Nachlese: IDW-Wertekodex und Fehlerkultur

Im letzten Jahr hatte ich den Vorschlag des IDW für einen Wertekodex für Wirtschaftsprüfer vorgestellt und diesen über drei Blogbeiträge hinweg kritisch hinterfragt. Aufgrund der Kommentare zu meinen Blogbeiträgen scheint das Thema den Nerv von Angehörigen des Berufsstands und anderer Interessierter zu treffen. Meine in den Blogbeiträgen veröffentlichte Kritik am Kodexentwurf hatte ich beim IDW als Stellungnahme eingereicht.

Inzwischen hat das IDW seinen Kodex in finaler Fassung vorgelegt. Dazu sind Begleitmaterialien, u.a. FAQ, auf einer Website des IDW veröffentlicht. Zudem habe ich immerhin eine persönliche Mitteilung des IDW zur Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung meiner Einwände erhalten. Dies will ich zum Anlass nehmen, das Thema im Hinblick auf einige meiner Anmerkungen zum Entwurf noch einmal mit einem Blogbeitrag aufzugreifen und dabei das Thema einer Fehlerkultur etwas breiter zu adressieren. Weiterlesen

Rechnungsabgrenzungsposten und Wesentlichkeit – Ist jetzt alles gut?

Der Bundesfinanzhof hatte in seinem Urteil v. 16.3.2021 (X R 34/19) den Verzicht auf die aktivische Abgrenzung bei Vorauszahlungen von niedrigen zwei- und dreistelligen Einzelbeträgen als steuerlich unzulässig erachtet. Den Grundsatz der Wesentlichkeit sah der BFH nicht als tragfähige Begründung für den Verzicht auf die Bildung aktiver Rechnungsabgrenzungsposten (RAP). Mit dem Jahressteuergesetz 2022 hat der Gesetzgeber dieses Urteil nun entschärft. Wird damit alles gut?

Der BFH begründete sein damaliges Urteil bei Anerkenntnis der Existenz eines Grundsatzes der Wesentlichkeit vor allem mit dem Wortlaut von § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG, der ein abschließendes Aktivierungsgebot für Ausgaben vorsehe, die unter die gesetzliche Definition für aktive RAP fallen. Der Gesetzeswortlaut sehe kein Wahlrecht vor, weswegen es an einer rechtlichen Grundlage für den Verzicht auf den Ansatz aktiver RAP in Fällen von geringer Bedeutung fehle.

Der BFH ging in seinem Urteil aber noch weiter und sieht den Wesentlichkeitsgrundsatz nur greifen, wenn im Einzelfall ein explizites gesetzliches Wahlrecht zum Ansatz eines Bilanzpostens vorliegt. Nach dieser Denkweise greift der Grundsatz der Wesentlichkeit also nur, wenn der Gesetzgeber für jeden Einzelfall ein explizites Wahlrecht zum Bilanzansatz kodifiziert hat.

Mit dem Jahressteuergesetz 2022 hat der Gesetzgeber einen neuen § 5 Abs. 5 Satz 2 EStG eingefügt und damit ein explizites gesetzliches Wahlrecht für aktive und passive RAP geschaffen: „Der Ansatz eines Rechnungsabgrenzungspostens kann unterbleiben, wenn die jeweilige Ausgabe oder Einnahme im Sinne des Satzes 1 den Betrag des § 6 Absatz 2 Satz 1 nicht übersteigt; das Wahlrecht ist einheitlich für alle Ausgaben und Einnahmen im Sinne des Satzes 1 auszuüben.“ Die Vorschrift ist erstmals für nach dem 31. Dezember 2021 endende Wirtschaftsjahre anzuwenden (§ 52 Abs. 9 Satz 1 EStG). Damit kann nun auf die Abgrenzung von Einzelbeträgen von bis zu 800 € ohne Umsatzsteuer verzichtet werden, wobei die Methodeneinheitlichkeit zu beachten ist.

Die Regelung ist während des Gesetzgebungsverfahrens aufgrund eines Vorschlags des Bundesrates aufgenommen worden und soll der Steuervereinfachung sowie dem Bürokratieabbau sowohl auf Seiten der Steuerpflichtigen und deren Beratern als auch auf Seiten der Finanzverwaltung dienen (BT-Drs. 20/4729 S. 130 f.). Mit der Gesetzesänderung iS des früheren BFH-Beschlusses v. 18.3.2010 (X R 20/09) wurde für den Einzelfall der RAP für Beträge bis zur GWG-Grenze eine Lösung gefunden. Die Festlegung der Methodeneinheitlichkeit ist nachvollziehbar, um eine einseitige steuermindernde Nutzung des Wahlrechts für aktive RAP zu vermeiden.

