Corona: Rechtsstaat auch in der Corona-Krise bewahren!

Mehr als 1000 Eilanträge von Bürgern sind nach Angaben des Deutschen Richterbundes derzeit gegen die auf Landesebene angeordneten Beschränkungen anhängig; der Unmut wird immer lauter, im Zuge eines rückläufigen Infektionsgeschehens wehren sich immer mehr Bürger und Unternehmen gegen massive Eingriffe in Freiheitsrechte. Bringt die Corona-Krise den demokratischen Rechtsstaat in Gefahr?

Hintergrund

Seite Mitte März leben die Bürger nach einem starken Anstieg der Corona-Pandemie Infektionszahlen mit erheblichen Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte: Glaubens- und Versammlungsfreiheit, Berufs- und Gewerbefreiheit oder Freizügigkeit, die durch die Grundrechte verbürgt sind, können nur noch eingeschränkt oder gar nicht ausgeübt werden. Grundlage hierfür sind nach der zwischen Bund und Ländern erfolgten Verabredung von Eckpfeilern der Pandemiebekämpfung Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen, die die zuständigen Behörden der Länder auf der Grundlage des Bundes-Infektionsschutzgesetzes (InfSchG) erlassen haben. Inzwischen gibt es nach einer infektionsschutzrechtlichen „Erholung“ erste Lockerungen, die je nach Bundesland und je nach betroffenem Lebenssachverhalt unterschiedlich ausfallen. Nach wie vor bestehen aber immer noch erheblichen Beschränkungen, die inzwischen auf immer weniger Akzeptanz in der Bevölkerung führen.


Bundestag soll „Freiheitskommission“ einsetzen

Mit Antrag vom 6.5.2020 hat die FDP-Bundestagsfraktion (BT-Drs.19/19009) den Bundestag aufgefordert, umgehend eine Generalrevision aller im Rahmen der Corona-Pandemie bereits erlassenen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen vorzunehmen und diejenigen Freiheitsbeschränkungen unverzüglich aufzuheben, sie sich aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht mehr rechtfertigen lassen und daher unverhältnismäßig sind. Es soll hiernach eine  unabhängige Freiheitskommission mit Experten aus den Bereichen Justiz, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingesetzt werden, die als unabhängiges Gremium – ähnlich der Monopolkommission, dem Deutschen Ethikrat oder den „Wirtschaftsweisen“ – die freiheitseinschränkenden Maßnahmen und deren Lockerungen kritisch begleitet.

Bewertung

Aus der Luft gegriffen ist der FDP-Antrag nicht: Die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte haben während der Corona-Einschränkungen so manchen „Ordnungsruf“ erlassen, auch wenn der Schutz von Leben und Gesundheit der Mensch (Art. 2 Abs.2 S. 1 GG) im Ergebnis bislang stets der Vorrang vor Freiheitsrechten von Bürgern und Unternehmen eingeräumt wurde. Dies gilt aber nicht grenzenlos, wie einige Gerichte beispielhaft festgestellt haben:

  • Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen:
    Diese greifen neben dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Freiheit der Person (Art. 2 Abs.2 S.2 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) auch in das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 2 GG) ein; denn Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen untersagen über die uneingeschränkte körperliche Fortbewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 S. GG) hinaus auch, sich über eine gewisse Dauer an einem bestimmten Ort aufzuhalten (etwa bei längerem Besuchsaufenthalt bei Freunden oder in der Familie oder bei einem Urlaubsaufenthalt). Ein Eingriff  in das Freizügigkeitsrecht (Art. 11 Abs. 2 GG) unterliegt aber dem Zitiergebot (Art. 19 Abs.1 S. 2 GG), d.h. das Gesetz, auf das Einschränkungen gestützt werden, muss ausdrücklich das einzuschränkende Grundrecht nennen. Da aber § 28 Abs.1 S.4 Bundes-InfektionsschutzG (InfSchG) gerade Art. 11 Abs.2 GG nicht als einschränkbar nennt, können durch Verwaltungsakte allein – wie Anfangs der Corona-Pandemie geschehen – keine Beschränkungen des Freizügigkeitsrechts erfolgen (VG München v. 24.3.2020 – M 26 S 20.1255).
  • Willkürfreiheit von Handelsbeschränkungen:
    Verkaufsflächenbeschränkungen im Handel (so z.B. in Bayern und Baden-Württemberg auf 800 qm Verkaufsfläche) müssen willkürfrei sein (Art. 3 Abs. 1 GG); gibt es keine sachgerechten Gründe für eine Größendifferenzierung, verstoßen etwaige Beschränkungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG (VG Sigmaringen v. 21.4.2020 – 14 K 1360/20; VG Würzburg v. 24.4.2020 – W E 20.574).
  • Vorbehalt des Gesetzes:
    Die Gerichte sind bislang überwiegend davon ausgegangen, dass auf §§ 28, 32 InfSchG geschützte Beschränkungsmaßnahmen mit dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sind, weil steigende oder gleichmäßig hohe Infektionszahlen während der Corona-Pandemie nach einer Rechtsgüterabwägung für den Gesundheitsschutz die Beschränkung von Freiheitsrechten zumutbar erscheinen lässt. Aber: Die Gerichte haben auch immer wieder festgestellt, dass nicht der Schutz der Gesundheit rechtfertigungsbedürftig ist, sondern der Eingriff in Freiheitsrechte. „Je länger die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie fortbestehen, desto mehr spricht dafür, dass sie der Ermächtigung durch ein besonderes förmliches Bundesgesetzt bedürfen“ (VGH München v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793). Im Klartext: Angesichts der tiefgreifenden Beschränkungen von Freiheitsrechten ist mit zunehmender Dauer der Beschränkungen von Bürgern und Wirtschaft nicht mehr eine Rechtsverordnung des Landes ausreichend, sondern ein förmliches Bundesgesetz erforderlich.

Fazit:

Natürlich muss der Schutz von Leben und Gesundheit von Corona-Opfern weiterhin oberste Priorität genießen. Aber: Bei rückläufigem Infektionsgeschehen rücken umgekehrt auch andere Freiheitsrechte, insbesondere die Gewerbe- und Berufsfreiheit mehr und mehr in den Vordergrund und genießen Vorfahrt – andernfalls kommt der Rechtsstaat unter die Räder!

Quellen
BT-Drs. 19/19009 vom 6.5.2020


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