Die Feststellung der Insolvenz in der Corona- Pandemie – ein gesetzgeberisches Meisterwerk?

Täglich bekommt man zu lesen, dass eine verschleppte Pleitewelle drohe und demnächst Tausende von Unternehmen Insolvenz anmelden müssten. Angst besteht vor allem auch bei gesunden Betrieben vor sogenannten Zombie-Unternehmen. Dabei ist gesetzgeberisch sehr viel in Bewegung. Aufgrund einer EU-Richtlinie wurde ein neuer präventiver Restrukturierungsrahmen geschaffen, der in Umsetzung einer europäischen Restrukturierungsrichtlinie einen Katalog an neuen Restrukturierungsinstrumenten enthält und insbesondere eine planmäßige außerinsolvenzrechtliche Restrukturierung ermöglicht.

Nun gilt es allerdings die seit März 2020 bestehende Gesetzgebung näher zu beleuchten, wenn es letztlich darum geht, ob ein Unternehmen Insolvenz anmelden muss oder nicht. Zumindest eines scheint gesichert: Nach aktuellem Stand sind die Insolvenzantragspflichten für alle Unternehmen, die Hilfen aus den staatlichen Förderprogrammen beantragt haben, jedoch noch nicht erhalten haben, bis Ende April 2021 weiterhin ausgesetzt. Zudem besteht großer Konsens darin, dass der Prognosezeitraum für den Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) bis Ende des Jahres 2021 von zwölf auf vier Monate reduziert ist, sofern die Überschuldung auf der Corona-Pandemie „beruhe“. Ob es für den Zeitraum danach noch weitere Änderungen gibt, ist wegen dem Bundestagswahlkampf weder wahrscheinlich, noch unwahrscheinlich, mithin ergebnisoffen.

Aus Sicht der Geschäftsleiter und Vorstände bergen diese Sonderregelungen Chancen und Risiken zugleich. Auf der einen Seite steigende Möglichkeiten, Unternehmen, die sich in einer Krise befinden, mit Erfolgsaussichten zu sanieren, auf der anderen Seite bleibt jedoch das persönliche Haftungsrisiko. Wer als Geschäftsleiter trotz Eintritt der Insolvenzreife kein Insolvenzantrag stellt, muss nicht nur mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, sondern muss der Gesellschaft aus einem persönlichen Vermögen auch alle nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgten Zahlungen erstatten (unter anderem § 64 GmbHG). Diese Haftung kann schon eine Existenzbedrohung des Ausmaßes annehmen. Und das die Vorgaben dazu, im Zuge der Corona-Pandemie, wann nun ein Insolvenzantrag zu stellen ist, seit einem Jahr für unterschiedliche Zeiträume und unterschiedliche Insolvenzgrundbegriffe ständig ändern, macht die Situation für einen Laien aber auch für Insolvenzrechtler auf den ersten Anhieb sehr unübersichtlich und setzt intensive Prüfungen von Besonderheiten (wann wurden Anträge auf Corona-Hilfen gestellt, wie war die Situation am 31.12.2019, wie war die Situation am 31.12.2020, wie ist die Liquidität bei einem kurzen Prognosezeitraum zu staffeln, wie ist die Liquiditätsprüfung, wenn der Staat Schuldner ist, etc.) voraus, um überhaupt Empfehlungen abgeben zu können.

Das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz wurde als Artikel 1 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht am 27.3.2020 erlassen (BGBL 2020 I, S. 569 sowie Jahn, in: NWB 2021, S. 170-171/für Abonnenten kostenfrei), das den wirtschaftlichen Auswirkungen der seit Anfang 2020 in Deutschland (und weltweit) grassierenden COVID-19-Pandemie in Deutschland mit rückwirkendem Inkrafttreten zum 01.03.2020 (Art. 6 des Gesetzes) entgegenwirken soll. Um überschuldeten Unternehmen auch weiterhin die Möglichkeit zu geben, sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsprogramme und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren, wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zunächst bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (Bundestags-Drucksache 19/22178). Im Dezember 2020 hat der Gesetzgeber nun das CovInsG erneut geändert. Dadurch wurde die Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzantrag-Stellung beim Insolvenz-Grund der Überschuldung bis zum 31. Januar 2021 verlängert. Diese Verlängerung gilt allerdings nur für Unternehmen, bei denen die Auszahlung der seit dem 1. November 2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch aussteht (§ 1 Abs. 3 CoVInsAG).

