Die Wesentlichkeit im Rahmen der Abschlussprüfung

In einem früheren Blog „Die Wesentlichkeit in IFRS-Abschlüssen“ hatte ich mich mit der Beurteilung der Wesentlichkeit bei der Erstellung von IFRS-Abschlüssen befasst. Das Thema Wesentlichkeit spielt aber nicht nur bei der Abschlusserstellung eine große Rolle. Auch für den Abschlussprüfer ist es von zentraler Bedeutung, denn als Ergebnis der Prüfung ist festzuhalten, ob die Berichterstattung frei von wesentlichen Fehlern ist. Wie kommt der Abschlussprüfer zu einer Wesentlichkeitsgrenze?

Stellt der Abschlussprüfer im Rahmen seiner Prüfungshandlungen falsche Angaben fest, kann dies ohne Auswirkungen bleiben, sofern diese so geringfügig sind, dass sie zweifelsfrei unterhalb einer festgelegten Nichtaufgriffsgrenze bleiben. Andernfalls sind sie in eine Aufstellung beachtlicher falscher Angabe aufzunehmen. Die in der Aufstellung enthaltenen Sachverhalte sind daraufhin zu würdigen, ob sie in der Summe so umfangreich sind, dass sie sich einer festgelegten Wesentlichkeitsgrenze nähern. Dabei ist zu beurteilen, ob die festgestellten Mängel weitere Prüfungshandlungen erforderlich erscheinen lassen.

Ggf. ist der Mandant zur Korrektur und zur Untersuchung betroffener Bereiche der Rechnungslegung auf etwaig weitere falsche Angaben aufzufordern. Korrigiert der Mandant falsche Angaben, wirken sich diese nicht auf das Prüfungsurteil aus, können aber berichtspflichtig sein. Erfolgt keine Korrektur, muss der Abschlussprüfer die falschen Angaben in eine Aufstellung nicht korrigierter Prüfungsdifferenzen aufnehmen und Auswirkungen auf das Prüfungsurteil prüfen sowie ggf. mit dem Aufsichtsorgan des Mandanten kommunizieren.

Auswirkungen auf das Prüfungsurteil ergeben sich, sofern die falschen Angaben einzeln oder in der Summe wesentlich sind. Die Festlegung der Wesentlichkeit liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Abschlussprüfers und ist von diesem zu dokumentieren. Wesentlichkeit kann dabei eine quantitative und eine qualitative Dimension haben. Die Festlegung erfolgt zu Beginn der Prüfung und ist ggf. im Laufe der Prüfung anzupassen. Die Prüfungshandlungen sind so auszugestalten, dass wesentliche Fehler mit hinreichender Sicherheit aufgedeckt werden. Damit spielt die Wesentlichkeit auch eine Rolle für die Festlegungen der Prüfungshandlungen. Je geringer die Wesentlichkeit liegt, umso aufwändiger ist der Prüfungsprozess.

Die berufsständischen Verlautbarungen kennen verschiedene Arten der quantitativen und qualitativen Wesentlichkeit. Unterschieden werden die Wesentlichkeit als solche, eine spezifische Wesentlichkeit und eine Toleranzwesentlichkeit.

Die Wesentlichkeit als solche bezieht sich auf den Abschluss insgesamt, d.h. undifferenziert auf alle im Abschluss oder auch im Lagebricht enthaltenen Informationen.

Die spezifische Wesentlichkeit ist eine besondere (niedrigere) Wesentlichkeit auf der Ebene einzelner Geschäftsvorfälle, Kontensalden, Abschlussposten, Angaben im Anhang und in der Lageberichterstattung. Eine spezifische Wesentlichkeit ist in Abhängigkeit der Entscheidungsrelevanz für die Adressaten der Berichterstattung festzulegen. So kann bspw. eine spezifische Wesentlichkeit für Angaben zu nahestehenden Personen festgelegt werden oder im Eigenkapital wegen dessen Bedeutung den Wert Null annehmen. In der Folge sind die Prüfungshandlungen so zu gestalten, dass sämtliche Fehler im Eigenkapital aufgedeckt werden.

Die Toleranzwesentlichkeit mindert das Aggregationsrisiko. Sie dient dazu, die Wahrscheinlichkeit auf ein angemessen niedriges Maß zu reduzieren, dass die Summe aus den nicht korrigierten und den nicht aufgedeckten falschen Angaben die Wesentlichkeit für den Abschluss als Ganzes oder eine spezifische Wesentlichkeit übersteigt. Die niedrigere Toleranzwesentlichkeit sorgt für die Festlegung von Prüfungshandlungen, die auch zur Aufdeckung zwar einzeln nicht wesentlicher, aber ggf. in der Summe wesentlicher Fehler führt.

Wesentlichkeit folgt aus der Nützlichkeit von Informationen für die Adressaten, d.h. deren Entscheidungssituation wird zumindest durch Abbau von Unsicherheit verbessert. In der Praxis erfolgt eine Festlegung der quantitativen Wesentlichkeitsgrenze häufig als Prozentsatz einer Erfolgsgröße, der Bilanzsumme oder des Eigenkapitals. Teils kommen auch kombinierte Bezugsgrößen zum Einsatz: Bspw. ein Prozentsatz vom Gewinn vor Steuern und Eigenkapital für GuV-Posten, ein Prozentsatz der Bilanzsumme für Bilanzposten und eine Nulltoleranz bei bedeutenden Bilanzposten und Pflichtangaben, wie beim Ausweis eigener Anteile, der Angabe der Geschäftsführerbezüge oder der Nennung bestandsgefährdender Risiken.

Lesen Sie hierzu auch meine weiteren Beiträge hier im NWB Experten-Blog:

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