Aufreger des Monats November: Mehrwertsteuer-Digitalpaket – ein sprachliches Desaster

In den drei letzten Tagen hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, mich mit dem Mehrwertsteuer-Digitalpaket, auch als E-Commerce-Paket bezeichnet, zu befassen. Das Digitalpaket ist Teil des Jahressteuergesetzes 2020. Voraussichtlich werden die Änderungen durch das Digitalpaket nicht – wie zunächst vorgesehen – am 1. Januar, sondern erst am 1. Juli 2021 in Kraft treten. Die einzelnen Änderungen sollen hier nicht vorgestellt werden; insofern kann auf die entsprechenden Blog-Beiträge von Herrn Dr. Wengerofsky („Neue verschärfte Regeln für elektronische Marktplatzbetreiber im Umsatzsteuerrecht“) und auf die Berichterstattung in den Fachzeitschriften verwiesen werden.

Mir geht es vielmehr darum, abermals den Zustand des Umsatzsteuerrechts zu beklagen. In meinem entsprechenden Blog-Beitrag vom 17. Juli dieses Jahres habe ich ihn bereits als „beschämend“ bezeichnet. Seinerzeit habe ich ausgeführt: „Ich habe den Eindruck, dass den handelnden Personen, sei es der Gesetzgeber, seien es die Richter des V. und XI. BFH-Senats, seien es die Verantwortlichen des BMF-Referats, überhaupt nicht (mehr) klar ist, dass ein ´funktionierendes´ und durchschaubares Umsatzsteuerrecht essentiell für das wirtschaftliche Handeln in Deutschland und Europa ist.“

Nun möchte ich Ihnen folgenden Satz aus der Gesetzesbegründung des neuen § 3 Absatz 3a UStG vorstellen:

„Ein Unternehmer unterstützt eine Lieferung im Sinne des § 3 Absatz 3a Satz 1 UStG oder einen Fernverkauf im Sinne des § 3 Absatz 3a Satz 2 UStG unter den Voraussetzungen des Artikels 5b der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 77 vom 23.3.2011, S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2019/2026 des Rates vom 21. November 2019 (ABl. L 313 vom 4.12.2019, S. 14).“

Sie denken, dass sei ein Einzelfall? Weit gefehlt. Hier eine weitere Kostprobe:

„Die Lieferung eines Gegenstands, dessen Beförderung oder Versendung im Gemeinschaftsgebiet beginnt und endet, durch nicht in der Gemeinschaft ansässige Unternehmer an Nichtunternehmer, die von einem Unternehmer durch die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle unterstützt wird, wird nach Artikel 14a Absatz 2 der Richtlinie 2006/112/EG in der am 27. Juli 2018 berichtigten (ABl. L 190 vom 27.7.2018, S. 21) Fassung des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates vom 5. Dezember 2017 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG und der Richtlinie 2009/132/EG in Bezug auf bestimmte mehrwertsteuerliche Pflichten für die Erbringung von Dienstleistungen und für Fernverkäufe von Gegenständen (ABl. L 348 vom 29.12.2017, S. 7) so behandelt, als ob er diesen Gegenstand selbst erhalten und geliefert hätte. Mit der Einfügung des neuen § 4 Nummer 4c UStG wird die (fiktive) Lieferung an diesen Unternehmer von der Umsatzsteuer befreit.“

Das Schreiben derartiger Sätze bedarf einer gewissen Kunstfertigkeit. Ich verfüge über dieser leider nicht. Doch Ironie beiseite, denn die Sache ist ernst: Bei der Lektüre diverser Aufsätze zum Mehrwertsteuer-Digitalpaket, die von ausgewiesenen Umsatzsteuerexperten geschrieben worden sind, ist mir jedenfalls aufgefallen, dass selbst diese das Dickicht nicht mehr vollständig durchdrungen haben und zumindest in einigen Punkten Abweichungen festzustellen waren. Wer will es ihnen verübeln?

Mein Plädoyer ist: So kann und darf es im Bereich der Umsatzsteuer nicht mehr weitergehen! Es ist ein Punkt erreicht, nein, er ist überschritten, an dem der Dschungel gelichtet werden muss. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Umsatzsteuer spiegelt gewissermaßen das Wirtschaftsgeschehen, gerade auch in Bezug auf grenzüberschreitende Leistungen und Warenbewegungen, wider. Da kann es nicht ganz einfach sein. Doch all diejenigen, die an einem funktionierenden Umsatzsteuerwesen mitwirken, sollten sich zumindest der Mühe unterziehen, ihr Handeln nachvollziehbar zu erläutern. Wenn schon nicht der einzelne Unternehmer, dann sollte doch zumindest der steuerliche Berater Gesetze verstehen können. Dieses ist im Bereich der Umsatzteuer nunmehr schon rein sprachlich fast unmöglich.

Nebenbei, das Zauberwort lautet: Beispiele! Sie kosten nichts, sind nicht verboten, erhellen aber jeden noch so schwierigen Text. Und noch ein Hinweis: Schachtelsätze sind wie Gewürze: Fein dosiert verfeinern sie jede Mahlzeit. Eine Überdosierung verdirbt diese. Ich wage zu behaupten, dass diejenigen, die an der Gesetzesbegründung zum Mehrwertsteuer-Digitalpaket mitgewirkt haben, keine guten Köche sind.

Bitte, liebe Mitwirkende der Gesetzesbegründung: Überlasst Schachtelsätze Thomas Mann oder Friedrich Dürrenmatt. Mein Lieblingsbuch zum Thema „Gutes Schreiben“ stammt übrigens von Stephen King (ja, dem „Grusel-Autor“) und heißt „Das Leben und das Schreiben.“ Wer sich mit Sprache beschäftigen möchte und ein echtes Interesse daran hat, dass seine Texte verstanden werden, dem sei das Buch empfohlen. Natürlich gilt dies auch für alle Werke von Wolf Schneider.


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