Sozialversicherungspflicht des Fremd- und Minderheitsgesellschafter-GF: deutliche Verschärfung seit 2015!

Das Bundessozialgericht (BSG) hat die sog. Schönwetter- und die sog. Kopf-und-Seele-Rechtsprechung in 2015 ausdrücklich aufgegeben. Damit ist im Ergebnis eine deutliche Verschärfung der Sozialversicherungspflicht für Fremd- und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer eingetreten. In meiner Beratungspraxis musste ich bereits mehrfach feststellen, dass diese Tatsache noch wenig bekannt ist.

1. Bisher

Fremd- und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer (Beteiligung < 50 %) waren schon immer als abhängig Beschäftigte einzustufen, soweit nicht besondere Umstände vorlagen, die eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall aufhoben (vgl. z.B. Bundessozialgericht (BSG), 04.07.2007, B11a L 5/06R).

Es war bis vor wenigen Jahren möglich, im Einzelfall dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis durch eine entsprechende Durchführung des Vertragsverhältnisses (und im Fall von Streitigkeiten durch entsprechenden Sachvortrag im sozialgerichtlichen Verfahren) „aufzubrechen“. Außerhalb der gesellschaftsrechtlich vermittelten, in der GmbH-Satzung vermittelten Einflussmöglichkeit wurden bisher berücksichtigt

  • das Argument, der GF sei „Kopf und Seele“ des von ihm geführten Unternehmens, z.B. kraft Know-Hows (vgl. z. B. LSG Hessen, 23.11.2006, L 1 KR 763/03);
  • schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarungen.

2. Neu seit Ende 2015

Beide Argumente sind zwischenzeitlich „tot“. Die Rechsprechung hat sich wie folgt weiterentwickelt.

BSG seit 2012: vertragliche Ausgestaltung entscheidend

Mit zwei Revisionsentscheidungen begann das BSG seine Gangart zu verschärfen (jeweils 29.08.2012, B 12 R 14/10 R und B 12 KR 25/10 R): in diesen Entscheidungen wurde auf die vertragliche Ausgestaltung innerhalb der GmbH abgestellt. Alles Weitere trat damit in den Hintergrund.

Bereits unter dieser Prämisse erwiesen sich in einem von mir betreuten Verfahren eine „Standardsatzung“ und ein „Standardanstellungsvertrag“ als schädlich. In dem Geschäftsführeranstellungsvertrag hieß es z.B., dass sich der Geschäftsführer an die „Vorgaben der Gesellschafterversammlung“ halten muss und er nur für die „Führung der gewöhnlichen Geschäfte“ befugt ist. Nota bene: es gab dort weder in der Satzung noch im GF-Anstellungsvertrag einen Katalog zustimmungspflichtiger Gesetze, der GF war selbstverständlich vom Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB befreit. Trotzdem entschied das Sozialgericht im Ergebnis auf Sozialversicherungspflicht.

BSG im Juli 2015: Absage an die Kopf-und-Seele-Rechtsprechung

Mit Urteil vom 29.07.2015 erteilte das BSG der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung des LSG Hessen, wonach z.B. der GF einer Familiengesellschaft ausnahmsweise als Selbstständige einzustufen ist, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führt, eine Absage: sie sei für die Statusbeurteilung „nicht heranzuziehen“ (BSG, 29.07.2015, B 12 KR 23/13).

BSG im November 2015: Absage an schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarungen

Mit drei Urteilen vom 11.11.2015 (B 12 KR 13/14 R, B 12 R 2/14 R und B 12 KR 10/14 R) legte das BSG nach: es ließ – anders als die Unterinstanzen – unterschiedlich ausgestaltete Stimmbindungsabreden, denen gemeinsam war, dass sie lediglich schuldrechtlich vereinbart waren, mit dem Argument nicht gelten, diese würden keine dauerhaft gesicherte Rechtsposition vermitteln. Da derartige schuldrechtliche Abreden trotz ihrer dauerhaften Ausgestaltung im Streitfall nicht belastbar sind, weil sie gekündigt werden können, wurde für sie der Begriff „Schönwetter-Selbstständigkeit“ geprägt.

Damit gibt es im Ergebnis derzeit nur noch eine Möglichkeit, als Fremd- oder Minderheitsgesellschafter-GF sozialversicherungsfrei zu bleiben: eine gesellschaftsrechtliche Ausgestaltung der Stellung des Minderheitsgesellschafter-GFs, die einen Gesellschafterstreit unbeschadet überstehen kann, d.h. im Ergebnis eine in der Satzung abgesicherte „Machtposition“/Stimmrechtsmacht, z.B. durch

  • weisungsfreie Ausgestaltung der Tätigkeit des GF in der Satzung kombiniert mit Abberufung nur aus wichtigem Grund
  • satzungsmäßige Vetorechte / Sperrminorität bei Weisungen und der eigenen Abberufung
  • satzungsmäßige Mehrheitsklauseln/Quoren, die für derartige Beschlüsse Mehrheiten vorsehen, die der GF verhindern kann.

