Rentenbesteuerung – was ist von den aktuellen BFH-Urteilen zu halten?

Mit Spannung sind die beiden BFH-Urteile zur möglichen Doppelbesteuerung von Renten erwartet worden. Der BFH hatte die Messlatte auch hochgelegt, da er die Urteile nicht im normalen Turnus und ohne viel Aufhebens veröffentlicht hat, sondern bereits im Vorfeld die Pressevertreter auf die mündliche Verhandlung aufmerksam gemacht und dann auch noch einen konkreten Termin für die Urteilsverkündung benannt hat. Wie dem auch sei: Die Urteile sind gesprochen und bedürfen sicherlich noch der eingehenden Analyse. Dennoch möchte ich schon jetzt die beiden Entscheidungen kurz vorstellen und bewerten.

Zunächst zu dem Verfahren X R 33/19 (Urteil vom 19.5.2021):

Der Kläger war während seiner aktiven Erwerbstätigkeit überwiegend selbständig als Steuerberater tätig. Auf seinen Antrag hin war er in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er zahlte seine Rentenbeiträge größtenteils aus eigenem Einkommen. Dabei konnte er diese Aufwendungen nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen. Seit 2007 erhält der Kläger eine Altersrente. Im vorliegenden Verfahren wandte er sich gegen deren Besteuerung im Jahr 2008. Das Finanzamt hatte die Rente mit einem Besteuerungsanteil von 54 % der Einkommensteuer unterworfen, so dass also ein steuerfreier Teil von 46 % verblieb.

Doch der BFH konnte im Streitfall keine Doppelbesteuerung erkennen. Eine doppelte Besteuerung wird vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse („steuerfreier Rentenbezug“) mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge. Dabei ist – nach wie vor – das Nominalwertprinzip maßgebend. Der Auffassung der Kläger, nach der die zwischen der früheren Beitragszahlung und dem heutigen bzw. künftigen Rentenbezug eintretende Geldentwertung im Rahmen der Berechnung zu berücksichtigen sei, folgte der Senat nicht. Infolgedessen können Wertsteigerungen der Renten – unabhängig davon, ob sie inflationsbedingt sind oder eine reale Erhöhung darstellen – besteuert werden.

Zum steuerfreien Rentenbezug gehören im Übrigen nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente. Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als „steuerfreien Rentenbezug“ in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben allerdings nach Auffassung des BFH unberücksichtigt. Sie dienen anderen – überwiegend verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven – Zwecken und können daher nicht nochmals herangezogen werden, um eine doppelte Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden. Damit bleibt insbesondere auch der Grundfreibetrag bei der Berechnung des „steuerfreien Rentenbezugs“ unberücksichtigt.

Bei Anwendung dieser Berechnungsgrundsätze hatte die Revision der Kläger keinen Erfolg. Angesichts des „noch recht hohen“ Rentenfreibetrags von 46 % der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung – so der BFH. Diese zeichne sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen wird, ab. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.

Nun zu dem Verfahren X R 20/21 (Urteil vom 19.5.2021):

Der Kläger war als Zahnarzt Pflichtmitglied eines berufsständischen Versorgungswerks, blieb allerdings freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er erhielt im Streitjahr 2009 von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen Höherversicherung. Zudem bezog er mehrere „Rürup“-Renten, ebenso zahlreiche Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten. Das Finanzamt setzte für die gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen der Höherversicherung den sich nach der gesetzlichen Übergangsregelung ergebenden Besteuerungsanteil von 58 % an. 42% der ausgezahlten Rente blieben steuerfrei.

Im Hinblick auf die hohen Beitragsleistungen des Klägers in zwei Versorgungssysteme wandte das Finanzamt die Öffnungsklausel an. Diese ermöglicht es, in bestimmten Konstellationen die Rente zumindest teilweise mit dem günstigeren Ertragsanteil zu versteuern. Die „Rürup“-Renten des Klägers brachte das Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil, die sonstigen privaten Leibrenten mit dem Ertragsanteil in Ansatz. Das Finanzgericht wies die hiergegen gerichtete Klage ab.

Die Kläger hielten die Entscheidung der Vorinstanz aus mehreren Gründen für unzutreffend. Sie meinten die gesetzliche Altersrente, eine der „Rürup“-Renten und diverse Renten aus privaten Versicherungen würden unzulässigerweise doppelt besteuert, weil nach ihren Berechnungen die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beiträge höher seien als der steuerfreie Teil der zu erwartenden Rentenzahlungen.

Der BFH sah dies anders. Er entschied, dass die Leistungen aus der freiwilligen Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente (§ 269 Abs. 1 SGB VI) als Teil der Rente einheitlich mit den regulären Rentenbezügen zu versteuern sind. Dass jene Leistungen sozialversicherungsrechtlich zu einer überdurchschnittlichen Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung führen und ausschließlich aus eigenen Beiträgen des Versicherten finanziert wurden, erachtete der BFH als unerheblich.

Dagegen teilte der BFH die Auffassung der Kläger, dass die gesetzliche Öffnungsklausel, die bei überobligatorisch hohen Einzahlungen in ein Altersvorsorgesystem der Gefahr einer doppelten Besteuerung von Renten vorbeugen soll, nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf Antrag des Steuerpflichtigen anwendbar ist. Sie hätte danach im Streitfall keine Anwendung finden dürfen, weil die Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hatten. Trotzdem blieb ihre Revision auch in diesem Punkt ohne Erfolg, denn die unzutreffende Anwendung der Öffnungsklausel verletzte die Kläger nicht in ihren Rechten. Die ihnen durch die Anwendung der Öffnungsklausel zu Unrecht gewährte Entlastung fiel nämlich höher aus als der Betrag, der ohne Geltung der Öffnungsklausel für das Streitjahr als doppelt besteuert anzusehen wäre. Die Frage, ob Steuerpflichtige, die bewusst keinen Antrag auf Anwendung der gesetzlichen Öffnungsklausel zur niedrigeren Besteuerung ihrer Altersrente stellen, überhaupt eine doppelte Besteuerung rügen können, musste daher offen bleiben.

