Bevölkerungsschutzgesetz im Bundestag: Genügt das neue IfSG den verfassungsrechtlichen Anforderungen

Am 18.11.2020 soll der Bundestag abschließend über ein „Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (BT-Drs. 19/23944) abstimmen. Ein Kernpunkt ist ein neuer § 28 a IfSG, der eine ausreichende gesetzliche Grundlage für grundrechtsbeschränkende Eingriffsmaßnahmen während der Corona-Pandemie schaffen soll.

Was ist davon zu halten?

Hintergrund

Die bisher maßgeblich auf Grundlage der §§ 28 ff., 32 IfSG getroffenen notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie führen teilweise zu erheblichen Eingriffen in grundrechtliche Freiheiten.

Das Rechtsstaatsprinzip, das Demokratiegebot und das Ziel der Eindämmung der Pandemie bedürfen einer stärkeren Einbindung der Parlamente und die Beseitigung bestehender gesetzlicher Defizite, lautet die inzwischen laut gewordene Kritik an exekutiven Beschränkungsmaßnahmen während der Corona-Pandemie. Das hat jetzt auch der Gesetzgeber im Zuge des Dritten Bevölkerungsschutzgesetzes (BT-Drs. 19/23944) erkannt: Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts aus Art. 80 Abs. 1 S. 1 und 2 GG angesichts der länger andauernden Pandemielage und fortgesetzt erforderlichen eingriffsintensiven Maßnahmen zu entsprechen, ist eine gesetzliche Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen angezeigt, heißt es im Gesetzentwurf.

Eckpunkte des neuen § 28 a IfSG

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs.19/23944, S.12 f.) sieht unter seiner Ziff.17 einen neuen § 28a IfSG vor, der als „notwendige Schutzmaßnahmen“ i.S.d. § 28 Abs. 1 IfSG in beispielhafter Aufzählung 15 namentliche Freiheitsbeschränkungen von Kontaktbeschränkungen über Betriebs- oder Gewerbeuntersagungen bis hin zu Reisebeschränkungen auflistet.

§ 28a Abs. 3 S. 2 IfSG sieht zusätzlich vor, dass weitere zur Bekämpfung des Coronavirus- SARS-CoV-2 erforderliche Schutzmaßnahmen unberührt bleiben. Die Anordnung und Dauer entsprechender Schutzmaßnahmen muss ihrerseits verhältnismäßig sein (§ 28a Abs. 1 S. 2 IfSG). Nach Art. 7 des Gesetzentwurfs können hierdurch werden die Grundrechte der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 Abs.1 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art.13 Abs. 1 GG) eingeschränkt werden. Auf S. 31 ff. des Gesetzentwurfs finden sich die Einzelbegründungen zu den vorgeschlagenen Eingriffsmaßnahmen.

Neben anderen Anträgen zur Gesetzesnovelle fordert die FDP (BT-Drs.19/23689) bei der Einführung von Verordnungsermächtigungen im IfSG für den Bund verstärkt auf parlamentarische Erlassvorbehalte und Unterrichtungspflichten zu setzen. Die weitreichenden und verfassungsrechtlich zweifelhaften Verordnungsermächtigungen zugunsten des Bundesgesundheitsministeriums müssten eingeschränkt werden. Auf eine Verstetigung und Entfristung der Verordnungsermächtigungen sollte verzichtet werden. Künftig sollte zudem die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach zwei Monaten automatisch enden. Die FDP-Fraktion plädiert außerdem zur Unterstützung der Abgeordneten bei der Beurteilung von Anti-Corona-Maßnahmen für einen Expertenrat.

Bewertung

Der Weckruf der Gerichte bei der Überprüfung von angeordneten Beschränkungsmaßnahmen im Zuge der Corona-Bekämpfung war seit März 2020 überdeutlich: Der VGH München hat in sechs (!) Entscheidungen seit März 2020 (AZ s.u.) „erhebliche Zweifel“ geäußert, ob die Anforderungen des Parlamentsvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots (Art. 80 Abs.1 S. 2 GG) noch beachtet sind. In ähnlichem Sinne haben der VGH Mannheim () und das VG Hamburg geurteilt. Diese Stimmen aus der Rechtsprechung sind ein halbes Jahr vom Gesetzgeber ungehört geblieben – unverständlich!

Durch die Überarbeitung und Ergänzung des IfSG will die Bundesregierung jetzt den bisherigen verfassungsrechtlichen Bedenken von Verwaltungsgerichten und Verfassungsrechtlern Rechnung tragen und Rechtssicherheit schaffen. Ob dies gelungen ist, ist in der Sachverständigen-Anhörung am 12.11.2020 bereits von Verfassungsjuristen bezweifelt worden. Denn Besserung ist nicht in Sicht: Der Gesetzentwurf arbeitet mit zu vielen unbestimmten Rechtsbegriffen in § 28a IfSG, die die Gerichte abermals auf den Plan rufen werden. Wenn der Gesetzgeber Rechtsverordnungen nicht unter den Zustimmungsvorbehalt des förmlichen Gesetzgebers stellt – so wie das die Länder Baden-Württemberg und Thüringen bereits getan haben – stellt sich die Frage, ob Art. 80 Abs.1 GG hinreichend beachtet, der vorschreibt, dass die wesentlichen Entscheidungen das Parlament zu treffen hat.

Man vermisst im Gesetzentwurf auch eine zeitliche Befristung von angeordneten Schutzmaßnahmen. Und schließlich scheint das verfassungsrechtliche Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG) nur unzureichend beachtet.

Quellen
BT-Drs. 19/23944
BT-Drs. 19/23689

VGH München v.
14.4.2020 – 20 NE 20.763, Rz.14 f;
14.4.2020 – 20 NE 20.735, Rz 15;
27.4.2020 – 20 NE 20.793, Ls.3;
7.9.2020 – 20 NE 20.1981, Rz.25;
29.10.2020 – 20 NE 20.2360 Rz. 28;
5.11.2020 – 20 NE 20.2468

VGH Mannheim v.
9.4.2020 – 1 S 925/20 Rz. 37 ff;
5.11.2020 – 1 S 3405/20

VGH Hamburg v.
10.11.2020 – 13 E 4550/20


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