Beitragsabschlag in der Pflegeversicherung: Kompliziert, komplizierter, am kompliziertesten

Zum 1.7.2023 ist die Beitragserhebung in der gesetzlichen Pflegeversicherung neu geregelt worden. Hintergrund für die Gesetzesänderung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3.4.2001 (1 BvR 1629/94). Danach ist es mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Über das Urteil ist zwar viel gestritten worden. Letztlich werden Kinderlose die höheren Beiträgen zur gesetzlichen Pflegeversicherung aber – wohl oder übel – hinnehmen müssen.

Wie immer, wenn es in Deutschland etwas zu regeln gilt und man der Verwaltung und der Politik ein Spielfeld überlässt, wird geregelt – und zwar kräftig. Wir Deutschen können nicht anders: Es muss „kompliziert, komplizierter, am kompliziertesten“ sein. Ich habe schon öfters geschrieben, dass Kompliziertheit und Regelwahn nun ´mal in unseren Genen liegen. Selbstverständlich ging es auch bei der Neuregelung der Beitragssätze in der Pflegeversicherung nicht anders. Unsere ehemalige Bundeskanzlerin hätte das wohl als „alternativlos“ bezeichnet.

Zum Regelwerk in aller Kürze:

  • Der gesetzliche Beitragssatz wurde um 0,35 Prozentpunkte angehoben und beträgt jetzt 3,40 Prozent.
  • Der Beitragszuschlag für Kinderlose wurde um 0,25 Prozentpunkte auf 0,60 Prozent angehoben. Damit ergibt sich ein Beitragssatz von 4,0 Prozent.
  • Der Beitragssatz wird ab dem 2. Kind um 0,25 Prozentpunkte pro Kind gesenkt – begrenzt auf maximal 1,0 Prozent. Ab dem fünften Kind bleibt es bei einer Entlastung in Höhe eines Abschlags von 1,0 Prozent.

Bis hierhin ist es ja noch irgendwie verständlich. Aber – Sie ahnen es – es gibt Ausnahmen, Übergangsregelungen, Nachweispflichten und, und, und.

Der GKV-Spitzenverband hat dazu in seiner Verlautbarung vom 11.7.2023 Stellung bezogen. Allein schon der Titel verheißt nichts Gutes: „Grundsätzliche Hinweise – Differenzierung der Beitragssätze in der Pflegeversicherung nach Anzahl der Kinder und Empfehlungen zum Nachweis der Elterneigenschaft“ (gkv-spitzenverband.de).

Es bedarf fast 33 eng bedruckter Seiten, um die Neuregelungen zu erläutern. Eine Passage möchte ich Ihnen nicht vorenthalten:

„Im Gegensatz zu Mitgliedern, die Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 SGB II beziehen, ist die Personengruppe der versicherungspflichtigen Bezieher von Leistungen nach dem SGB III von der Beitragszuschlagspflicht nicht ausgenommen. Für diese Mitglieder zahlt jedoch die Bundesagentur für Arbeit eine Pauschale in Höhe von 20 Mio. Euro pro Jahr an den Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung (§ 60 Absatz 7 SGB XI). Von der Pauschale nicht erfasst sind Bezieher von Entgeltersatzleistungen (z. B. Krankengeld), deren Leistungen in Höhe der Leistungen nach dem SGB III gezahlt werden; diese Personengruppe ist von der individuellen Beitragszuschlagspflicht nicht ausgenommen.“

Alles klar?

Von besonderem Interesse sind die Hinweise zu der Frage, wie berücksichtigungsfähige Kinder nachzuweisen sind. Bezüglich möglicher Nachweise bei leiblichen Eltern und Adoptiveltern gibt es 18 (!) Aufzählungspunkte, wenn ich richtig gezählt habe.

Vielleicht werden Sie jetzt sagen, dass Sie das doch alles nicht interessieren muss. Aber: Gelten Sie als „beitragsabführende Stelle“, das sind insbesondere die Arbeitgeber, sollten Sie sich alsbald mit der Verlautbarung des GKV-Spitzenverbandes vertraut machen. Denn: Der Nachweis über die Elterneigenschaft und der Nachweis über die Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder sind von der beitragsabführenden Stelle zusammen mit den übrigen Unterlagen, die für die Zahlung der Pflegeversicherungsbeiträge relevant sind, aufzubewahren. Ein Vermerk „als Nachweis hat vorgelegen …“ ist nicht ausreichend. Der Nachweis ist für die Dauer des die Beitragszahlung zur Pflegeversicherung begründenden Versicherungsverhältnisses von der beitragsabführenden Stelle aufzubewahren und darüber hinaus bis zum Ablauf von weiteren vier(!) Kalenderjahren.

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