Man könnte sich zurücklehnen und zufrieden lächeln. Aber als Hochschullehrer und Wirtschaftsprüfer sucht man gerne nach dem Haar in der Suppe. Weiterlesen

Entschärfung der Überschuldung durch ein SanInsKG

Inzwischen sind wir in einer Krisendauerschleife und die Meinungen sind geteilt, ob wir ein zielgerichtetes, wirksames und zeitgerechtes Krisenmanagement auf politischer Ebene haben. Gerade die sich absehbar verschärfenden Energieprobleme und der Dunst über Stützungsmaßnahmen lassen für einige Unternehmen das Überleben zweifelhaft erscheinen. Nun will die sog. „Ampel“ an dem Symptom Insolvenz herumdoktern.

Das Instrument der temporären Aussetzung von Insolvenzantragspflichten und inhaltlichen Veränderung der Antragsvoraussetzungen erfreut sich seit einiger Zeit großer Beliebtheit. Zu denken ist hier insbesondere an das COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG), das nun als Vehikel zum Umgang mit erhöhten Insolvenzrisiken durch die aktuell unbewältigte Krisensituation dienen soll. Technisch erfolgt die Anpassung durch eine Formulierungshilfe der Bundesregierung zum im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Güterrechtsregisters.

Zunächst soll das COVInsAG in ein Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) umbenannt werden. Inhaltlich soll mit § 4 Abs. 2 SanInsKG-E der Eröffnungsgrund der Überschuldung für ein Insolvenzverfahren, zunächst begrenzt bis zum 31.12.2023, entschärft werden. Hierzu ist vorgesehen Weiterlesen

Maximierung der Expectation Gap? Beurteilung des Vorschlags eines IDW-Wertekodex (Teil 3)

In den letzten drei Blog-Beiträgen hatte ich zunächst einen Überblick zum Vorschlag des IDW für einen Wertekodex gegeben und begonnen, die Anforderungen des Kodex kritisch zu hinterfragen. Mit dem vorliegenden Beitrag will ich diese Auseinandersetzung abschließen und zu einem Gesamtergebnis zusammenführen. Wie schon in den letzten Blogs angemerkt, handelt es sich um eine erste und exemplarische Annäherung.

„Ethische Werte“ und Grundgesetz?

Das ausführliche Aufgreifen der „Gendersprache“ im letzten Blog war nur ein Beispiel. Mit längerem Nachdenken und Forschen lassen sich solche Diskussionen sicher auch zu anderen ethischen Werten führen. Im Hinblick auf Vermeidung der Diskriminierung könnte man z.B. auf die Forderung von Quoten für im Kodex genannte Gruppen kommen. Daraus folgt aber sofort die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 3 GG. Denn dieser schafft einen für jedes Individuum geltendes Grundrecht, das durch Quoten verletzt werden kann.

Weiterhin stellt sich die Frage, ob man da, wo Art. 3 GG ein Benachteiligungsverbot ausspricht, im Kodex ein Begrüßen propagieren sollte. Beispielsweise gibt es aufgrund der Historie sicher für Individuen gute Gründe, Religionen generell kritisch gegenüber zu stehen. Das Grundgesetz fordert zu Recht den Verzicht auf Benachteiligung von Grundrechtsträgern aufgrund deren religiöser Anschauung. Muss man solche Anschauungen aber mit den Worten des Kodex als Bereicherung persönlich und in der Berufsausübung empfinden oder reicht es nicht, dass die religiöse Anschauung im Beruf einfach keine Rolle spielt, allein schon, um diejenigen nicht zu diskriminieren, die Religionen kritisch gegenüberstehen? Und darüber hinaus: Können religiöse Anschauungen u.U. die gebotene Objektivität bei der Berufsausübung nicht auch einschränken?

Wollen wir uns als Berufsstand auf das verminte Gebiet der Festlegung und Auslegung allgemeiner ethischer Werte begeben? Und viel mehr: Sollen und dürfen wir das überhaupt, womit wir beim nächsten Punkt wären: Weiterlesen

Maximierung der Expectation Gap? Beurteilung des Vorschlags eines IDW-Wertekodex (Teil 2)

In den letzten beiden Blog-Beiträgen hatte ich einen Überblick zum Vorschlag des IDW für einen Wertekodex gegeben und begonnen, die Anforderungen des Kodex kritisch zu beleuchten. Die kritische Hinterfragung will ich in diesem Teil weiterführen und mich mit der Frage auseinandersetzen, was überhaupt anzustrebende ethische Ziele, Grundsätze und Handlungsweisen sein können. Wie schon im letzten Blog angemerkt, handelt es sich um eine erste und exemplarische Annäherung an die komplexe Problematik.

Was sind überhaupt anzustrebende ethische Ziele, Grundsätze und Handlungsweisen?

Wie vielleicht schon im Blog mit der Darstellung der Inhalte des IDW-Wertekodex angeklungen ist, finden sich hier plakative Schlagworte, die vermeintlich positiv besetzt sind. Ist das aber wirklich so? Weiterlesen

Maximierung der Expectation Gap? Beurteilung des Vorschlags eines IDW-Wertekodex (Teil 1)

Im letzten Blog hatte ich einen Überblick zum Vorschlag des IDW für einen Wertekodex gegeben. Auf den ersten Blick liest sich das alles ganz toll, wird doch vermeintlich nur Positives angestrebt. Mein heutiger sowie zwei folgende Blogs sollen dennoch in WP-Manier den Vorschlag insbesondere im Hinblick auf die nicht berufsrechtlich fixierten Anforderungen des Kodex kritisch hinterfragen. Dabei können die Gedanken angesichts der Komplexität und des zur Verfügung stehenden Raums nur ein erstes und exemplarisches Herantasten an die Problematik darstellen.