Die Aussetzung gilt allerdings dann nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangende Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist. Insgesamt ist nachteilig, dass die bisherige gesetzliche Fassung nicht berücksichtigt, dass es bei der Bearbeitung und Auszahlung von staatlichen Hilfsprogrammen im Zuge der Pandemie zu Verzögerungen kommt und kommen kann, die eine Mittelbereitstellung vor dem 31. Januar 2021 nicht ermöglicht, in anderen Fällen derzeit noch nicht einmal eine Antragstellung für den Bezugszeitraum November und/oder Dezember 2020 zulässt. Letztlich wurde dies durch die Verlängerung bis 30. April 2020 später vom Gesetzgeber teilweise berücksichtigt.

Ziel des COVInsAG war es, die Fortführung von Gesellschaften zu ermöglichen, die durch die COVID-19-Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten sind und aufgrund ihrer eingetretenen Insolvenz verpflichtet wären, ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Ihnen soll trotz des Vorliegens von Insolvenzreife die Zeit gegeben werden, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und mit Gläubigern und Kapitalgebern Finanzierungsvereinbarungen (z. B. Darlehen) und Sanierungsabreden (z. B. Schuldenschnitte) zu treffen, um ihre Schieflage und Insolvenz zu überwinden.

Einzelregelungen für die Zeit der Pandemie

Nach § 15a Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) muss der Vertreter einer juristischen Person (z. B. einer GmbH oder AG) und nach § 42 Abs. 2 BGB der Vorstand eines Vereins bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Diese Pflicht wurde durch § 1 COVInsAG in seiner ursprünglichen Fassung nur bis zum 30. September 2020 ausgesetzt.

Nur, d.h. ausschließlich für den Insolvenzgrund der Überschuldung, wurde die Aussetzung später vom Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht setzt allerdings stets voraus, dass die Insolvenzreife gerade auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht.

Im Falle der Zahlungsunfähigkeit erforderte sie außerdem, dass Aussichten darauf bestehen, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Die Insolvenzantragspflicht ist nur solange ausgesetzt, wie tatsächlich Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen. Bestehen keine Aussichten dazu mehr, muss vom Geschäftsleiter wiederum unverzüglich ein Insolvenzantrag gestellt werden.

Wer sich auf das Bestehen einer Verletzung der Antragspflicht beruft, trägt hierfür die Beweislast. § 3 COVInsAG beschränkte zudem zeitweise das Recht der Gläubiger, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für zahlungsunfähige oder überschuldete Schuldner zu beantragen (sogenannte Gläubigeranträge oder Fremdanträge): Bei Fremdanträgen, die zwischen dem 28. März und 28. Juni 2020 gestellt wurden, durfte das Insolvenzverfahren nur dann eröffnet werden, wenn der Insolvenzgrund bereits am 1. März 2020 vorlag. Die Regelungen galten rückwirkend ab 1. März 2020.

Die Haftung aus § 64 GmbHG wurde abgemildert. § 3 COVInsAG lockert diese Zahlungsverbote zum Schutz der Geschäftsführer und Vorstände vor Haftungsansprüchen des Insolvenzverwalters, sofern nach § 1 COVInsAG die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ausgesetzt ist (siehe dazu oben). Demnach gilt für diese Fälle: Zahlungen, die im „ordnungsgemäßen Geschäftsgang“ erfolgen, sind dann erlaubt und lösen keine Haftung des Organs aus. Das ist vor allem bei Zahlungen der Fall, die der Aufrechterhaltung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen.

Das COVInsAG erleichtert es zudem, dem betroffenen Unternehmen Liquidität zuzuführen, indem auch über die vorstehenden Regelungen hinaus Insolvenzanfechtungsmöglichkeiten nach der InsO durch den Insolvenzverwalter (§§ 130 ff. InsO) gegenüber Gläubigern eingeschränkt werden, Haftungsrisiken für die Geschäftsführer reduziert werden und der gesetzliche Nachrang auf neue Gesellschafterdarlehen nicht angewendet wird. Das Aussetzen der Antragspflicht sorgt dafür, dass auch Unternehmen am Markt seit März 2020 agieren, die eigentlich insolvent wären.

Und was ist parallel dazu strafrechtlich passiert?

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie für bestimmten Zeitraum für das Insolvenz-Strafrecht sind zu beachten.

Mit Blick auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung des Geschäftsführers nach § 15a Abs. 4 Insolvenzordnung (InsO) gilt es, bei den Folgeerscheinungen der Corona-Pandemie zwei Szenarien zu unterscheiden. § 1 des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) setzt die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO beziehungsweise § 42 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bis zum 30. September 2020 und verlängert gar bis 30.04.2021 aus, wenn die Insolvenzreife auf der Corona-Pandemie beruht – es sei denn, es besteht keine Aussicht darauf, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Laut Gesetz wird dabei zugunsten von Unternehmen vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie beruhe und Aussichten darauf bestünden, die bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen, sofern der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig war. War der Schuldner am 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Ab 1. Oktober 2020 bis 31. Dezember 2020 galt diese Privilegierung nur noch eingeschränkt für den Insolvenzgrund der Überschuldung.

