Es geht um das Würstchen – kommen die Aktionäre nur deswegen zur Hauptversammlung?

Die Anwesenheit des stimmberechtigen Kapitals der DAX-Konzerne war mit ca. 60 Prozent in diesem Jahr so hoch wie noch nie in diesem Jahrtausend. Was trägt zu diesem Boom bei? Einerseits interessieren sich die Unternehmen immer mehr für ihre Aktionäre. Das Thema Investor Relations wird seit Jahren weiter ausgebaut und der Kontakt zu den Aktionären intensiviert. Hintergrund ist, dass die Unternehmen die Meinungen der Aktionäre wissen wollen. Denn diese stimmen in der Hauptversammlung ab. Andererseits interessieren sich immer mehr ausländische institutionelle Investoren für deutsche Aktien.

Ein heißer Tagesordnungspunkt sind die „Kapitalmaßnahmen“. Hier lassen sich die Vorstände gerne eine Kapitalerhöhung „auf Vorrat“ genehmigen. So kann diese bei Bedarf vorgenommen werden, ohne dass dafür eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen werden muss. Bayer und TAG Immobilien sind zwei Beispiele, bei denen dieses Thema auf der Agenda stand.

Außerdem fürchten sich die Unternehmen vor sog. aktivistischen Aktionären, die auf der Hauptversammlung dementsprechend auftreten. Je nach Situation kann dies aus Unternehmenssicht sehr unangenehm werden. Durch mehr Kommunikation zwischen Unternehmen und Aktionären wissen die Unternehmen, was den Aktionären wichtig ist und welche Sorgen sie aktuell umtreiben.

Doch was ist der Grund für die Rekordpräsenzen auf den Hauptversammlungen in diesem Jahr? Es sind nicht nur die Würstchen-Jäger aus dem Schwäbischen, die sich bei Daimler um das Würstchen streiten, sodass die Polizei schlichten muss. Ein Grund könnten auch die Skandale und Veränderungen oder Nachwehen der Finanzkrise. Die Automobilindustrie wurde vom Dieselskandal bei Volkswagen aufgeschreckt. Banken und Versicherungen leiden aufgrund der lang anhaltenden Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Und nicht zuletzt bedroht die Energiewende die Existenz von E.ON und RWE.

Schade, dass die Präsenz offenbar nur dann hoch ist, wenn es eher schlecht läuft. Dies ist ähnlich wie für viele Pfarrer einmal im Jahr am Heiligen Abend: Ein volles Haus, aber am Tag danach ist wieder Platz. Auch in wirtschaftliche guten Zeiten sollten Aktionäre bei der Hauptversammlung Präsenz zeigen. So zeigen sie ihr dauerhaftes Interesse am Unternehmen. Und vielleicht gibt es dann auch das ein oder andere Würstchen mehr für die Aktionäre.

Lesen Sie hierzu auch: In der ersten Reihe, Handelsblatt vom 1. Juli 2016, Seite 14f.

 

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