Was geht es das IDW überhaupt an?

Fangen wir einmal mit dem „Kompetenzbereich“ an. Das IDW ist ein Verein, der u.a. Interessen des Berufsstands vertreten will. Der Gesetzgeber verbietet so etwas nicht, hat aber die Berufsorganisation mit dem Kammersystem und der „Aufpasserin“ APAS anders aufgestellt. Es erscheint doch ziemlich vermessen, dass nun ein e.V. daherkommt und (ethische) Standards für alle Wirtschaftsprüfer setzen will. Unschädlich ist sicher die Aufzählung von Anforderungen aus Gesetzen und Berufssatzung. Darüber hinaus kann man eine Selbstbindung für Vereinsmitglieder schaffen oder eine gesetzliche Regelung bzw. eine Befassung der Kammer anregen. Dort endet jedoch der Kompetenzbereich des IDW. Weiterlesen

Der Vorschlag eines IDW-Wertekodex

Der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer fällt angesichts der hohen, in den zahlreichen schon vorhandenen „ethischen Standards“ kodifizierten Anforderungen an die Berufsausübung immer wieder durch „Skandale“ negativ auf. Hinzu kommt eine nicht selten überschießende Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, insbesondere an die Aufgaben des Abschlussprüfers, was dann zur altbekannten Expectation Gap führt.

Nun hat das Institut der Wirtschaftsprüfer den Entwurf eines Wertekodex vorgelegt. Dieser Kodexentwurf soll auf sechs Textseiten ausweislich der IDW-Ankündigung insbesondere Verhaltensgrundsätze und Grundsätze bei der Führung einer Wirtschaftsprüferpraxis beschreiben, Wirtschaftsprüfer bei ihrer täglichen Arbeit leiten und die Werte des Berufsstands in der Öffentlichkeit darstellen. Wird jetzt alles gut? Weiterlesen

Umbruch bei der Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums durch den BFH?

Im Blog hatte ich mich schon verschiedentlich mit dem Dauerbrenner „wirtschaftliches Eigentum“ befasst. Nicht nur, aber gerade die Cum-Ex-Problematik hat die Bedeutung des Themas gezeigt und war aktuell wieder Anlass für ein BFH-Urteil (I R 22/20 v. 2.2.2022).

Die Entscheidung wirft die Frage auf, ob und welche Auswirkungen das im Leitsatz verwendete Argument eines „modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts“ für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums haben kann. Weiterlesen

Rechnungsabgrenzungsposten und Wesentlichkeit – BFH auf Irrwegen?

Verschiedentlich hatte ich schon zur Bilanzierung von Rechnungsabgrenzungsposten Stellung genommen. Auch meine Mit-Blogger haben sich schon dazu geäußert. Meist handelt es sich bei den abzugrenzenden Beträgen um kleine Summen, etwa aus der Vorauszahlung von Mieten, Zinsen, Versicherungen, KFZ-Steuer. Eigentlich sollte doch in der Praxis zumindest bei den einzeln und in Summe häufig geringen Beträgen kein Streitpotenzial liegen. Aber wir sind in Deutschland und haben nichts Besseres zu tun, als uns höchstrichterlich um „Peanuts“ zu streiten. So etwa im jüngst entschiedenen Fall. Weiterlesen

Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung durch den Abschlussprüfer

Die nichtfinanzielle Erklärung ist inhaltlich kein Pflichtprüfungsgegenstand der gesetzlichen Abschlussprüfung. Der Abschlussprüfer hat sich nur zu vergewissern, ob die Erklärung vorgelegt wurde (§ 317 Abs. 2 Sätze 4 bis 5 HGB). Hingegen hat der Aufsichtsrat einer AG die Erklärung zu prüfen (§ 171 Abs. 1 Satz 4 AktG n.F.).

Der Aufsichtsrat kann die externe Prüfung beauftragen (§ 111 Abs. 2 AktG n.F.), was regelmäßig erfolgen dürfte. Die Beurteilung des Ergebnisses einer freiwillig beauftragten externen Überprüfung der nichtfinanziellen Erklärung ist veröffentlichungspflichtig (§ 289 b Abs. 4, § 315b Abs. 4 HGB).

Naheliegend, aber keinesfalls zwingend ist die Beauftragung des gesetzlichen Abschlussprüfers mit der inhaltlichen Prüfung. Mit Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Prüfung der nichtfinanziellen Erklärung durch den gesetzlichen Abschlussprüfer hat sich die Geschäftsstelle des IDW auseinandergesetzt. Weiterlesen