Konterkariert würden derartige Klauseln wohl durch

  • Call-Optionen
  • Einziehungsrechte

zulasten des Minderheitsgesellschafter-GFs. Hierzu gibt es aber noch keine Entscheidungen.

3. Risiko für das Unternehmen

Das Risiko liegt in eventuellen Beitragsnachforderungen. Der im Falle der Sozialversicherungspflicht aus der GF-Vergütung resultierende Beitragsanspruch steht per Gesetz den Sozialversicherungsträgern zu (§ 23 Abs. 1 SGB IV). Relevant sind vorliegend zum einen der Gesamtsozialversicherungsbeitrag (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, § 28 d SGB IV), zum anderen der (nur vom Arbeitgeber zu entrichtende) Beitrag zur Unfallversicherung (§ 150 SGB VII).

Grundsätzlich greift das sog. Entstehungsprinzip, d.h. der Beitragsanspruch entsteht mit jeder Monatsvergütung. Ansprüche auf Beiträge verjähren – unabhängig von der Kenntnis der Einzugsstelle – in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind, bei Vorsatz (was man vorliegend nach unserem Dafürhalten nicht annehmen kann) in 30 Jahren (§ 25 Abs. 1 SGB IV). Damit wären derzeit noch Beitragsansprüche aus den Jahren ab einschließlich 2012 realisierbar, allerdings – weil der Abzug zunächst unterblieben ist – jeweils die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile (vgl. § 28 g S. 3 SGB IV).

Der Säumniszuschlag beträgt monatlich 1 % und entfällt nur, wenn der Arbeitgeber seiner Beitragspflicht unverschuldet nicht nachgekommen ist (§ 24 Abs. 1 und 2 SGB IV). Die Einzugsstelle kann nur unter engen Voraussetzungen zur Sicherung der Liquidität Beitragsschulden stunden oder gar erlassen (§ 76 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 SGB IV). Eine Stundung soll verzinslich erfolgen (§ 76 Abs. 2 SGB IV). In der Regel wird für die Einräumung einer Ratenzahlung Zinsen verlangt.

4. Bindungswirkung von älteren Statusentscheidungen der DRV und der Krankenkassen, Bescheiden aus Betriebsprüfungen?

Fraglich ist, ob die vereinzelt vorliegenden Statusentscheidungen der DRV bzw. der Krankenkassen (Einzugsstelle) oder z.B. ein auf einer Betriebsprüfung der DRV basierender, den Prüfzeitraum abschließender, vorbehaltsloser und bestandskräftiger Nachforderungsbescheid Nachforderungen ausschließt.

Generell gilt: die DRV Bund entscheidet im Statusfeststellungsverfahren verbindlich für die Renten-, Kranken-, soziale Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 7 a Abs. 1 SGB IV). Der Unfallversicherungsträger ist allerdings nicht gebunden (LSG Stuttgart, 21.02.2013, L 10 U 5019/11).

Bei Betriebsprüfungen nach § 28p Abs. 1 SGB IV sind die prüfenden zuständigen lokalen Rentenversicherungsträger (z.B. DRV Nordbayern) an bestandskräftige Bescheide der anderen Sozialversicherungsträger (außer ggf. DRV Bund) nicht gebunden.

Ob es sich um Statusentscheidungen oder Entscheidungen nach einer Prüfung der Krankenkasse als Einzugsstelle handelt: die Entscheidung der Krankenkasse ist am wenigsten „fest“. Erfahrungsgemäß helfen diese nicht.

Fraglich ist weiterhin, ob Prüf-/Nachforderungsbescheide der DRV eine Nachforderung ausschließen – im Ergebnis wohl nicht.

Zwar kann im Ausnahmefall kann ein früher einmal erlassener Bescheid als (anfänglich) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt i. S. des § 45 SGB X einzustufen sein, dessen frühere Unrichtigkeit erst jetzt erkannt wird. Ein solcher darf nach § 45 II SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (LSG Bayern, 18.01.2011, L 5 R 752/08 zu einer Beitragsnachforderung bei Verpflegungsmehr­aufwendungen, die geprüfte Zeiträume betraf, für die bereits ein bestandskräftiger Nachforderungsbescheid existierte).

Allerdings gilt, dass Arbeitgeberprüfungen im Interesse der Versicherten stattfinden und nicht den Schutz des Arbeitgebers als Beitragsschuldner bezwecken sollen. Der aus einer Betriebsprüfung resultierende Nachforderungsbescheid hat keine Funktion eines Entlastungsnachweises mit Außenwirkung (z.B. BSG, 29.07.2003, B 12 AL 1/02 R).

Echte Statusentscheidungen haben die größte Festigkeit, sofern sich der zugrunde gelegte Sachverhalt nicht geändert hat. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, wenn die DRV die Statusentscheidung explizit auf eine veraltete Rechtsmeinung („einschlägige Branchenkenntnis“, also letztlich „Kopf und Seele“) stützt. Nach unserem Verständnis ist es nicht ausgeschlossen, dass die DRV hier ebenfalls nach § 45 SGB IV korrigieren kann. Allerdings müsste einer Beitragsnachforderung die Vorschrift des § 45 Abs. 2 SGB X entgegengesetzt werden können (Beiträge erst „ex nunc“).

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