübersichtlich sind und es dem Prozessbevollmächtigten deshalb und wegen der Dienstzeiten der Mitarbeiter an dem jeweiligen Gericht oder der jeweiligen Behörde auch bei intensiven Bemühen voraussichtlich nicht möglich ist, sich innerhalb eines angemessenen Zeitraumes über den Akteninhalt zu informieren (BFH, 14.01.2015 – V B 146/14). Die derzeitige Pandemiesituation reiht sich laut BFH in diese Begründungen allerdings nicht ein. Vielmehr stützt der BFH die getroffene Entscheidung des Finanzgerichts, welches auf ein „ausgefeiltes Hygienekonzept“ hingewiesen hatte, „das die gesundheitlichen Risiken – jedenfalls unter Beachtung der getroffenen Schutzmaßnahmen – weitestgehend ausschließt.“

Inwiefern diese Rechtsprechung allerdings auch für besondere Risikogruppen gilt, bleibt weiterhin offen. Zwar hatte der Kläger angeführt, dass er an Asthma leide und zu einer besonderen Risikogruppe gehöre. Substantiiert glaubhaft gemacht wurde dies indes im Verfahren allerdings nicht. Fraglich und ungeklärt bleibt damit, inwiefern für besondere Risikogruppen der Tatbestand des Ausnahmefalles erfüllt und eine Übersendung in die Kanzleiräume möglich ist. Inwiefern es hier zu einer Rechtsprechung kommen wird, bleibt abzuwarten.

Weitere Informationen:

NWB Online-Nachricht: Verfahrensrecht | Ort der Akteneinsicht in Pandemiezeiten (für Abonnenten kostenfrei)

Ein Kommentar zu “Wo dürfen Verwaltungsakten in Pandemiezeiten eingesehen werden?

  1. Ja die Rechtsprechung ist unglaublich hart. Selbst als Rollstuhlfahrer hat mein keinen Anspruch auf Aktenübersendung. Wahnsinn! Bleibt zu hoffen, dass die E-Akte bald Realität wird. Das würde die Thematik entschärfen.

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