Betriebsschließungsversicherung in der Pandemie: BGH klappt den Regenschirm zu

Über die Instanzrechtsprechung haben wir hier und da schon berichtet. Jetzt hat der BGH über die Betriebsschließungsversicherung der Pandemie entschieden – und zwar zugunsten der Versicherer, jedenfalls für eine konkrete Klausel.

Das aktuelle Urteil wurde vom Bloggerkollegen Professor Jahn hier schon sehr informativ aufgegriffen, ich möchte aber noch zwei Aspekte der Entscheidung ausleuchten, die die Feinheiten der Juristerei so schön deutlich machen: Die Auslegung nach dem Wortlaut und die Transparenz von Formularklauseln.

Im BGH-Fall heißt es in den Versicherungsbedingungen: „Die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger sind versichert“. Die Karlsruher Richter meinen, dass diese Formulierung lediglich als Klarstellung zu verstehen sei, dass sich die Versicherung bei der Abfassung des Katalogs inhaltlich an §§ 6 und 7 IfSG orientiert habe. Ein anderes Verständnis folge auch nicht aus dem Begriff „namentlich“. Auch der erkennbare Zweck und Sinnzusammenhang der Klausel spreche für die Abgeschlossenheit des Katalogs. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer werde zwar Interesse an einem möglichst umfassenden Versicherungsschutz haben, andererseits könne er aber nicht davon ausgehen dass der Versicherer auch für nicht im Katalog aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger die Deckung übernehmen wolle, die – wie hier COVID-19/SARS-CoV-2 gerade zeigt – u.U. erst Jahre nach Vertragsschluss auftreten und bei denen für den Versicherer wegen der Unklarheit des Haftungsrisikos keine sachgerechte Prämienkalkulation möglich sei.

Der BGH hat auch keine AGB-rechtliche Bedenken: Die Klauseln seien weder intransparent noch benachteiligten sie die Versicherungsnehmer unangemessen.

Die wirtschaftliche Argumentation, dass Versicherer eben nur das versichern wollen, was sie erkennen können und das für die Abgeschlossenheit spricht, kann ich nachvollziehen. Die sprachliche Argumentation – bei der konkreten Klausel – auch. Wie dargestellt kann „namentlich“ sowohl heißen „namentlich benannt“ – was den Katalog abschließend macht – als auch „insbesondere“, was heißen würde, dass die Auflistung nur beispielhaft wäre. Hier ist die Klausel so gefasst, dass die abschließende Auflistung näher liegt. Wenn es aber z.B. heißen würde: „Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ IFSG § 6 und IFSG § 7 IfSG genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger, namentlich…“ wäre die Sache m.E. wieder offen. Wenn dann aber noch die Gesetzesfassung genannt ist: „Versicherungsschutz besteht für die folgenden der in §§ IFSG § 6 und IFSG § 7 IfSG genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten und Erreger nach Fassung des Gesetzes vom 20.7.2000, namentlich…“ wäre man wohl wieder beim abschließenden Katalog.

In Hinblick auf die Transparenz von Versicherungsbedingungen stellt sich mir durchaus die Frage, „ob der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem klaren Wortlaut der Bedingungen [entnimmt], dass in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definiert werden“, wie der BGH meint. Der Wortlaut der Versicherungsbedingungen ist gerade nicht klar – sonst wären die Streitigkeiten ja nicht aufgetreten.

AGB sind objektiv und „über-individuell“ auszulegen. Anders als bei der Auslegung von Verträgen kommt es nicht auf den wirklichen Willen der Vertragspartner an, sondern auf das Verständnis der durchschnittlichen, verständigen und redlichen Teilnehmer des entsprechenden Kunden bzw. Verkehrskreises. Zweifel bei der Auslegung gehen zulasten des Verwenders. Die obigen Beispiele zeigen, dass es durchaus einen Unterschied machen kann, wo das Wort „namentlich“ steht – jedenfalls für mich als Juristen. Ob ein durchschnittlicher Gastronom, der vielleicht nicht deutschsprachig aufgewachsen ist, das auch so erkennen kann, wage ich zu bezweifeln.

Und man muss schon ausgewiesener Versicherungsrechtler sein, damit Versicherungsbedingungen transparent erscheinen – für einen „durchschnittlichen Versicherungsnehmer“ sind sie alles andere als das. Insofern nicht mal auf den Wortlaut des Urteils gespannt, denn ich kann der Argumentation des LG München I, wonach eine Intransparenz auch durch eine „optisch erschlagende Darstellung“ eintreten kann für mehr als nachdenkenswert.

Hand aufs Herz: Auch als Steuerberater oder Anwalt hat man in eigener Sache auch überhaupt keine Lust, die AGBs durchzulesen, schon aufgrund deren Länge. Aber das ist ein anderes Thema.

Wie immer hat der BGH nur einen Einzelfall entschieden, jedoch dürfte die Entscheidung wegweisend sein für alle Klauseln, die genauso formuliert sind wie die entschiedene. Mal sehen, wie es bei den anderen Klauseln ausgeht.

Fazit: 1 zu 0 für Mark Twain (falls er das mit den Versicherungen und den Regenschirm wirklich so gesagt hat).

Weitere Informationen:


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

46 − = 41