Vor einiger Zeit hatte ich in dem Blog-Beitrag „Ohne Steuergefährdung keine Strafsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG“ auf das EuGH-Urteil vom 8.12.2022 (C-378/21) und das Urteil des FG Köln vom 25.7.2023 (8 K 2452/21) hingewiesen. Danach gilt: Ein Steuerpflichtiger schuldet den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Dies ist der Fall, wenn eine Leistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
Die EuGH-Sache war mit dessen ersten Urteil allerdings noch nicht beendet. Die Finanzverwaltung – es ging um einen Fall aus Österreich – war der Meinung, dass der betreffende Unternehmer gar nicht nachweisen könne, dass er seine Leistungen „ausschließlich“ an Endverbraucher erbracht habe. Und eine Schätzung in Umsätze an Endverbraucher einerseits und Umsätze an Unternehmer andererseits komme nicht in Betracht. Die österreichische Finanzverwaltung lag damit auf einer Linie mit dem deutschen BMF, das eine Schätzung ebenfalls als unzulässig erachtet (BMF-Schreiben vom 27.2.2024, BStBl 2024 I S. 361). Und so musste der EuGH erneut entscheiden.
Der EuGH zum Zweiten
Das aktuelle EuGH-Urteil lautet zusammengefasst (und in eigenen Worten): Ein Unternehmer, der eine Dienstleistung erbracht hat und in seiner Rechnung einen überhöhten Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat, schuldet den zu hohen Teil der Mehrwertsteuer nicht, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die Dienstleistung an einen Endverbraucher erbracht wurde, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Als Endverbraucher in diesem Sinne gelten nur Kunden, die unter keinen Umständen zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Ist bei Massengeschäften denkbar, dass die Leistungen sowohl an Endverbraucher als auch an Unternehmer erbracht werden, so besteht die Möglichkeit der Schätzung der Umsätze an Endverbraucher einerseits und Umsätze an Unternehmer andererseits (EuGH-Urteil vom 1.8.2025, C-794/23).
Denkanstoß:
Damit ist nun klar, dass im Zweifelsfall, wenn Rechnungen also praktisch oder theoretisch auch an (vorsteuerabzugsberechtigte) Unternehmer gegangen sein können, gegebenenfalls eine Schätzung erforderlich und zulässig ist. Dabei sind nach Ansicht des EuGH alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, wie etwa die Art der erbrachten Dienstleistung, die Modalitäten ihrer Erbringung und der Rechnungslegung hierfür, sowie alle statistischen Informationen zu den Empfängern dieser Dienstleistung, über die deren Erbringer verfügt. Dem Umstand, dass es sich bei den Kunden des betreffenden Steuerpflichtigen eher selten um Unternehmer handelt, kann dabei besondere Bedeutung zukommen.
Das Ganze gilt auch für Deutschland. Das BMF hatte nämlich mit besagtem Schreiben vom 27.2.2024 bei den so genannten Mischfällen eine Schätzung prinzipiell ausgeschlossen. Das BMF wird seine Auffassung revidieren und eine sachgerechte Schätzung zulassen müssen. Wie eine solche Schätzung aussieht, wird wohl auch noch die Gerichte geschäftigen. Leider ist die Revision beim BFH (V R 16/23) gegen das oben genannte Urteil des FG Köln offenbar als erledigt erklärt worden, ohne dass ein entsprechendes Urteil ergangen ist. Zumindest ist mir ein solches nicht bekannt.