Verfassungsmäßigkeit der Finanzamtszinsen? – BVerfG will 2019 endlich entscheiden!

Der Zinssatz von 0,5 % im Monat (6 % im Jahr) nach § 238 AO ist seit 50 Jahren unverändert. Er ist nicht mehr annähernd marktgerecht, weil er sich deutlich über dem tatsächlichem Zinsniveau bewegt. Das beschäftigt zwar seit geraumer Zeit Finanzgerichte und Finanzpolitik – jedoch bislang ohne greifbare Wirkung oder gar Änderung des Gesetzes. Ende Februar 2019 hat jetzt das Bundesverfassungsgericht verlautbart: Es will noch in diesem Jahr entscheiden, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO von 0,5 % für jeden Monat für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2009 beziehungsweise nach dem 31.12.2011 verfassungswidrig ist (BVerfG 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17).

Hintergrund: Finanzgerichte erhöhen den Druck auf den Gesetzgeber

Der BFH hat mit seinen Beschlüssen v. 25.4.2018 – IX B 21/18 und v. 3.9.2018 – VIII B 15/18 „schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel“ an der Zinshöhe von 6 % nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geäußert und deshalb – bezogen auf § 233a AO – Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 361 AO gewährt. Inzwischen sind Bedenken der Finanzgerichte nicht mehr allein auf den Zinssatz des § 238 AO beschränkt. Den „schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifel“ an der Zinshöhe erstreckt das FG Hamburg (v. 31.1.2019 – 2 V 112/18)  nunmehr aber auch auf die Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungszinssatzes in Höhe von 5,5 % in § 6 Abs.1 Nr.3 EStG: In einer anhaltenden Niedrigzinsphase habe dieser „typisierende“ Zinssatz den Bezug zum langfristigen Zinsniveau verloren, stellt das Gericht fest. Die Zinssatzhöhe in den Steuergesetzen wird damit zunehmend zu einem Flächenbrand.

Finanzverwaltung kennt die Problematik

Auch die Finanzverwaltung setzt inzwischen seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 aus (BMF-Schreiben v. 14.12.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01). Sie hat damit auf die BFH-Rechtsprechung reagiert. Allerdings muss die Finanzverwaltung weiterhin das geltende Recht anwenden. Auch in der neuesten Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO v. 31.1.2019 – IV A 3 –S 0062/18/10005) hält das BMF am Zinssatz von 0,5 % pro Monat fest, eine Umsetzung der Anwendungsregeln zur AdV nach § 361 AO vermisst man im neuen AEAO.

Politik bislang untätig

Politische Vorstöße zur Änderung der geltenden Zinssätze sind bislang ohne Erfolg geblieben (BR-Drucks. 396/18, 397/18 vom 21.9.2018). Die Bundesregierung geht nach wie vor von der Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes aus und sieht deshalb keinen Änderungsbedarf, jedenfalls solange nicht, bis das BVerfG nicht zum Handeln zwingt.

Ausblick

Beim Bundesverfassungsgericht sind inzwischen weitere Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinssätze anhängig (2 BvR 2706/17, 2 BvL 22/17). Es wird deshalb Zeit, dass das BVerfG diese für die Praxis so wichtige Zinsfrage endlich entscheidet. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein: Bislang hat das BVerfG dem Gesetzgeber im Steuerrecht stets einen weiten Ermessensspielraum zugebilligt, bei der Bestimmung von Besteuerungsgegenständen und des Steuersatzes (BVerfG v. 12.10.2010 –1 BvL 12/07; v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09), allerdings auch bei der Bestimmung des Zinssatzes bis 2007 (BVerfG v. 3.9.2009 – 1 BvR 2539/07). Sollte das BVerfG diesmal anders entscheiden, wäre das ein weitreichender Paradigmenwechsel.

Lesen Sie hierzu auch meine Beiträge im NWB Experten-Blog:

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