Die Antragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit besteht ab diesem Stichtag wieder uneingeschränkt. Geschützt werden ab dem Zeitpunkt im Ergebnis nur diejenigen Unternehmen, die „nur“ überschuldet sind, aber ab 1. Oktober 2020 noch oder wieder zahlungsfähig sind, und bei denen möglicherweise die positive Fortführungsprognose (§ 19 II InsO) aufgrund den Planungsunsicherheiten in den aktuellen Zeiten zweifelhaft ist, also nicht ausgeschlossen werden kann, dass Zahlungsunfähigkeit im Rahmen des für die Fortführungsprognose geltenden Planungshorizonts eintritt bzw. eintreten könnte.

Diese Unternehmen hatten noch bis 31. Dezember 2020 die Chance, mithilfe von Sanierungsversuchen ihre Liquidität nachhaltig wiederherzustellen und ihr Sanierungskonzept bis dahin so weit umzusetzen, dass spätestens ab 01. Januar 2021 die Liquidität nachhaltig wieder gesichert ist und eine positive Fortführungsprognose nach den alten Grundsätzen abgegeben werden kann. Das würde dann die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung auch nach dem 1. Januar 2021 – für den ersten Moment – verhindern.

Diese Regelung (sog. „Schutzfrist“) wurde wegen erheblicher zeitlicher Verlängerung des sog. 2. Lockdowns bis zum 30.4.2021 später vom Gesetzgeber verlängert. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nach obigem Muster wurde bis zu diesem Datum mithin verlängert.

Was gilt im Mai 2021 und danach?

Die Verlängerung soll den Schuldnern zugutekommen, die einen Anspruch auf finanzielle Hilfen aus den aufgelegten Corona-Hilfsprogrammen haben und deren Auszahlung noch aussteht. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass die Hilfe bis zum 28. Februar 2021 beantragt wird und die Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet ist. Auf die Antragstellung kommt es jedoch ausnahmsweise nicht an, wenn eine Beantragung der Hilfen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bis zum 28. Februar 2021 nicht möglich ist. In diesen Fällen soll auf die Antragsberechtigung abgestellt werden.

Insoweit kann jedoch bereits die leichtfertige Annahme, unter diese Vorschrift zu fallen, eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Insolvenzverschleppung begründen (§§ 15,16 StGB). Jenseits des Anwendungsbereichs des COVInsAG besteht die Gefahr einer Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung selbstverständlich auch dann, wenn das Unternehmen bereits vor Antragstellung bereits insolvenzreif war und mithilfe des Antrags quasi von der Geschäftsleitung versucht wird, den Betrieb durch Inanspruchnahme der Soforthilfen zu „sanieren“. Dementsprechend hat der Soforthilfe oder sonstige staatliche Leistungen Beantragende nicht nur mit Blick auf § 264 StGB sorgfältig zu prüfen,

(a) ob sich das Unternehmen bereits vor März 2020 in einer existenzbedrohenden Lage befand, in deren Folge ein Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen, sondern darüber hinaus auch

(b) wegen § 15a InsO, namentlich ob das Unternehmen am 31. Dezember 2019 noch zahlungsfähig war.

Ist das nicht der Fall, kommt eine Strafverfolgung wegen Insolvenzverschleppung (§ 15 a InsO) weiterhin in Betracht. Und so könnte gerade der Antrag auf Gewährung von Soforthilfe oder sonstiger staatlicher Leistungen aus den diversen staatlichen Hilfeprogrammen, mit dem Ziel das Unternehmen zu retten, offenbaren, dass der Betrieb schon vor März 2020 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten beziehungsweise existenzbedroht und auf die Hilfe angewiesen war. Sollte sich dies aufgrund von Informationen, die beispielsweise den Steuerbehörden vorliegen, letztendlich bestätigen, muss der Antragsteller bzw. der Geschäftsführer mit der Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen rechnen.

Alles in allem:

Die Regelungen sind weder in insolvenzrechtlicher und strafrechtlicher Hinsicht logisch, noch sind die Regelungen aufeinander abgestimmt. Dies kann aber auch, was die strafrechtliche oder die subjektive Seite von handelnden Geschäftsleitungsorganen anbetrifft, für einen fehlenden Vorsatz im Einzelfall sprechen. Im Rahmen von Liquiditätsplanungen sind staatlich beantragte Hilfsgelder entsprechend zu bewerten. Jeder Unternehmens- Sachverhalt ist ein Einzelfall, den es im Falle eines Falles zu beleuchten gilt. Gesetzgeberische Meisterwerke sind in der Corona-Krise sind nicht zu erwarten gewesen.


 

 

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