Zur (Nicht-)Berechtigung des Versorgungsfreibetrags

Nachdem das BVerfG mit Beschlüssen vom 07.11.2023 zwei Verfassungsbeschwerden zum Alterseinkünftegesetz, betreffend die Ermittlung einer Doppelbesteuerung, mangels substantiierten Vorbringens als unzulässig zurückgewiesen hat, bleibt die Frage der „richtigen“ Ausgestaltung der Vergleichsrechnung zur Ermittlung einer Doppelbesteuerung weiter letztlich ungeklärt. Es darf weiter geklagt werden, um eine Änderung der Rechtsprechung zu erreichen.

Im Folgenden versuche ich, in aller Kürze, darzustellen, warum die derzeitige Rechtslage, so oder so, nicht bestehen bleiben kann. Zentraler Angriffspunkt ist dabei der Versorgungsfreibetrag, der Versorgungsempfängern in der Übergangsphase des AltEinkG weiter gewährt wird, während Leibrentner ihre Bezüge voll versteuern müssen.

Rechtslage vor Inkrafttreten des AltEinkG

Für Beamte galt die nachgelagerte Vollversteuerung. Während ihre Altersvorsorgeaufwendungen in voller Höhe vom Dienstherren getragen wurden, und somit „steuerfrei“ waren, mussten die späteren Pensionen in voller Höhe versteuert werden.

Für Leibrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung galt dagegen, dass der Arbeitgeberanteil der Altersvorsorgeaufwendungen „steuerfrei“, der Arbeitnehmeranteil dagegen teilweise steuerbelastet war, da er nur noch im Rahmen von Grundhöchstbetrag und hälftigem Höchstbetrag geltend gemacht werden konnte. In der Auszahlungsphase musste der Rentner den sog. Ertragsanteil versteuern, nämlich einen typisierten und auf die voraussichtliche Laufzeit der Rente gleichmäßig verteilten Zinsertrag. Für den typischen, 65-jährigen Neurentner des Jahres 2004 waren das z.B. 27 %.

Durch diese systematischen Unterschiede waren Rentner gegenüber Versorgungsempfängern begünstigt. Deshalb wurde zum Ausgleich für Versorgungsempfänger ein Versorgungsfreibetrag (§ 19 Abs. 2 EStG) eingeführt (Steueränderungsgesetz 1965, BGBl I S. 377).

„Rentenurteil“ des BVerfG vom 06. März 2002 (2 BvL 17/99) und Alterseinkünftegesetz

Das BVerfG stellte die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Versorgungsbezügen ab dem Streitjahr 1996 fest und verlangte eine Neuordnung der Besteuerung von Altersbezügen bis spätestens zum 01.01.2005. Entscheidend dabei war, soweit hier interessierend, dass der Versorgungsfreibetrag nicht mehr ausreichte, um die Ungleichbehandlung zu kompensieren. Die günstige Ertragsanteilsbesteuerung war insoweit gleichheitswidrig.

Konkrete Vorgaben, wie die Gleichheitswidrigkeit zu beseitigen sei, machte das BVerfG dabei nicht. Der Gesetzgeber entschied sich dafür, alle Altersversorgungssysteme, nach einer Übergangsphase, gleich zu behandeln, und zwar durch einen Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung.

Im Endzustand (geplant: ab 2040) sind alle Altersvorsorgeaufwendungen steuerbegünstigt, während die Zuflüsse in der Auszahlungsphase voll versteuert werden müssen. In der Übergangsphase steigen die abzugsfähigen Altersvorsorgeaufwendungen und die zu versteuernden Rentenzuflüsse langsam bis auf 100 % an, während der Versorgungsfreibetrag langsam abgebaut wird.

Bei diesem Systemwechsel war zu berücksichtigen, dass sich keine Doppelbesteuerung ergeben durfte, d.h. dass Altersvorsorgebeträge, die in der Einzahlungsphase nicht abzugsfähig waren, in der Auszahlungsphase der Steuer unterliegen. Zu diesem Zweck erhalten Leibrentner einen „Rentenfreibetrag“. Der jährliche Rentenzufluss wird um diesen Freibetrag vermindert. Er repräsentiert quasi die in der Einzahlungsphase aus eigenem versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgebeiträge.

Hinsichtlich der Berechnung einer möglichen Zweifachbesteuerung, also der ausreichenden Höhe des Rentenfreibetrages, wurden bereits zahlreiche Rechtsstreite geführt.

Rechtsprechung des BFH zur Ermittlung einer Doppelbesteuerung

Nach ständiger Rechtsprechung (zuletzt BFH vom 19.05.2021, X R 20/19 und X R 33/19) liegt eine Doppelbesteuerung dann nicht vor, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfreien Rückflüsse mindestens so hoch ist, wie die steuerbelasteten Altersvorsorgeaufwendungen.

Diese Formel bedeutet, dass Leibrenten ab Inkrafttreten des AltEinkG voll besteuert werden, und zwar zum Teil vorgelagert und zum Teil nachgelagert. Dem Grunde nach werden die Rückflüsse in der Auszahlungsphase voll nachgelagert besteuert; allerdings werden die in der Einzahlungsphase bereits vorgelagert besteuerten Altersvorsorgeaufwendungen per Rentenfreibetrag abgezogen. In Summe ergibt sich aber eine Vollversteuerung.

Im Widerspruch zu dieser Vollversteuerung von Leibrenten steht es aber, wenn Versorgungsempfängern weiterhin ein Versorgungsfreibetrag gewährt wird. Da günstige Ertragsanteilsbesteuerung – nah der BFH-Formel – mit Inkrafttreten des AltEinkG abgeschafft wurde, ist eine Kompensation nicht mehr erforderlich. Nunmehr ergäbe sich eine Gleichheitswidrigkeit zu Gunsten der Versorgungsempfänger. Mit diesem Aspekt hat sich der BFH bisher nicht befasst.

Fazit

Die derzeitige Rechtslage ist in jedem Fall in sich widersprüchlich und kann so nicht bestehen bleiben.

Entweder folgt man der Rechtsprechung des BFH, und ermittelt eine etwaige Doppelbesteuerung nach der Maßgabe, dass die Ertragsanteilsbesteuerung mit Inkrafttreten des AltEinkG abgeschafft wurde und Leibrenten ab diesem Zeitpunkt voll besteuert werden (nur eben teilweise vor- und teilweise nachgelagert), dann gibt es allerdings keine Rechtfertigung für das Beibehalten und nur langsame Abschmelzen des Versorgungsfreibetrages in der Übergangsphase. Hier ist der Gesetzgeber oder das BVerfG gefragt.

Oder die Rechtsprechung anerkennt, dass die Ertragsanteilsbesteuerung mit Inkrafttreten des AltEinkG eben nicht abgeschafft wurde, sondern – als Pendant zum Versorgungsfreibetrag – in der Übergangsphase ebenfalls fortgeführt und nur langsam abgebaut wird. Insofern wäre die Berechnungsmethode zur Feststellung einer Doppelbesteuerung zu modifizieren.

Ich plädiere für die zweite Variante und darf auf meinen Aufsatz „Zur Konzeption der Übergangsphase“ verweisen (DStR 2023, 2817).

Weitere Beiträge zur Doppelbesteuerung der Renten:

 

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