Der BFH stellte zudem auch hier klar, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind. Im Streitfall war daher auch der steuerfrei bleibende Teil einer späteren – bei statistischer Betrachtung wahrscheinlichen – Witwenrente der Klägerin zu berücksichtigen.

Regelmäßige Anpassungen einer der Basisversorgung dienenden gesetzlichen oder „Rürup“-Rente sind nach Auffassung des BFH auch in der Übergangsphase in voller Höhe und nicht – wie von den Klägern begehrt – mit dem geringeren individuellen Besteuerungsanteil zu berücksichtigen. Der BFH bestätigte insoweit seine bisherige Rechtsprechung.

Hinsichtlich der streitigen Renten des Klägers aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung konnte der BFH keine doppelte Besteuerung feststellen. Die für diese Renten geltende Ertragsanteilsbesteuerung kann nach Ansicht des X. Senats bereits systematisch keine doppelte Besteuerung hervorrufen, weil der durch das Gesetz festgelegte Ertragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiert. Diese Art der Besteuerung verlangt nicht, dass die Beitragszahlungen in der Ansparphase steuerfrei gestellt werden.

Erste Einordnung

Vorbehaltlich eines intensiven Studiums der Urteilsgründe scheinen die BFH-Urteile nicht von den Grundsätzen abzurücken, die der BFH bereits in seinem Urteil vom 21.6.2016 (X R 44/14) aufgestellt hat. Natürlich hat sich der BFH mit der einen oder anderen Feinheit zur Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung befasst, unterm Strich dürften seine Ausführungen aber nur eine Bestätigung der bisherigen Marschrichtung sein. Das heißt: relativ „stumpf“ sind nach dem Nominalwertprinzip die aus versteuertem Einkommen geleisteten (Teile der) Altersvorsorgeaufwendungen mit dem steuerfreien Teil der Rentenbezüge zu vergleichen. Eine Doppelbesteuerung liegt erst vor, wenn die steuerfreien Rentenbezüge geringer sind als der aus versteuertem Einkommen geleistete Teil der Altersvorsorgeaufwendungen.

Der BFH hat sich nicht in die „echten Niederungen“ der Finanz- und Versicherungsmathematik begeben Schindler/Braun hatten in der Zeitschrift NWB mehrfach (z.B. Nr. 11/2020, Seite 784) „Mathematische Grundlagen der Doppelbesteuerung“ aufgezeigt; es ist bei einer ersten Betrachtung meinerseits indes nicht erkennbar, dass sich der BFH damit wirklich auseinandergesetzt hat. Das ist enttäuschend. Andererseits bleibt es für den Praktiker damit etwas einfacher, eine mögliche Doppelbesteuerung rechnerisch zu ermitteln. Dazu drei Anmerkungen:

  • Wichtig ist für die Berechnung einer möglichen Doppelbesteuerung, dass der BFH – offenbar in Abkehr seines Urteils vom 21.6.2016 (X R 44/14) – nun auch die mögliche Hinterbliebenenversorgung einbezieht. Das macht den Nachweis einer eventuellen Doppelbesteuerung allerdings gegebenenfalls noch ein Stück schwieriger.
  • Der BFH führt aus: „Einem Steuerpflichtigen, der nachweisen kann, dass es in seinem konkreten Einzelfall zu einer doppelten Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen kommt, kann allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf eine Milderung des Steuerzugriffs in der Rentenbezugsphase zustehen.“ Das klingt positiv, heißt aber nichts anderes, als dass die Beweislast bei den Steuerpflichtigen bleibt. Nach wie vor werden also die Steuerpflichtigen ihrerseits eine mögliche Doppelbesteuerung anhand eines Berechnungsschemas und der entsprechenden Unterlagen (Rentenbescheide, alte Steuerbescheide) darlegen müssen.
  • Die wohl bemerkenswerteste Aussage ergibt sich aus der Pressemitteilung: „Diese (Anmerkung Herold: „doppelte Besteuerung“) zeichne sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen wird, ab.“ Nun ist zu berücksichtigen, dass es in den Streitfällen um die Rentenjahrgänge 2007 bzw. 2009 ging. Insofern könnten die heutigen Rentenjahrgänge also bereits von der Doppelbesteuerung betroffen sein. Bis auf Weiteres, das heißt bis zu einer genaueren Bewertung der Urteilsgründe in der Fachpresse, sollten Steuerbescheide mit Renteneinkünften daher auf jeden Fall offengehalten werden.

Quelle:

Ein Kommentar zu “Rentenbesteuerung – was ist von den aktuellen BFH-Urteilen zu halten?

  1. Nach meinem Verständnis gehen Schindler/Braun davon aus, dass Rentenbeiträge von Arbeitnehmern vor 2005 zu 50 % aus versteuertem Einkommen stammen. Das ist die Grundprämisse, weshalb schon bei Rentenbezug ab 2005 eine Doppelbesteuerung vorliegen soll. Unabhängig von der Frage, ob diese Grundannahme überhaupt rechtlich vertretbar ist, hat der BFH jedenfalls eine andere Auffassung. Damit funktioniert die Berechnung eben nicht mehr.

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