BFH: Kein rückwirkender coronabedingter Schutz bei steuerlichen Vollstreckungsmaßnahmen!

Das BMF-Schreiben zum coronabedingten Absehen von steuerlichen Vollstreckungsmaßnahmen vom 19.03.2020 (BStBl I 2020, 262) erfasst nicht bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden. Dies hat der BFH jetzt klargestellt (BFH 30.07.2020 – VII B 73/20 (AdV)).

Hintergrund

Zur Vermeidung unbilliger Härten gewährt die Finanzverwaltung Steuerpflichtigen, die von den Folgen der Corona-Krise besonders betroffen sind, verschiedene steuerliche Erleichterungen. Hierzu zählt u. a. auch, dass unter bestimmten Voraussetzungen bis Ende des Jahres 2020 von steuerlichen Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden kann. Einzelheiten hat das BMF in einem Schreiben vom 19.03.2020 (BStBl I 2020, 262) veröffentlicht.

Worum ging es im Streitfall?

Im Streitfall hatte die Antragstellerin, ein in der EU ansässiges Unternehmen, erhebliche Steuerschulden, die bereits im Jahr 2019 festgesetzt worden waren. Ein EU-Mitgliedstaat richtete ein Vollstreckungsersuchen an den deutschen Fiskus. Das zuständige deutsche Finanzamt erließ daraufhin im Februar 2020 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegen mehrere deutsche Banken, bei denen die Antragstellerin Konten unterhielt. Dagegen wandte sich die Antragstellerin u. a. mit dem Argument, dass aufgrund ihrer durch die Corona-Krise bedingten Einnahmeausfälle in entsprechender Anwendung des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden müsse, und zwar auch für solche Vollstreckungsmaßnahmen, die vor dem 19.3.2020 eingeleitet worden waren.

BFH lehnt Vollstreckungsschutz ab

Der BFH hat den Vollstreckungsschutzantrag jetzt endgültig abgelehnt und festgestellt, dass nicht zu beanstanden ist, wenn die Finanzbehörden im Rahmen ihres Ermessens das BMF-Schreiben vom 19.03.2020 (BStBl I 2020, 262) nicht auf Vollstreckungsmaßnahmen anwenden, die bereits vor Bekanntgabe dieses Schreibens durchgeführt worden sind (BFH 30.07.2020 – VII B 73/20 (AdV)). Denn dem Wortlaut des BMF-Schreibens lässt sich gerade nicht entnehmen, dass bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen mit Rücksicht auf die Corona-Krise aufgehoben oder rückabgewickelt werden müssten. Weiter stellt der BFH klar, dass diese Erwägungen auch für inländische Sachverhalte gelten, in denen der Vollstreckungsschuldner in Deutschland ansässig und mit der Zahlung von deutschen Steuern säumig geworden ist.

Praktische Bedeutung

Die praktische Bedeutung der BFH-Entscheidung betrifft über den entschiedenen Einzelfall hinaus generell den steuerlichen Vollstreckungsschutz, auf den sich Steuerpflichtige unter Hinweis auf die Corona-Pandemie berufen wollen. Ich hatte unlängst berichtet, dass nach einer neuen Entscheidung des BFH 09.07.2020 – VII S 23/20 (AdV) die an Unternehmen, Freiberufler und Selbständige ausgezahlte Corona-Soforthilfe vom Finanzamt wegen Steuerschulden nicht gepfändet werden darf, weil diese nach § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 399 BGB eine „nicht pfändbare Forderung“ darstellt.

In dem seinerzeit im Juli entschiedenen Verfahren konnte der BFH wegen des Pfändungsschutzes deshalb offen lassen, ob auf Basis des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 (BStBl I 2020, 262) das in § 258 AO eingeräumte Ermessen in einer die Verwaltung selbst bindenden Weise dahin gelenkt wird, dass bei nicht nur unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen von der Vollstreckung fälliger Steuerforderungen abgesehen werden soll und ob das „Absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen nach Ziff. 3 des BMF-Schreibens auch Vollstreckungsmaßnahmen erfasst sind, die bereits vor Erlass des BMF-Schreibens erfolgt sind.

Diese praxisrelevante Frage hat der BFH nun in seinem Beschluss vom 30.07.2020  VII B 73/20 (AdV) beantwortet: Vom Schutzumfang des BMF-Schreibens vom 19.03.2020 sind Vollstreckungsmaßnahmen, die bereits vor Erlass des BMF-Schreibens am 19.03.2020 erfolgt sind, gerade eben nicht erfasst. Allerdings können Steuerschuldner, die bereits vor Bekanntgabe dieses Schreibens vollstreckt worden sind, um Rechtsschutz nach allgemeinen Regeln (z. B. nach § 258 AO) nachsuchen. Mit der Entscheidung beantwortet der BFH folglich eine wichtige Auslegungsfrage für den steuerlichen Vollstreckungsschutz im Kontext der Corona-Krise: Die während der Krise eingeführte `Pause` bei der Steuervollstreckung in Härtefällen gilt nicht rückwirkend!

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