Goodbye Deutschland – ich hau´ ab!

In diesem Blog, in dem ich seit 2018 mitwirke, behandeln wir steuerliche und gesetzgeberische Aspekte mit einer kritischen Brille und geben Einblicke in unsere Sichtweise. Oft begegnen uns Kuriositäten im Steuerrecht über die wir schmunzeln, oft hat es der Gesetzgeber gut gemeint, aber schlecht bis gar nicht gemacht. Wenn Sie, liebe Leser, diesem Blog folgen, wissen Sie, was ich meine.

Heute möchte ich mal einen ganz anderen Aspekt aufgreifen und das Stimmungsbild meiner Mandanten reflektieren.

„Goodbye Deutschland“; inzwischen habe ich den fünften Mandanten, dem es hier zu teuer und zu bürokratisch ist und nun ins Ausland abwandert. Andere stellen ihre gewerbliche Tätigkeit ein, weil es sich für sie nicht mehr lohnt.

Am 11.07.2024 war Steuerzahlergedenktag

Nach den Berechnungen vom Bund der Steuerzahler ist dies der Tag, ab dem wir anfangen „für die eigene Tasche“ zu arbeiten. Im Durchschnitt beträgt die Steuer- und Abgabenlast 52,6 Prozent. „Für wen arbeite ich eigentlich?“ Eine Frage, die meine Mandanten mir gegenüber äußern, bevor sie abwandern. Die Digitalisierung macht es möglich: Laptop zu, Flieger gebucht und „Tschüss Deutschland!“. „Deutschland ist mir zu teuer“ ist eine der Aussagen, die ich immer wieder höre. Oder noch krasser: „Goodbye Deutschland – ich hab´ die Schnauze voll!“

Lieber 25 Prozent von X, als 42 Prozent von nix!“

An dieses Zitat von Peer Steinbrück, mit dem er damals die Pauschalsteuer auf Kapitalerträge eingeführt hat, muss ich heute häufig denken. Nicht nur, wer viel Kapital hat, ist sehr mobil. Ein Satz, der daher meines Erachtens heute auch für andere Einkunftsarten relevant wird, zumal Ein- und Auszahlungen aus unserem Sozialsystem zunehmend in ein Missverhältnis gerät.

IV. Bürokratieentlastung? Ich merke nichts, aber so gar nichts!

Inzwischen wurde das IV. Bürokratieentlastungsgesetz beschlossen. Das heißt; wir sind schon dreimal entlastet worden. – Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber von einer Bürokratie-Entlastung spüren weder meine Mandanten noch ich nichts, ganz im Gegenteil. Wir brauchen immer wieder neue Vollmachten, müssen uns immer mehr hier und da registrieren, erhalten immer mehr neue Zusatzaufgaben usw. Zeit für die Betreuung der Mandanten bleibt hier immer weniger. Mein persönlicher Aufreger: Die Registrierung für das Online-Portal (BOP) des BZSt. Insgesamt 11 Seiten Beschreibung, eine Seite Checkliste, zweimal Briefpost für die Registrierung. „Sorry, seid ihr irre?“ Schon absurd, dass unsere reguläre Vollmacht nicht für das BZSt reicht und wir für ZM, § 50a EStG-Fälle und alle einzelnen Sachverhalte hier eine gesonderte Vollmacht benötigt.

Nach der DSGVO kommt jetzt noch die E-Rechnung. Sie hat vier weiteren Mandanten von mir den garausgemacht. Ich zitiere: „Wenn ich das umsetze, lohnt es sich nicht mehr für mich. Diese Bürokratie ist mir zu teuer.“

Und die Fachkräfte?

Bei immer mehr Zusatzaufgaben wundern wir uns über den Fachkräftemangel? Mit den Coronahilfen, der Grundsteuerreform und anderen großen Neuerungen haben wir bei der Arbeitslast die (mit Verlaub) „alten Hasen“ verbrannt. Für junge Menschen sind „Steuern“ ohnehin schon nicht sexy. Wen wollen wir denn so noch für diesen Berufstand begeistern?

Krieg der Sterne

Zuletzt höre ich auch immer wieder, dass es einer aufrichtigen Politik zum Wohle unseres Landes fehlt. Gute Ideen braucht das Land und wirkliche Reformen; ist doch egal, von welcher Partei diese Ideen kommen. Statt diese zu blockieren könnte man ja auch mal selbst gute Ideen entwickeln.

Ehrliche Aufarbeitung

Nicht aufgearbeitete Krisen und politische Fehler, wie aus der Coronazeit schüren zudem den Frust. „Wenn ich mich an etwas nicht erinnere, habe ich gleich ein Steuerstrafverfahren am Hals“, hörte ich neulich. Tatsächlich ist es auch meine Wahrnehmung, dass Politiker in der Vergangenheit schon für weniger „gegangen worden“ sind.

