Umsatzsteuer-Philosophie – Teil 1

Nun ist es wieder soweit: Wohl jeder, der im Steuerrecht oder im Rechnungswesen tätig ist, plagt sich mit der Umstellung der Umsatzsteuersätze zum 1. Januar 2021 herum. Der eine oder andere hat noch die Hoffnung gehegt, dass Olaf Scholz die Minderung der Steuersätze um ein Jahr verlängert, doch – Stand heute – sieht es nicht danach aus. Und so ist es kein Wunder, dass die Gestaltungsmodelle zur Ausnutzung der geminderten Steuersätze nur so aus dem Boden sprießen.

Ob sie steuerlich alle tauglich sind, kann ich nicht beurteilen. Vor allem habe ich aber den Eindruck, dass Unternehmer und Verbraucher eigenartigen zivilrechtlichen „Konstruktionen“ zustimmen, um ein paar Euro Umsatzsteuer zu retten, etwa wenn es beim Bau um die „gekünstelte“ Aufteilung und Abnahme von Bauleistungen geht oder wenn für den Porsche, der erst in 2021 geliefert werden kann, heute ein Gutschein ausgestellt wird (1).  

Ob wirklich jedem Bauherren klar ist, was es bedeutet, wenn er eine Teilleistung bis zum 31.12.2020 im zivilrechtlichen Sinne und damit auch für Fragen der Gewährleistung „abnimmt“? Ist eigentlich allen Beteiligten klar, dass sie der Anzeigepflicht für Steuergestaltungen unterliegen können, wenn es um grenzüberschreitende Fälle und zudem nicht nur um die Umsatzsteuer geht?

Fragen über Fragen. Ich jedenfalls philosophiere momentan über folgendes Problem, bei dem ich auf Ihre Mithilfe hoffe. „Locker-flockig“ lesen und schreiben wir Steuerrechtler immer wieder, dass eine Leistung, die sich über einen längeren Zeitraum hinzieht, erst am Ende des Leistungszeitraums als erbracht gilt und dann der entsprechende Steuersatz maßgebend ist. Ausnahme: Teilleistungen. Und so wird gemeinhin angenommen, dass maßgebender Steuersatz für Datenbanken, Abonnements, Mitgliedschaften etc. derjenige ist, der am Ende des Leistungszeitraums, zumeist nach zwölf Monaten, gilt. Klingt einfach, logisch und gerecht. Doch nun habe ich selbst vor wenigen Tagen eine App zum Preis von 19,95 Euro heruntergeladen, die mir Wanderrouten anzeigt und mich beim Wandern und Radfahren navigiert. Die App ist im Prinzip ohne Zeitlimit nutzbar, wird aber vom Betreiber – und letztlich auch durch die Nutzer – laufend aktualisiert, also eigentlich nicht anders als bei Datenbanken.

Welcher Steuersatz gilt denn nun für die App? Derjenige bei Freischaltung? Derjenige bei Ende des Leistungszeitraums? Das wäre der Sankt Nimmerleinstag.

Apple weist jedenfalls „zunächst zurecht“ 16 Prozent Umsatzsteuer aus. Doch muss der Steuersatz irgendwann korrigiert werden, etwa wenn die App nicht mehr gepflegt wird? Ich gebe zu: Ich weiß es nicht. Jedenfalls meine ich, dass die seit zig Jahren geltenden Grundsätze zum Ende des Leistungszeitraums heute nicht mehr einfach übernommen werden können. Die Zeiten haben sich geändert.

Lesen Sie hierzu auch Teil II, der am 18.11.2020 erschienen ist.


(1) Siehe hierzu: Zu der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Einzweck-Gutscheinen im Lichte der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung – Eine Reaktion auf den Beitrag von Eckert, USt direkt digital 19/2020 S. 15: Fallstricke bei Gestaltungsmodellen sowie Chancen; Dr. Michael Rust und Dr. Jochen Tillmanns


2 Gedanken zu “Umsatzsteuer-Philosophie – Teil 1

  1. Die Idee mit dem Gutschein beim Autokauf halte ich auch für sehr bedenklich, zumal aus Sicht der Finanzverwaltung das so einfach wohl auch nicht geht. Aber es gibt schon wieder neue Modelle.

    Ach und wenn die Wander-App Komoot sein sollte, willkommen in der Community.

  2. Bei dem ganzen App Thema stellt sich ja schon die Frage ob man die Software erworben (theoretisch eine Lieferung, aber da keiner mehr DVD/CD/USB Sticks verschickt wohl eher eine sonstige Leistung; unsinnige Unterscheidung btw) hat oder nur ein Nutzungsrecht (sonstige Leistung).

    Und wenn ja: Von Wem? (Apple? der Programmierer? jemand Anderes?)

    Im ersteren Fall wäre die sonstige Leistung mit dem Download erbracht und der aktuelle Steuersatz zu dem Zeitpunkt anzuwenden.

    Da das Nutzungsrecht von unbestimmter Dauer ist wäre dann behelfsweise (ohne tatsächliche gesetzliche Regelung afaik) auch der Steuersatz des Beginns der Leistung zu Grunde zu legen.

    Und man hat noch nicht einmal über die Updates nachgedacht:

    Sind diese eigenständig zu beurteilen oder sind diese nebensächlich?
    Entgeltlich oder unentgeltlich?
    Hat man da einen Rechtsanspruch (Gewährleistung)?
    Wie sieht es bei den Modellen aus, bei denen der User seine Daten (in welchem Umfang auch immer) wissentlich oder unwissentlich zur Verfügung stellt: Ist das eine Gegenleistung? (Hallo Facebook, Google und Co.)

    In Ihrer recht einfachen Frage steckt Potential für mehrere Doktorarbeiten.

    Eine Antwort habe ich leider nicht.

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