Aufreger des Monats: Teures freiwilliges soziales Jahr

Es ist lobenswert, wenn sich junge Menschen sozial engagieren und zum Beispiel ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren. Nun war es im Jahre 2020 pandemiebedingt nicht gerade leicht, ein entsprechendes Projekt zu finden und so mussten Interessierte vielleicht fünf oder sechs Monate warten, bevor sie ihr freiwilliges soziales Jahr antreten konnten. Wenn sie sich in der Übergangszeit zwischen Beendigung der Schulausbildung und dem Beginn des freiwilligen sozialen Jahres nicht sofort ausbildungsplatz- oder arbeitssuchend gemeldet haben, ist es aber teuer geworden: Die Eltern haben dann nämlich ihren Kindergeldanspruch verloren, und zwar nicht nur für den Zeitraum, der über die Vier-Monats-Frist des § 32 Abs. 4 Nr. 2b und d EStG hinausgeht, sondern für den kompletten Übergangsabschnitt.

Das Finanzgericht Münster hält den Entfall des Kindergeldanspruchs für rechtens und hält sich buchstabengetreu an den Gesetzeswortlaut, der nun einmal in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b und d EStG einen Übergangszeitraum vom Schulabschluss bis zum Beginn des freiwilligen sozialen Jahres von maximal vier Monaten vorsieht, ohne den Kindergeldanspruch zu verlieren (FG Münster, Urteil vom 14.6.2022, 13 K 745/21 Kg).

Der Sachverhalt in Kürze:

Die volljährige Tochter beendete ihre Schulausbildung im Juli 2020. Im Anschluss war sie auf Projektsuche für ein freiwilliges soziales Jahr, was sich aufgrund der coronabedingten Situation als schwierig erwies. Erst im Januar 2021 konnte sie mit dem freiwilligen sozialen Jahr starten. Die Tochter hatte sich erst am 20.11.2020 bei der Agentur für Arbeit als ausbildungsplatzsuchend gemeldet. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für August, September und Oktober 2020 auf, weil das Kind in dieser Zeit zum einen nicht arbeitssuchend gemeldet war und zum anderen der Übergangszeitraum zwischen Schulabschluss und Aufnahme des freiwilligen sozialen Jahres mehr als vier Monate betrug. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Die Begründung lautet sinngemäß:

Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wird berücksichtigt, wenn es sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines Freiwilligendienstes liegt. Bei einem Überschreiten der Übergangszeit entfällt eine Begünstigung vollständig. Der Wortlaut von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b und d EStG ist eindeutig.

Trotz ihrer Suche nach einem Projekt für ein freiwilliges soziales Jahr kann die Tochter auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG berücksichtigt werden. Nach dieser Vorschrift wird Kindergeld gezahlt, wenn ein Kind eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres ist grundsätzlich keine Berufsausbildung, denn es dient in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl.  Eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG auf Fälle, in denen ein freiwilliges soziales Jahr aufgrund der Coronapandemie nicht begonnen werden kann, ist nicht möglich. Es fehlt insoweit ebenfalls an der für eine analoge Anwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.

Fazit: 

Das Kind verdient während seines freiwilligen sozialen Jahres recht wenig. Die Rentenansprüche, die das Kind in dieser Zeit erwirbt, sind minimal, so dass quasi ein Beitragsjahr verlorengeht. Und zu allem Überfluss verlieren die Eltern in einem Fall wie dem obigen auch noch den Kindergeldanspruch. Da wird das freiwillige soziale Jahr recht teuer.

Für mich ist das Urteil ein Aufreger des Monats, weil die Richter sich nicht mit der Frage des Erlasses einer Billigkeitsregelung befasst und zudem auch nicht die Revision zugelassen haben. Dabei drängt sich eine Billigkeitsregelung angesichts der Corona-Situation des Jahres 2020 nahezu auf. In ihrer Urteilsbegründung verweisen die Richter unter anderem auf die Gesetzeshistorie.

Bei allem Respekt: Der Gesetzgeber konnte seinerzeit nicht an eine Corona-Pandemie gedacht haben. Insofern trägt das Argument nicht. Übrigens, nur am Rande: Lesen Sie einmal das BFH-Urteil vom 27.10.2021 (X K 5/20) zu Fristüberschreitungen von Gerichten während der Corona-Pandemie. Für sich selbst nehmen Richter durchaus eine coronabedingte Billigkeitsregelung in Anspruch. Doch wenn Zwei das Gleiche tun – Sie wissen schon.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

94 − 88 =