Fazit

Inzwischen haben meine Beratungsgespräche schon mehr den Touch von „Meckerrunden“, bei denen ich mir den zunehmenden Frust anhöre.

Die Quote der Betriebsaufgaben oder Auswanderungen nimmt zumindest in meinem Umfeld zu. Ich hoffe, hier gibt es bald eine Gegenströmung. Sonst ist es schön, dass wir alle Prozesse digitalisiert und automatisiert haben, aber sich alle Leistungsträger vom Acker gemacht haben, auf Mitarbeiter und Mandatsseite. In meinem Beitrag „Was haben Steuerberater und Notärzte gemeinsam“ habe ich angemerkt, dass wir ärztlichen Beistand brauchen. Heute, knapp ein Jahr später, brauchen wir gefühlt zusätzlich Psychologen.

Ich sage aber auch: Nicht alles ist schlecht hier, wir können doch eigentlich zufrieden sein. Und wir Deutschen sind geneigt, auf hohem Niveau zu jammern. Aber irgendwie habe bei diesen Gedanken immer ein Lied von den Toten Hosen aus den 80ern in den Ohren: „Es gibt 1000 gute Gründe, auf dieses Land stolz zu sein, warum fällt uns jetzt auf einmal kein einziger mehr ein?“.

Ich muss meine Gedanken mal bei einem Spaziergang sortieren. Vorausgesetzt, die Spazierwege sind nicht gesperrt – ähnlich wie bei den zahllosen Straßenschäden und Baustellen in dieser Stadt. Ist das ganze Land eine Baustelle?

Vielleicht fallen mir doch gute Gründe ein…kommentieren Sie gerne meinen Beitrag.

4 Gedanken zu “Goodbye Deutschland – ich hau´ ab!

  1. Wer sich als Unternehmer mit der E-Rechnung mehr Probleme macht, als sie zur Arbeitserleichterung zu verwenden, ist selbst schuld. Wer darüber jammert, ist eine Heulsuse. Wer behauptet, sie mache ihm den Garaus, lügt.

  2. Ich habe einen 85 jährigen Unternehmer, der noch immer vernünftig Gewinn macht. Datev-Unternehmen-Online (DUO) und die E-Rechnung sind für ihn eine Zumutung, die man nicht unterschätzen sollte. Ich hatte hier im Haus schon potentielle Mandanten, die wieder gegangen sind, weil ich auf DUO bei Neumandanten bestehe.

    Es mag Lösungen drumherum geben. Für den Normalsterblichen ist das alles auch kein Hexenwerk. Trotzdem ist es eben ein weiterer Sargnagel, der für den einen oder anderen zuviel ist.

  3. Als ich heute auf dem Weg zur Arbeit wieder die marode Infrastruktur in Deutschland in aller Deutlichkeit zu spüren bekam, verstand ich in so einem Moment ihre Mandant:innen, die „die Schnauze voll haben“. Mir für meinen Teil hilft es, den Steuerzahlergedenktag „zu überleben“, wenn ich mich an die Hoffnung klammere, dass doch eine Partei einmal diese Steuern für die Instandsetzung eben jener Infrastruktur nutzen wird.

    Apropos Partei: Die Bürokratie wird mich nicht aus diesem Land verschrecken, aber sobald Rechtspopulisten mehrheitlich in der Regierung sitzen, dann ist das für mich das Zeichen, noch schnell das Land zu verlassen, solange es die Mitgliedschaft in der EU noch zulässt… Hier wird mir jedoch dasselbe Problem erscheinen, was vermutlich doch einigen ihrer Mandant:innen bemerkten: Woanders ist auch sch****. Sei es in Bezug auf Regierungsparteien als auch auf Infrastrukturen, Bürokratie etc. pp. und die Gesamtheit der daraus resultierenden Zufriedenheit.

  4. Vielen Dank für die zahlreichen Kommentare zu meinem Beitrag. Aus meiner Sicht fehlt es vielen Unternehmern an Sicherheit. Die Veränderungsgeschwindigkeit unseres Gesetzgebers, die Regelungs-Flut und Abgabenlast belastet die Planungssicherheit. „Was heute gilt, ist morgen überholt“ und der Wirtschaftsminister testet unsere Leidensfähigkeit mit seinem Heizungsgesetz; wir sind doch keine Labor-Tiere. Eine Bürokratie-Entlastung durch eine auf 8 Jahre verkürzte Aufbewahrungsfrist verringert Rückstellungen und Platzbedarf im Keller; absurd, weil doch eh schon fast alles digital ist. – Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Es hilft natürlich auch die Aufarbeitungsarbeit im CumEx-Skandal zu verhindern, wenn die Akten vernichtet sind.

    Viele Grüße
    Ralph Homuth

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