Ausnahmsweise keine Sozialversicherungspflicht des Minderheitsgesellschafters-GF, „denn die Macht ist mit ihm“

Mit Blog-Beitrag vom 4. November 2016 berichtete ich zur deutlichen Verschärfung der Sozialversicherungspflicht bei Fremd- und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern. Eine Entscheidung des Sozialgerichts Reutlingen (28.06.2016, S 8 R 1775/14) zeigt, unter welchen (aus Mehrheitsgesellschafter-Sicht nicht zwingend wünschenswerten) Bedingungen Sozialversicherungsfreiheit des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers noch erreicht werden kann.

Sachverhalt

Es ging um eine GmbH mit Tätigkeitsbereich Zimmerei und Innenausbau. Die Anteile liegen in den Händen eines Mehrheitsgesellschafters (52 %) sowie zwei Minderheitsgesellschaftern mit Anteilen von je 24 %, der klagende Minderheitsgesellschafter war auch Geschäftsführer. Nach den Feststellungen des Gerichts war dieser Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer

  • alleinvertretungsberechtigt,
  • vom Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB befreit,
  • weisungsfrei hinsichtlich der Geschäftsführung, hinsichtlich seines Arbeitseinsatzes (der nach eigenem Ermessen und nach Bedarf des Unternehmens erfolgen durfte) und hinsichtlich der Bestimmung von Dauer und Länge seines Urlaubs (!!),
  • der einzige Geschäftsführer im Bereich Zimmerei,
  • Know-how-Träger wegen seiner besonderen Branchenkenntnisse.

Außerdem existierte die bekannte schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarung zwischen sämtlichen Gesellschaftern, nach der sich diese zur Verwirklichung einer einheitlichen Führung der Gesellschaft abzustimmen oder übereinstimmend der Stimme zu enthalten hätten.

Schließlich existierte noch – und dies ist die Besonderheit in der vorliegenden Sache – eine Regelung im Gesellschaftsvertrag/in der Satzung, nach der zum Geschäftsführer bestellte Gesellschafter Beschlüssen zustimmen müssen, wenn Beschlüsse über

  • die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie
  • den Abschluss, die Änderung und die Kündigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen, sofern die betreffenden Personen Gesellschafter sind,

getroffen werden.

Sowohl im Statusfeststellungsverfahren als auch vor Gericht argumentierten die Parteien – auch der Antragsteller – eher klassisch mit der Weisungsfreiheit, der Branchenkenntnis und der Stimmbindungsvereinbarung.

Wesentliches Entscheidungskriterium nach dem SG Reutlingen

Das SG Reutlingen hat – in Übereinstimmung mit den im Blog-Beitrag vom 4. November 2016 dargestellten Entscheidungen des BSG – auf die Rechtsmacht des klagenden Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers abgestellt. Entscheidend war also die oben dargestellte Regelung im Gesellschaftsvertrag/in der Satzung, die nach Auffassung des Gerichts auch mit § 53 Abs. 2 GmbH-Gesetz konform geht:

Zwar gebe es ein Quorum für Gesellschafterbeschlüsse von 75 % (üblich), aber soweit es um Beschlüsse geht, die die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, den Abschluss, die Änderung oder die Kündigung von Geschäftsführeranstellungsverträgen betreffen, sofern die betreffenden Personen Gesellschafter sind, bestehe eben die Zustimmungspflicht des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers.

Alle anderen Aspekte, insbesondere auch die Stimmbindungsvereinbarung, wertete das Gericht in Richtung Sozialversicherungsfreiheit nur noch unter „ferner liefen“ und abrundend im Sinne des Gesamtbildes . Ganz klar war für das Gericht die in der Satzung verankerte Rechtsmacht des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers entscheidend.

Fazit:

Die Entscheidung zeigt eindrucksvoll, dass Sozialversicherungsfreiheit des Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers durchaus noch herbeigeführt werden kann. Durch die gesellschaftsrechtliche Brille gesehen, ist dies aber mit erheblichen Einschränkungen für den Mehrheitsgesellschafter verbunden. Ob dies wünschenswert ist, ist die Frage. Bei aller Ausnutzung von Gestaltungsoptionen muss gefragt werden, ob der Mehrheitsgesellschafter derart viel Macht aus der Hand geben möchte. Im Ergebnis wird die Herbeiführung von Sozialversicherungsfreiheit nur noch in derart krassen Ausnahmefällen gelingen können, in denen der Mehrheitsgesellschafter seine Macht vertrauensvoll fast völlig aus der Hand gibt. Derartige Konstellationen dürften aus tatsächlichen Gründen wohl eher selten anzutreffen sein.

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